# taz.de -- Niedersachsen-Kommunen blockieren medizinische Versorgung von Flüchtlingen: Einführung der Gesundheitskarte krankt
       
       > Fast alle niedersächsischen Kommunen weigern sich, eine elektronische
       > Gesundheitskarte für Flüchtlinge einzuführen, die deren medizinische
       > Versorgung erleichtert. Sie fürchten zu hohe Kosten und eine zu gute
       > Behandlung der Schutzsuchenden
       
 (IMG) Bild: Könnte Geflüchteten eine menschenwürdige medizinische Versorgung gewähren: Gesundheitskarte
       
       HAMBURG taz | Mal schnell zum Arzt – für Geflüchtete ist das in
       Niedersachsen nicht möglich. Der Grund: Die flächendeckende Einführung der
       elektronischen Gesundheitskarte für Flüchtlinge im Land krankt gewaltig.
       Für die medizinische Versorgung von Asylbewerbern sind die Kreise
       zuständig. Und ein Jahr nach dem offiziellen Startschuss der elektronischen
       Karte hat nur eine Kommune sie tatsächlich in Gebrauch. Allein Delmenhorst
       nutzt sie seit Jahresbeginn.
       
       Mit der Karte können Flüchtlinge in den ersten 15 Monaten nach ihrer
       Ankunft in Deutschland ohne weitere Formalitäten zum Arzt gehen. Später
       wird die Behandlung von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Ohne
       Gesundheitskarte aber müssen Geflüchtete sich vor jedem Arztbesuch einen
       Behandlungsschein holen, um ärztlich versorgt zu werden.
       
       Ein zeit- und arbeitsaufwendiges Prozedere, das sich besonders bei akut
       auftretenden Beschwerden als unpraktikabel erwiesen hat. „Wenn Flüchtlinge
       erst zum Sozialamt müssen, geht Zeit verloren, was den Krankheitsverlauf
       verschlimmern kann“, kritisiert Kai Weber vom niedersächsischen
       Flüchtlingsrat. Zudem würden auf den Sozialämtern oft medizinische Laien
       über den Behandlungsbedarf der Flüchtlinge entscheiden.
       
       Trotzdem kommt die Karte nicht voran. Der Grund für die landesweite
       Schneckennummer: Viele Kommunen befürchten höhere Kosten und sehen den
       Verwaltungskostenbeitrag für die Krankenkasse in Höhe von acht Prozent pro
       Rechnung als unangemessen hoch an. Auch haben Flüchtlinge laut Gesetz nur
       Anspruch auf eingeschränkte medizinische Leistungen – sie sind Patienten
       dritter Klasse.
       
       Doch ob vom Arzt nur die Behandlungen vorgenommen werden, die unter die
       „Standards“ des Asylbewerberleistungsgesetzes fallen, lässt sich mit
       Einführung der Karte für die Kommunen nicht mehr kontrollieren. „Das System
       ist zu teuer und in der aktuellen Ausgestaltung eine zusätzliche Belastung
       für die Kommunen“, bringt der sozialpolitische Sprecher der
       CDU-Landtagsfraktion, Max Matthiesen, die Bedenken der Landkreise auf den
       Punkt.
       
       In Delmenhorst teilt man diese Bedenken nicht. „Die Einführung der
       elektronischen Gesundheitskarte ist hier insgesamt erfolgreich verlaufen“,
       teilt eine Sprecherin der Stadt mit. Seit dem 1. Januar seien 517
       Krankenkassenkarten in Zusammenarbeit mit der Barmer GEK ausgegeben worden.
       
       In Hannover denken die politischen Gremien derweil immerhin darüber nach,
       eine elektronische Gesundheitskarte einzuführen. Im Januar wurden Experten
       dazu im Sozialausschuss angehört. „Eine Entscheidung gibt es noch nicht“,
       sagt Andreas Möser, Sprecher der Landeshauptstadt.
       
       Hildesheim hat dagegen ein eigenes Modell mit einer nicht-elektronischen
       Karte entwickelt. Flüchtlinge erhalten hier eine Karte mit Lichtbild, die
       bei Ärzten im Landkreis genutzt werden kann. Es gibt dabei keine
       Kooperation mit den Krankenkassen. „Es gibt hier – im Gegensatz zur
       elektronischen Gesundheitskarte – keine Prüfung der ärztlichen Abrechnung
       auf deren sachliche und rechnerische Richtigkeit“, teilte das
       Sozialministerium in Hannover mit.
       
       Das Ministerium weist auf die Vorteile der Karte hin: „Die elektronische
       Gesundheitskarte für Asylbewerber ist ein wichtiges Instrument, um
       Geflüchteten eine menschenwürdige medizinische Versorgung zu gewähren.
       Zudem wird durch die Karte der Verwaltungsaufwand für die Kommunen
       verringert“, wirbt Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) für das
       Instrument.
       
       In Bremen, Hamburg und auch in Schleswig-Holstein ist eine elektronische
       Karte schon seit längerer Zeit flächendeckend in Gebrauch. Anders als in
       Niedersachsen ziehen die Kommunen im nördlichsten Bundesland mit. Das
       Abrechnungsmodell gilt überall als Erfolg. „Sie bietet Geflüchteten einen
       diskriminierungsfreien Zugang zu ärztlicher Versorgung“, lobt Hamburgs
       Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) die hier schon 2012 eingeführte
       Karte.
       
       29 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marco Carini
       
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