# taz.de -- Karikaturzeitschriften in der Türkei: Lachen im Ausnahmezustand
       
       > Satire ist in der Türkei eine beliebte Form, Politik indirekt zu
       > kritisieren. Doch Karikaturist*innen kämpfen mit Repressionen und
       > sinkenden Auflagen.
       
 (IMG) Bild: Das 2002 gegründete Satiremagazin ‚Penguen‘ muss schließen
       
       Die Titelseite der Satirezeitschrift Penguen blieb in der Woche nach dem
       Referendum in der Türkei weiß. Nur in der rechten Ecke stand eine Notiz:
       Von nun an sind auch Titelseiten ohne Karikatur gültig – eine Anspielung
       auf die 2,5 Millionen ungestempelten Wahlzettel, die beim Referendum von
       der Wahlbehörde für gültig erklärt wurden und dem Ja-Lager zur Mehrheit
       verhalfen.
       
       Das Titelblatt wurde in den sozialen Medien tausendfach geteilt. Da wussten
       die Fans noch nicht, dass es eine der letzten Ausgaben des beliebten
       Magazins sein würde. Wenige Tage später verkündeten die Zeichner*innen von
       Penguen, dass sie das Magazin nach vier weiteren Ausgaben schließen werden.
       Damit verstummt eine weitere kritische Stimme in der türkischen
       Presselandschaft.
       
       Penguen ist eines der bunten Satiremagazine, die in der Türkei an jedem
       Kiosk ausliegen und mit einer Auflage erscheinen, von der so manche Zeitung
       nur träumen kann. Einmal in der Woche werfen Karikaturzeitschriften wie
       Uykusuz, Leman und Penguen einen entwaffnenden Blick auf die Zustände in
       einem Land, in dem es gerade nicht viel zu lachen gibt. Wahlfälschung,
       Frauenmorde, Vetternwirtschaft – die Karikaturhefte offenbaren all das, was
       schief läuft im Land.
       
       In Zeiten, in denen die kritische Berichterstattung oppositioneller Medien
       immer stärker eingeschränkt wird, bringen sie mit wenigen Strichen ihre
       beißende Kritik auf den Punkt. „Das, was oppositionelle Zeitungen in langen
       Artikeln kritisieren, erzählen wir in einem Strip. Deshalb mag uns die
       Regierung nicht“, erklärt der Karikaturist Serkan Altuniğne, der für
       Penguen zeichnet. Über 600.000 Menschen folgen Altuniğne auf Twitter. Er
       erklärt sich den Erfolg der Satire mit den Lesegewohnheiten in der Türkei:
       „Lange Artikel erreichen nur die Leute, die mit dem Journalisten einer
       Meinung sind. Aber eine Karikatur erreicht alle, die liest jeder.“
       
       ## Mit trotzigen Slogans gegen die Wasserwerfer
       
       Das hat Tradition in der Türkei; schon seit über 100 Jahren machen sich
       Karikaturist*innen über die Mächtigen lustig. Alles nahm seinen Anfang mit
       Abdülhamid II., dem letzten Sultan des Osmanischen Reichs: „Abdülhamid
       regierte despotisch und war stark paranoid. Weil er eine große Nase hatte,
       hat er das Wort ‚Nase‘ neben Begriffen wie ‚Freiheit‘ und ‚Brüderlichkeit‘
       zensiert“, erzählt die Journalistin Sabine Küper-Büsch, die in Istanbul
       lebt und sich seit vielen Jahren mit türkischen Karikaturen beschäftigt.
       Als Reaktion auf die Zensur seien unzählige Karikaturen von Nasen in Umlauf
       geraten – die Nase wurde zum Symbol für despotische Herrscher. „Das war die
       Geburtsstunde der Karikatur in der Türkei“, sagt Küper-Büsch.
       
       In politischen Umbruchzeiten schossen die Verkaufszahlen der Satiremagazine
       in die Höhe, als hätten es die Menschen gerade dann bitter nötig zu lachen.
       Das 1972 gegründete Magazin Gırgır etwa erreichte nach dem Militärputsch
       1980 eine Auflage von einer halben Million und war damit weltweit eine der
       am weitesten verbreiteten Satirezeitschriften.
       
       Mit dem Alltagsleben der Unter- und Mittelschichten, der vulgären
       Gossensprache und den volkstümlichen Helden in den Karikaturen konnte sich
       eine breite Masse der Leser*innen identifizieren. Die Karikaturist*innen
       hatten Sabine Küper-Büsch zufolge in der Gesellschaft einen Sonderstatus.
       „Die Satire hatte viel mehr als der Journalismus die Rolle, die Forderungen
       der Zivilgesellschaft voranzutreiben“, sagt sie. „In den siebziger und
       achtziger Jahren waren die Magazine deshalb so erfolgreich, weil man in nur
       einer Zeitschrift alle Bevölkerungsschichten vertreten fand – und weil sie
       unterhaltend und verständlich gesellschaftliche Tabus aufgreifen.“
       
       Die Geziproteste im Frühsommer 2013 waren getragen vom originellen Humor
       einer jungen Generation, die mit Satiremagazinen aufgewachsen war.
       Wasserwerfern und Tränengas stellten sie sich mit trotzigen Slogans
       entgegen. „Gezi war voller Hoffnung. Die Leute haben den unglaublichen
       Groll, der sich in ihnen aufgestaut hat, auf die Wände gespuckt“, erinnert
       sich Serkan Altuniğne. „Im Sommer 2013 wurden die meisten Satiremagazine in
       den letzten zehn Jahren verkauft.“
       
       ## Hoffnungslosigkeit erstickt das Lachen
       
       Im heutigen Ausnahmezustand ist von der humorvollen Aufbruchsstimmung nicht
       mehr viel übrig. Serkan Altuniğne lacht viel, doch was die Rolle der Satire
       in der heutigen Türkei angeht, ist er pessimistisch. „Eigentlich lieben die
       Türken Humor. Aber über dem Land liegt eine solche Hoffnungslosigkeit, dass
       das Lachen erstickt wird“, sagt er.
       
       Auch für die Karikaturist*innen wird unter dem repressiven Kurs der
       AKP-Regierung der Raum für Kritik immer enger. Seit 180 Tagen sitzt Musa
       Kart, der Karikaturist der oppositionellen Tageszeitung Cumhuriyet im
       Hochsicherheitsgefängnis Silivri. Als er am 31. Oktober 2016 abgeführt
       wurde, sagte er: „Im Moment fühle ich mich, als würde ich selbst in einer
       Karikatur leben. Was wir hier erleben, ist grotesk.“
       
       Serkan Altuniğne erzählt, dass Selbstzensur schon vor dem Ausnahmezustand
       ein Problem gewesen sei. Doch seit dem Putschversuch seien sie noch
       vorsichtiger. „Wenn wir ein Cover planen, überlegen wir 58 Mal, ob uns
       etwas passieren kann, wenn wir das zeichnen, was wir kritisieren wollen.“
       Die Regierung geht klug vor, analysiert Sabine Küper-Büsch: „Sie lässt den
       Karikaturisten ihren Raum, zwingt sie aber in den abgehobenen Bereich.
       Damit wird ihnen der oppositionelle Stachel gezogen: Statt Missstände
       verständlich zu zeigen, sind die Karikaturen abstrakt und erreichen dadurch
       nur noch die Menschen, die sowieso gegen Erdoğan sind.“
       
       Anders als in politischen Umbruchsphasen der Vergangenheit sinken heute die
       Verkaufszahlen. Dem Pinguin mit den umgeschnallten Holzflügeln, dem Emblem
       des Satiremagazins Penguen, haben letztendlich die Finanzen das Genick
       gebrochen: Um unabhängig zu sein, haben die Zeichner*innen von Penguen auf
       Reklame verzichtet. Die Karikaturen werden nach wie vor viel gelesen – doch
       die Verbreitungswege der Satire ändern sich. In den sozialen Medien werden
       die Karikaturen zwar geteilt, aber die Hefte bleiben an den Kiosken liegen.
       Die Menschen, so scheint es, haben in diesem Land, in dem niemand weiß, was
       morgen kommt, genug damit zu tun, ihren Alltag aufrechtzuerhalten.
       
       ## Karikaturist*innen finden immer einen Weg
       
       Serkan Altuniğne war gerade mit seinen Kollegen auf der Buchmesse in Izmir
       – es war ein Abschied von den Leser*innen. Stundenlang hätten Menschen
       gewartet, um sich ihr Penguen-Magazin signieren zu lassen. „Unsere
       Leser*innen lieben unser Magazin sehr, aber sie verstehen uns auch: Auch
       sie sind gerade nicht in der Stimmung, Karikaturhefte zu kaufen“, sagt er.
       
       Die Karikaturistin Ramize Erer hat dennoch Hoffnung. Sie bringt zusammen
       mit anderen Zeichnerinnen das feministische Satiremagazin Bayan Yanı heraus
       und hat mit „kötü kız“ (deutsch: „böses Mädchen“) einen aufmüpfigen,
       provozierenden weiblichen Charakter erfunden. Sie ist überzeugt: Satire ist
       immer noch die oppositionelle Stimme, die in den Mainstreammedien nicht
       vorkommt. „Wenn der politische Druck steigt, wenden sich die Menschen der
       Satire zu. Das spiegelt sich nicht in den Verkaufszahlen wider, aber über
       die sozialen Medien finden die Karikaturen eine weite Verbreitung.“
       
       Erer, die kürzlich mit dem Preis für kreativen Mut des Comicfestivals in
       Angouleme ausgezeichnet wurde, will sich nicht den Mund verbieten lassen:
       „Karikaturist*innen finden immer einen Weg, das auszudrücken, was sie sagen
       wollen.“
       
       3 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Elisabeth Kimmerle
       
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