# taz.de -- Kommentar Proteste gegen das „Ja“-Votum: Schlau von Erdogan
       
       > Die Proteste gegen mutmaßlichen Wahlbetrug müssen Erdogan nicht
       > beunruhigen. Ohne politische Führung verläuft die Nein-Bewegung ins
       > Leere.
       
 (IMG) Bild: Er wartet ab: Erdogan
       
       Am dritten Abend in Folge gingen am Dienstag in mehreren Städten der Türkei
       Menschen auf die Straße, [1][um gegen den mutmaßlichen Wahlbetrug bei der
       Volksabstimmung über das Präsidialsystem Recep Tayyip Erdogans zu
       protestieren.] Es sind mutige Menschen, denn aus der Vergangenheit weiß
       man, dass Erdogan durchaus in der Lage ist, Demonstrationen auch gewaltsam
       auflösen zu lassen, selbst wenn dabei Demonstranten getötet werden.
       
       Noch hält sich die Polizei aber weitgehend zurück. Am Dienstagabend konnten
       die Menschen im Istanbuler Stadtteil Besiktas friedlich demonstrieren, ohne
       dass sich die gefürchtete Bereitschaftspolizei blicken ließ. Es ist schlau
       von Erdogan, dass er die Leute im Moment einfach laufen lässt, denn wie es
       aussieht, drohen die Proteste damit langsam ins Leere zu laufen.
       
       Zwar herrschte in Besiktas auch am Dienstagabend gute Stimmung, doch man
       kann nicht behaupten, dass sich die Zahl der Demonstranten erkennbar erhöht
       hätte. Und die zwei bis dreitausend Menschen, die in Besiktas oder Kadiköy,
       in Ankara und Izmir jeweils auf die Straße gehen, sind für Erdogan keine
       echte Gefahr. Er kann sie ignorieren. Noch ein paar Tage, dann werden diese
       kleinen Manifestationen des Widerstands wohl im Sande verlaufen.
       
       Das liegt daran, dass die beiden großen Oppositionsparteien, die
       sozialdemokratische CHP und die kurdisch-linke HDP die Demonstranten
       weitgehend allein lassen. Sie beschränken sich bislang darauf, vorhersehbar
       wirkungslose Einsprüche bei der Wahlkommission einzulegen. Die HDP hat das
       Problem, dass ihre Führung bereits seit Oktober letzten Jahres im Gefängnis
       sitzt. Dabei wäre jetzt ein Mann wie Selahattin Demirtas, der
       Co-Vorsitzende der HDP, der mit seinem Charisma wirkliche Massen auf die
       Straße bringen könnte, die einzige Chance, aus dem vereinzelten Widerstand
       eine echte Bewegung zu machen.
       
       Die Nein-Bewegung bräuchte jetzt eine politische Führung. Doch die CHP war
       seit Erdogans Amtsantritt 2003 dazu nie in der Lage, und der sympathische
       aber im wahrsten Sinne des Wortes harmlose CHP Chef Kemal Kilicdaroglu wird
       auch jetzt nicht zum Volkstribun werden. Wie es aussieht, gibt es keinen
       wirklichen Grund für Erdogan, beunruhigt zu sein.
       
       19 Apr 2017
       
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