# taz.de -- Leben In Bremen treffen sich KurdInnen im Verein Birati, um Tee zu trinken und über Politik zu diskutieren: Wie kann man den türkischen Präsidenten stoppen, der den Kurden gerade wieder den Krieg erklärt?: Diskutieren über Erdoğan
       
 (IMG) Bild: Familientreffen in Hannover: Kurden beim traditionellen kurdischen Neujahrsfest im März 2016
       
       AUS BREMEN UND OSTERHOLZ-SCHARMEBEK Vanessa Reiber
       
       An den großen Fenstern hängen Sichtschutzfolien, sodass niemand von außen
       hineinsehen kann. Streifen in der Farben Rot, Gelb und Grün verraten
       dennoch, wer sich in der Bremer Neustadt trifft: Der Verein Birati e. V.
       ist die zentrale Anlaufstelle für KurdInnen in Bremen und Umgebung. Trotz
       des Namens, der aus dem Kurdischen übersetzt „Bruderschaft“ bedeutet, gehen
       hier auch Frauen und Kinder ein und aus.
       
       Am Donnerstagnachmittag ist wenig los. Eine Gruppe von Männern sitzt bei
       Tee aus kleinen Gläsern in einer Runde zusammen an einem Holztisch neben
       der Tür. Im Fernsehen läuft eine kurdische Musiksendung, der wenig
       Beachtung geschenkt wird. Wer zur Runde dazukommt, begrüßt alle Anwesenden
       mit Handschlag, ein Mann weiter hinten in dem großen Raum bringt noch mehr
       Tee für Neuankommende.
       
       Kenan, der 1998 aus der Türkei nach Deutschland flüchtete, kommt drei bis
       viermal die Woche hierher. Gerade sei es sehr ruhig, die meisten KurdInnen
       kämen am Wochenende, wenn sie nicht arbeiten müssten. 460 Mitglieder hat
       der „Verein zur Förderung demokratischer Gesellschaft Kurdistans“, so der
       offizielle Beiname, derzeit. „Das hier ist ein offener Ort, es können auch
       Nichtmitglieder vorbeikommen“, sagt Kenan und deutet auf die vielen Tische
       und Stühle, die an Schulmobiliar erinnern.
       
       Eine Person im Raum scheint doch auf das Fernsehprogramm zu achten. „Der
       da, der mit der Geige, das ist mein Cousin“, ruft der Mann. Sein Name ist
       Mohsen, er ist ebenfalls Musiker und stammt aus dem Iran. Donnerstagabends
       gibt er hier Kurse für das Spiel der Daf, einer kreisrunden Rahmentrommel.
       In seinem Kurs würden kurdische Folklorelieder gesungen, sagt Mohsen, es
       kämen überwiegend Frauen.
       
       Musikgruppen und Chöre gibt es einige hier. Der 80-köpfige Kinderchor des
       Vereins trat am Dienstag vergangener Woche beim traditionellen kurdischen
       Neujahrsfest Newroz auf, dass die KurdInnen in Deutschland in diesem Jahr
       in Frankfurt feierten. Fünf Busse aus Bremen fuhren zu dem Fest. „Dass
       allgemein mehr Menschen zur Kundgebung kamen, zeigt, dass das kurdische
       Volk sich nicht unterdrücken lässt“, sagt Fatma, eine junge Frau, die sich
       in der Hochschulgruppe YXK dafür einsetzt, „die kurdische Frage an die Unis
       zu bringen“.
       
       Fatma gehört zur zweiten Generation der KurdInnen in Deutschland. Die
       meisten KurdInnen kamen Anfang der Sechzigerjahre als türkische
       Gastarbeiter nach Deutschland. Wie viele KurdInnen es in Deutschland gibt,
       lässt sich nur schätzen, da Kurdistan nicht als Staat gilt und die
       ankommenden Menschen somit als TürkInnen IranerInnen, SyrerInnen oder
       IrakerInnen erfasst werden.
       
       Die Studentin nennt Deutschland ihre Heimat, fühlt sich dennoch auch als
       Kurdin. Seit eineinhalb Jahren ist sie Vereinsmitglied bei Birati. Der
       Grund für ihren Eintritt? „Erdoğans Unterdrückungspolitk des kurdischen
       Volkes.“ Es sei wichtiger denn je, dass die KurdInnen zusammenhielten, sagt
       Fatma.
       
       Die anwesenden Männer stimmen ihr da zu. Politik sei für den Verein immer
       ein großes Thema gewesen, erzählt einer der Ko-Vorsitzenden. „Wir
       diskutieren jeden Tag darüber, wie Erdoğan gestoppt werden kann“, sagt
       Kenan. Jahrelang sei die Unterdrückung des kurdischen Volkes nicht
       wahrgenommen worden. „Stattdessen werden wir Terroristen genannt“, so
       Kenan.
       
       Der Grund dafür lässt sich auch in den Vereinsräumen schnell
       identifizieren. „PKK? Na klar!“ heißt es auf zwei Stickern, die dort
       kleben. Die kurdische Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, gilt in Deutschland
       als Terrororganisation und ist verboten. An den Wänden hängen Bilder von
       PKK-Idolen: Der seit 1999 inhaftierte PKK-Anführer Abdullah Öcalan hängt in
       einer Reihe mit der ermordeten Mitgründerin Sakine Cansız. Darunter hängen
       an einer großen Fotowand Bilder von getöteten Familienmitgliedern der
       Vereinsmitglieder.
       
       In den einfach eingerichteten Vereinsräumen sind PPK-Symbole erlaubt, im
       öffentlichen Raum sind sie jedoch verboten. „Wir dürfen nicht einmal Bilder
       von Öcalan zeigen“, sagt ein junger Mann, der an der Hochschule Bremen
       studiert. Das sei ein Einschnitt in die Meinungsfreiheit. „Das Ziel aller
       KurdInnen ist eine demokratische Gesellschaft“, sagt er.
       
       Der Verein unterstützt ehrenamtlich auch Flüchtlinge, die aus dem
       kurdisch-syrischen Gebiet Rojava nach Deutschland kommen. „Wir arbeiten
       nicht nur politisch, sondern auch kulturell und integrativ“, sagt Kenan,
       der seit seiner Flucht nicht mehr in der Türkei war. Er und die anderen,
       sagt er, hätten Angst um ihre Familienmitglieder.
       
       Der Verein halte regelmäßig Seminare ab, erzählt Kenan: gegen Gewalt, gegen
       Drogen, für den Dialog zwischen den Religionen. „Wir leben in Deutschland,
       nicht wie im Nahen Osten“, sagt er. Die Referenten seien kurdisch und
       deutsch, die Seminarsprache sei überwiegend Deutsch. Ansonsten wird im
       Verein überwiegend Kurdisch gesprochen, nur die Kinder sprechen meistens
       Deutsch.
       
       ## Kicken, um zu vergessen
       
       Ein Sprachmischmasch wird auch beim Fußballverein SV Barispor Osterholz in
       der Nachbarschaft von Bremen gesprochen. Überwiegend Kurden, aber auch
       Libanesen, Albaner und Deutsche spielen für den Verein. Das Vereinslogo ist
       eine weiße Taube auf schwarzen Grund, der Name bedeutet frei aus dem
       türkischen übersetzt „Sport für den Frieden“.
       
       Seit 1998 gibt es den Verein, bei dem laut dem Vereinsvorsitzenden Halil
       Ölge „nicht der Pass, sondern gute Pässe wichtig“ sind. Wer woher komme,
       sei egal, es ginge darum, Sport zu treiben und einander kennenzulernen.
       
       Der dreißigjährige Azez, ist seit September bei Barispor. „Ich habe in der
       Mannschaft Freunde gefunden und mein Deutsch verbessert“, erzählt der
       Jeside. Fußball helfe ihm beim Abschalten. Wenn er kicke, könne er seine
       Flucht aus dem syrischen Rojava für den Moment vergessen.
       
       Der Verein hat für Azez und die anderen fünf Geflüchteten im Kader
       Fußballschuhe und Schienbeinschoner gekauft. Das Geld dafür kam vom
       Deutschen Fußballbund (DFB): Mit jeweils 500 Euro unterstützt der DFB
       Vereine, die Geflüchtete bei ihrer Integration unterstützen.
       
       Haiki Berisha, Trainer der 2. Herren von Barispor Osterholz, klagt über
       mangelnde Unterstützung. Der Verein müsse auf einem Rasenplatz spielen, der
       etwa ein halbes Jahr gesperrt sei, ein Vereinsheim gebe es auch nicht.
       „Unter diesem Bedingungen können sich die Spieler nicht entwickeln und sie
       wechseln die Vereine“, sagt Berisha. Spenden erhalte der Verein nur vom
       Linken-Kreisverband Osterholz, der 240 Euro an Barispor spendete.
       
       „Der Verein erreicht besser als andere Vereine auch sozial Benachteiligte“,
       sagt Mizgin Ciftci, Vorsitzender der Linken-Fraktion im Kreistag
       Osterholz.Ciftci war der erste Kurde, dem es gelang, in den Kreistag in
       Osterholz einzuziehen.
       
       Während bei Birati in Bremen am Donnerstagabend musiziert wird, schaut in
       Osterholz der Vereinsvorsitzender Ölge seinen Spielern zu – beim ersten
       Training des Jahres auf dem wieder freigegebenen Platz. Trotz der
       schlechten Bedingungen wolle er nicht aufgeben, sagt er, schließlich seien
       „das alles gute Jungs“.
       
       25 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Vanessa Reiber
       
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