# taz.de -- nord.thema: Erst muhen und dann ans Mikrofon
       
       > STIMMAUsBILDUNG Ob Laie oder BerufsschauspielerIn, PastorIn oder
       > professionelle Sprecherin – beim Bremer Workshop „Mikrofonsprechen“ kann
       > jeder lernen, den richtigen Ton zu treffen und das angemessene
       > Sprachtempo zu finden
       
 (IMG) Bild: Konzentration ist gefragt, wenn Eva Gosciejewicz einem Seminarteilnehmer erklärt, wie er mit seiner Stimme aus dem Text am meisten rausholen kann
       
       von Vanessa Reiber
       
       „Der Körper muss gestimmt werden.“ Als Eva Gosciejewicz das sagt, ahne ich
       noch nicht, was sie damit meint. Wenige Augenblicke später imitieren sie,
       ich und die anderen Teilnehmenden von „Mikrofonsprechen in Bremen“ das
       Muhen einer Kuh. Weiter geht es mit dem „Tsch, tsch, tsch“ einer Lokomotive
       und „Kikeriki“.
       
       Menschen machen sich hier sprichwörtlich zum Affen. Immerhin sitzen wir
       dabei in einem Stuhlkreis und müssen nicht auch noch merkwürdige Bewegungen
       ausführen. Auf die Körperhaltung wird dennoch geachtet: Wer das Sprechen am
       Mikrofon erlernen möchte, muss sich gerade halten. Unangenehm scheint die
       ungewohnte Situation niemanden der Anwesenden zu sein, laut tönen ihre
       Stimmen durch die kleine Küche.
       
       Die Stimmung ist gelöst, bei all den Grimassen und Geräuschen wird viel
       geschmunzelt und gelacht. Dadurch, dass wir beim „Arbeits-Du“ sind und so
       dicht zusammensitzen, scheint keiner der Teilnehmenden Hemmungen zu haben.
       
       Wohin die Übungen am Ende führen sollen, zeigt Gosciejewicz wenig später.
       Während wir gemeinsam mit Hörspielregisseur Marco Nola im Regieraum sitzen,
       steht die Schauspielerin und Sprecherin im Tonstudio. Warm und ruhig tönen
       ihre Worte durch das Mikrofon. Nur durch ihre Stimme kann sie Bilder im
       Kopf ihrer Zuhörenden entstehen lassen. „Nur Evas Stimme zu hören, ohne sie
       zu sehen, war viel intensiver“, sagt Teilnehmerin Sabine.
       
       Dass Gosciejewicz und Nola ein eingespieltes Team sind, zeigt sich schon
       bei der kurzen Aufnahme: Mühelos kann die Sprecherin die Anweisungen des
       Regisseurs umsetzen. Gemeinsam zeigen die beiden die Eigenarten des
       Mikrofonsprechens: Eine größere Distanz zum Mikro verhindert Ploppgeräusche
       die bei B- oder oder P-Lauten entstehen können. Spricht Gosciejewicz in
       Richtung der gedämmten Wand, klingt es, als käme ihre Stimme aus einem
       anderen Raum.
       
       ## Nur vorzulesen, reicht nicht
       
       Seit Anfang dieses Jahres, gibt es das Angebot „Mikrofonsprechen in
       Bremen“, kurz MIB. Fünf bis acht Teilnehmende können im Tonstudio von Marco
       Nola den Umgang mit dem Mikrofon erlernen. Nola selbst ist mit dem
       Mikrofonsprechen groß geworden. Bereits im Alter von sechs Jahren arbeitete
       er als Hörspielsprecher. Mit elf Jahren sprach er die Rolle des Sohnes in
       der Hörspielreihe „Papa, Charly hat gesagt …“.
       
       „Die Idee für ein solches Sprechtraining hatte ich schon sehr lange, doch
       mir fehlten die passenden Mitstreiter“, berichtet Nola. Immer wieder hätten
       SchauspielerInnen, MusikerInnen oder Bekannte ihn gefragt, ob sie in seinem
       Tonstudio Probeaufnahmen machen dürften. „Einige waren nur neugierig,
       andere – zum Beispiel Schauspieler und Schauspielerinnen – brauchen
       Audiofiles für ihre Homepages“, sagt der Produzent.
       
       Mittlerweile habe sich der Kreis der Interessierten erweitert. „Einige
       PastorInnen und die Bremer Kunsthalle suchen nach einer
       Mikrofonsprechschulung“, so Nola. Die Teilnehmenden des heutigen Seminars
       kommen ebenfalls aus unterschiedlichen Kontexten: Einer ist
       Berufschullehrer, andere arbeiten beruflich mit Headsets, eine andere
       Teilnehmerin arbeitet als Sprachtherapeutin.
       
       Nola und Gosciejewicz lernten sich über ihren gemeinsamen Freund Christian
       Bergmann kennen. Auch Bergmann arbeitet als Schauspieler und Sprecher.
       „Beim ersten Treffen mit Eva, habe ich gemerkt, dass es einfach passt“, so
       Nola. Neben Bergmann gehört Imke Albert, die häufig für Nola als Cutterin
       arbeitet und Teilhaberin eines gemeinsamen Tonstudios ist, zum Team von
       MIB. Nola sieht die intensive Betreuung durch vier Trainer als
       Alleinstellungsmerkmal des Seminars an.
       
       Davon profitieren die Teilnehmenden in der nächsten Übung. Jeder bekommt
       einen kurzen Prosatext oder ein Gedicht, dass er einsprechen soll. Ich
       bekomme das Gedicht „Glücklich und endlich“ von Dieter Leisegang. Nun gilt
       es, mich mit dem Material vertraut zu machen. Beim ersten Vortragen, noch
       ohne Mikro, wird mir schnell klar, dass ich seit der Schulzeit keinen Text
       mehr vorgetragen habe. „Versuch den Bildern, einen Raum zu geben“, sagt
       Gosciejewicz zu mir. Soweit bin ich noch nicht. Ich frage mich noch, wo ich
       Pausen setzen will und ob ich das Wort „Balkon“ französisch oder deutsch
       aussprechen soll.
       
       ## „Das ‚Ohr‘ hört alles“
       
       Nach einer kurzen Phonetik-Übung, dieses Mal sagen wir „Schokolade“ und
       „Ja, hallo, guten Tag“ geht es nun an das Mikrofon. Ich höre lieber erst
       mal den anderen zu, bevor ich mich selbst in das Studio wage.
       
       Ziemlich verloren fühle ich mich, als ich allein mit meinem Text dastehe
       und die anderen nur durch eine Glasscheibe sehe. So richtig gelingen will
       mir das Sprechen nicht. Nach der ersten Aufnahme sagt Regisseur Nola, dass
       ich viel zu schnell sprechen würde. Kam mir gar nicht so vor. „Sprich so
       langsam, dass du denkst, dass es langweilig wird“, rät er mir. Dann sei es
       genau das richtige Tempo. Er selbst habe auch lange Probleme gehabt, die
       richtige Sprechgeschwindigkeit zu finden. Beim zweiten Versuch kommt mir
       meine Stimme sehr unnatürlich vor. „Du musst den Text erzählen wollen“,
       sagt Gosciejewicz. „Wir wollen in deiner Stimme hören, dass du entspannt
       auf dem Balkon sitzt.“ Nach einigen Versuchen und Kritik schaffe ich es
       endlich, mein Gedicht einzusprechen. Richtig warm bin ich mit der Situation
       trotzdem nicht geworden.
       
       Während mein Hauptproblem das zu schnelle Tempo ist, haben andere
       Teilnehmende Schwierigkeiten mit der Intonation oder der Aussprache
       einzelner Wörter. „Viele Sprecher sind so konzentriert, dass sie zum
       Beispiel die Endung ‚-ig‘ nicht wie ‚-ich‘ aussprechen“, so Nola. Das sei
       jedoch falsch. Gerade am bei den ersten Sprechversuchen sei es schwierig,
       auf eine korrekte Aussprache und die Interpretation des Textes zu achten.
       
       „Marco ist das ‚Ohr‘ und hört alles“, so Gosciejewicz. Als sie ihm einmal
       Sprachproben von sich vorgespielt habe, habe er bei einer der Aufnahmen
       sofort gefragt, ob sie ohne Regie gearbeitet habe. „Ich war ziemlich
       perplex, dass er einen so starken Unterschied hört“, so die Schauspielerin.
       Beiden ist wichtig, dass Hörspiele mit Regie aufgenommen werden, da dies
       die Qualität verbessere. „Einfach nur vorzulesen, reicht eben nicht für
       eine gute Produktion“, so Nola.
       
       Später im Seminar sollen wir zu zweit oder zu dritt kleine Szenen
       einsprechen. Gemeinsam mit Ulrike spiele ich einen geheimen Waffenhandel.
       Zu zweit vor den Mikrofonen zu stehen ist deutlich einfacher: Das Spiel mit
       einer anderen Person ist weniger verkrampft. Am Ende ist mein Sprachtempo
       sogar von Vorteil: Maschinengewehrschnell zähle ich unterschiedliche
       Waffenmodelle auf.
       
       Eine andere Gruppe spricht einen Dialog aus der Piratengeschichte
       „Blackbeard“. Der betrunkene Heini und Olaf und Christa, die sich über ihn
       lustig machen, wirken schon nach kurzer Zeit wie ein eingespieltes
       Sprecherteam. Sie haben sichtlich Spaß daran, an den Feinheiten ihrer
       Rollen zu arbeiten.
       
       „Spaß am Mikrofonsprechen“ möchten Nola, Gosciejewicz und ihr Team in den
       Seminaren vermitteln. „Die Arbeit der SprecherInnen ist ein Handwerk, das
       trainiert werden muss“, so Gosciejewicz. Das Seminar sei der erste Schritt
       zur Sprecherausbildung. Nola vergleicht das Mikrofonsprechen mit
       Fahrradfahren: „Scheitern zu Beginn gehört dazu, aber irgendwann klappt es
       dann fast wie von allein.“
       
       Nächste Termine: Freitag, 23. 6., bis Samstag, 24. 6.; Samstag, 8. 7., bis
       Sonntag, 9. 7.; Anmeldung unter info@mib-bremen.de
       
       6 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Vanessa Reiber
       
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