# taz.de -- Fahrradkurier-Gewerkschaft in Berlin: Am Ende der Nahrungskette
       
       > Fahrrad-Essenslieferanten sind die Super-Start-ups. Gar nicht super sind
       > aber ihre Arbeitsbedingungen. In Berlin organisieren sich nun
       > Fahrer*innen.
       
 (IMG) Bild: Immer in Eile, weil die Pasta nicht kalt werden darf: Fahrradkurier mit typischem Würfelrücken
       
       BERLIN taz | Der Arbeitskampf der Essenskuriere von Foodora und Deliveroo
       beginnt auf Klappstühlen aus Plastik. Mehr als 100 Personen sitzen am
       Dienstagabend im Kino „Zukunft am Ostkreuz“ zusammen, die meisten von ihnen
       verdienen ihr Geld auf dem Rad. Sie wollen eine Branche organisieren, die
       gemeinhin als nicht organisierbar gilt – zu prekär, zu viel Fluktuation.
       
       „Foodora und Deliveroo können ohne die Fahrerinnen und Fahrer nicht
       existieren“, sagt Zuzia, „und trotzdem behandeln sie uns wie das Ende der
       Nahrungskette.“ Die junge Frau ist ein Jahr lang für Deliveroo gefahren,
       jetzt sitzt sie auf dem Podium der Veranstaltung. Ihren Nachnamen nennt sie
       nicht. Eingeladen hat die Anarcho-Gewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und
       Arbeiterunion (FAU). An der Wand hinter Zuzia prangt der Schriftzug
       #Deliverunion – es ist der Berliner [1][Auftakt einer Kampagne], die
       Basisgewerkschaften europaweit im November 2016 angestoßen haben.
       
       Ein Mausklick, und 30 Minuten später bringt eine Fahrradkurierin einem das
       noch dampfende Essen direkt an die Haustür – ganz CO2-neutral. Das ist das
       Image, mit dem Foodora und Deliveroo werben, den Fahrer*innen versprechen
       sie jede Menge Flexibilität. Die Realität ist weniger schillernd: Wer für
       eins der beiden Start-ups arbeiten möchte, muss Fahrrad, Smartphone und
       ausreichend Datenvolumen selbst stellen, auch nötige Reparaturen gehen auf
       Kosten der Kurier*innen.
       
       „Wir haben es hier mit einer Uberisierung des Arbeitsmarktes zu tun“, sagt
       Clemens Melzer, Pressesekretär der FAU. Er spielt damit auf den Taxidienst
       Uber und andere Unternehmen an, deren Geschäftsmodell auf der Vermittlung
       von Aufträgen basiert – oft zu prekären Arbeitsbedingungen. Melzer ist Teil
       der noch jungen „Arbeitsgruppe (AG) Delivery“ in der FAU.
       
       „Unsere Sprechstunden sind voll, viele Fahrer*innen suchen Rat bei uns“,
       sagt Melzer. In beiden Unternehmen hat die FAU inzwischen Mitglieder, die
       AG hat in den vergangenen Wochen einen zentralen Forderungskatalog
       erstellt. Dazu gehört neben mehr Transparenz und der Übernahme von
       Reparaturkosten auch eine bezahlte Stunde pro Woche für die Schichtplanung
       und mindestens ein Euro mehr pro ausgeliefertem Essen.
       
       ## „Arbeit auf Abruf“
       
       Die Liste der Probleme ist lang. Als kleine Start-ups gestartet, sind
       Deliveroo und Foodora rasant gewachsen, Investoren haben große Summen
       fließen lassen, gerade in Berlin sind beide Unternehmen in einen
       knallharten Konkurrenzkampf getreten. Das wirkt sich auf die
       Arbeitsbedingungen aus.
       
       „Andauernd ändern sich die Bedingungen, und zwar meistens zulasten der
       Beschäftigten“, sagt Ben. Er war von Anfang an dabei, als sich im Sommer
       2016 langsam der Protest formierte. Ben ist nicht sein richtiger Name, doch
       den will er nicht in der Zeitung lesen. „Klar, vielen von uns macht der Job
       Spaß – aber das heißt ja nicht, dass man uns deswegen nicht bezahlen muss.“
       
       Bei Foodora sind alle der mehr als 450 Fahrer*innen in Berlin fest
       angestellt. Bei Deliveroo trifft dies heute auf einen Großteil der über 500
       Kurier*innen zu. Selbstständige bekommen 4,75 Euro pro Lieferung,
       Angestellte 9 Euro pro Stunde plus 1 Euro pro Lieferung.
       
       Ein gesichertes monatliches Einkommen bedeutet das aber nicht: Als „Arbeit
       auf Abruf“ kritisiert er das, was das Unternehmen „Flexibilität“ nennt:
       „Die Fahrer müssen jederzeit verfügbar sein, sie sind ja auf das Geld
       angewiesen.“ – „Ich habe echt Probleme, auf die vertraglich vereinbarte
       Anzahl von Schichten zu kommen“, bestätigt Ben. „Das ist immer noch gig
       economy, obwohl ich angestellt bin.“ Das Wort „gig economy“ kommt aus der
       Musikbranche, wo sich Bands von einem „Gig“ – Auftritt – zum nächsten
       hangeln und danach bezahlt werden.
       
       Ben ist froh, dass so viele zur Veranstaltung gekommen sind: „Die Leute
       müssen wissen, dass sie sich einbringen können“, sagt er. „Und dass die
       Unternehmen wissen, dass wir nicht alles mit uns machen lassen.“
       
       Auch Melzer von der FAU ist optimistisch. Dass er es hier mit einer
       „unorganisierbaren“ Branche zu tun habe, will er nicht gelten lassen: „Die
       Deliverunion zeigt, dass wir mit unterschiedlichen gewerkschaftlichen
       Strategien die Bedingungen der Fahrer verbessern können“, sagt er und
       verweist auf London, wo 2016 Deliveroo-Fahrer*innen gestreikt haben.
       
       ## Kämpferische Betriebsgruppen statt klassischer Betriebsrat
       
       Als Basisgewerkschaft setzt die FAU auf kämpferische Betriebsgruppen statt
       eines klassischen Betriebsrats. Und auf direkte Aktionen – „egal ob Streik
       oder öffentlichkeitswirksamer Protest“, sagt Melzer. Zunächst jedoch werde
       man Foodora und Deliveroo den Forderungskatalog übergeben. „Mal sehen, ob
       die dann gesprächsbereit sind.“
       
       Dass es auch klassisch geht, zeigt das Beispiel Wien: Dort haben
       Fahrer*innen Ende März den ersten Foodora-Betriebsrat europaweit gegründet.
       Man sei bezüglich der Zusammenarbeit zuversichtlich, heißt es aus der
       Foodora-Zentrale in Berlin. Die konkreten Gespräche würden in Kürze
       aufgenommen.
       
       Die „Uberisierung“ des Arbeitsmarkts – es ist ein Modell, das klassische
       Gewerkschaftsarbeit vor neue Herausforderungen stellt. „Die ändern ihre
       Strategie, dann müssen wir das auch tun“, sagt Melzer. Und mahnt an: „Es
       ist wichtig, dass wir uns als Gewerkschaft hier frühzeitig wirksam
       aufstellen.“
       
       26 Apr 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://deliverunion.com/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dinah Riese
       
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