# taz.de -- Lastenräder im Selbstbau: Der lange Weg zum langen John
       
       > Aus alten Schubkarren und Klappbetten können neue Lastenräder entstehen.
       > Christophe Vaillant zeigt, wie das geht – online und offline.
       
 (IMG) Bild: In Christohe Vaillants Werkstatt soll man sich die Hände schmutzig machen
       
       Den Mann im Schuppen übersieht man fast, alles an ihm ist unscheinbar:
       seine Brille, sein Haarschnitt, seine Kleidung, seine Haltung. Doch wenn er
       spricht – und er spricht nicht viel –, zieht er alle Aufmerksamkeit auf
       sich. Er strahlt Ruhe und Kompetenz aus. Seine Stimme ist warm und weich,
       ab und zu klingt ein Pfälzer Singsang durch, dem auch zehn Jahre Berlin
       nichts anhaben konnten.
       
       Der Mann heißt Christophe Vaillant und ist Produktdesigner. In seiner
       Freizeit hilft er Menschen, Lasten-Fahrräder zu bauen. Weil Autos, die mit
       Benzin führen, bald ausgedient hätten, sagt er – bald sei kein Öl mehr da.
       Und weil er es schön finde, „wenn die Leute wieder einen Bezug bekommen zu
       den Dingen, die sie benutzen“.
       
       Christophes Refugium sind ein Schuppen und eine Scheune in Treptow im Osten
       Berlins. Der Schuppen sieht aus wie eine nach vorn geöffnete
       Schuhschachtel, überall stapeln sich Werkzeuge. In der Scheune werden die
       Räder gebaut – von den Teilnehmern der Lastenrad-Werkstatt, die an zwei
       Abenden pro Woche geöffnet ist. Sie wird abwechselnd von Christophe und
       drei Kollegen betreut.
       
       „Die Technik in einfacher Sprache zu erklären, war das Schwerste“, sagt
       Christophe. Er hat eine Anleitung im Internet [1][für alle zugänglich
       gemacht]: In einem Wiki, also auf einer Plattform, deren Benutzer die Texte
       ändern und erweitern können, wie bei der Wikipedia. Inzwischen haben viele
       ihre Fahrrad-Baupläne hier eingestellt.
       
       So kam er zum Lastenrad-Bauen, vor ungefähr sechs Jahren. Damals ärgerte er
       sich darüber, dass Softwareprogramme oft unter Verschluss gehalten statt im
       Netz geteilt würden: „Konzerne lassen häufig spannende Dinge entwickeln,
       horten die Erfindungen dann aber in Schubladen, um einen Marktvorteil zu
       haben.“
       
       ## Von der Kleidertauschparty zum Fahrradbau
       
       Mit ein paar Freunden begann er zu überlegen, wie Erfahrung, Wissen, aber
       auch Gebrauchsgegenstände frei zugänglich gemacht werden könnten. Sie
       organisierten Kleidertauschpartys, experimentierten mit offenen Gärten und
       luden Fahrradbauer ein, die die Gruppe im Lastenrad-Bauen unterrichteten.
       
       Das Wiki nutzen mittlerweile auch Schulklassen. Christophe Vaillant schickt
       ihnen per Post einen Werkzeugkoffer. Bauen müssen die Schüler ihr Lastenrad
       allein, notfalls können sie ihn kontaktieren. „Haptische Bibliothek“ nennt
       sich das Projekt.
       
       Andere kommen einmal die Woche in die Werkstatt nach Treptow. Wie Lukas,
       ein großer, attraktiver Mann Anfang dreißig, stahlblaue Augen,
       Hipster-Bart, Jeans, grünes Sweatshirt und Sneakers. Mit dynamischen
       Schritten biegt Lukas ums Eck. „Moin“, sagt er Kaugummi kauend und reibt
       sich die Hände.
       
       Bett, Schreibtisch, Küche: Alles hat er selbst gebaut – der Ausgleich zu
       seinem Bürojob. Lukas will ein Lastenrad, um Einkäufe zu transportieren.
       Praktisch findet er ein Lastenrad auch für seinen kleinen Sohn. Sein Auto
       nutzt er kaum, die Parkplatzsuche findet er stressig. „Aber transportier
       mal einen Kasten Sprudel auf einem normalen Rad – das nervt ganz schön.“
       
       ## Scheitern ist erlaubt
       
       Schon seit einem Dreivierteljahr werkelt er an seinem Rad, normal sind eher
       drei Monate. Lukas braucht länger, weil er oft von der Anleitung abweicht.
       „Das kostet Zeit und klappt nicht immer, aber bei uns soll man Dinge
       ausprobieren können, Scheitern inklusive“, sagt Christophe. „Das Mühselige
       schafft eine Verbindung.“
       
       Von den gängigen Lastenrad-Grundmodellen hat Lukas sich den Klassiker
       ausgesucht: ein Zweirad mit Ladefläche zwischen Lenker und Vorderrad, auch
       Long John oder Long André genannt. Heute will Lukas die Ladefläche bauen –
       aus einer alten Kunststoffplatte, die einst Teil einer Ausstellung war. Auf
       die Ladefläche kann man dann noch eine Wanne montieren, hergestellt etwa
       aus einer Schubkarre, einem alten Klappbettgestell oder einem ausrangierten
       Einkaufswagen.
       
       Bis zu siebzig Kilo soll die Ladefläche aushalten; auch Lukas Freundin soll
       auf ihr mitfahren können – oder gleich mit dem Lastenrad selbst. Deshalb
       hat Lukas auch einen niedrigen, „frauenfreundlichen“ Einstieg gewählt.
       
       Seiner Freundin aber ist das ganze Projekt eher egal, und damit ist sie
       keine Ausnahme: Letztes Jahr hat nur eine einzige Frau ein Rad bei
       Christophe gebaut, für ihren Hund. Ab Sommer soll eine Frau die Werkstatt
       leiten. Christophe hofft, dass das weitere Frauen anzieht.
       
       14 Apr 2017
       
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