# taz.de -- „Lieben“ im Theater Bremen: Knausgård zum Zweiten
       
       > Mit dem zweiten Teil der Bühnenfassung von Knausgårds Romanzyklus zeigt
       > das Bremer Theater, dass man Bestseller auch kritisch lesen kann
       
 (IMG) Bild: Das Buch drängt auch physisch auf die Bühne: Robin Sondermann zwischen lauter „Lieben“.
       
       BREMEN taz | Mein Gott, musst du immer so ein Drama machen?“, fragt
       Knausgårds Freund Geir plötzlich aus dem Off heraus. Lange Monologe
       kennzeichnen die neue Produktion „Lieben“, die am Donnerstag im Bremer
       Theater Premiere feierte. Und dieses Jammern, das hat bis dahin wohl auch
       im Publikum zu nerven begonnen.
       
       Es ist ein wirklich gewagtes Projekt, den norwegischen Autor Karl Ove
       Knausgård auf die Bühne zu bringen. Auf 3.600 Seiten erzählt er seine
       Lebensgeschichte. Intim, ehrlich und schonungslos berichtet er von seiner
       Kindheit als Sohn eines Alkoholikers, von seinen Liebesbeziehungen und dem
       Familienleben. Der Norweger lässt den Lesenden in sein Leben eintauchen.
       „Min Kamp“ zu Deutsch „Mein Kampf“ nennt der Autor sein Romanprojekt, um
       das weltweit ein regelrechter Hype entstanden ist.
       
       Schon im vergangenen Jahr hat sich das Theater Bremen, dem Mammutprojekt,
       die sechs Gegenwartsromane ins Schauspiel zu übersetzen, angenommen. Nach
       „Sterben“, in dem Knausgård die schwierige Beziehung zu seinem Vater
       thematisiert, handelt „Lieben“ vom Familienleben. Auf 763 Seiten schildert
       Knausgård, wie er seine erste Frau Tonje verlässt, welche Leidenschaft er
       für seine neue Ehefrau Linda empfindet und wie die intensive Beziehung
       durch die vier Kinder belastet wird. Das Team aus Regisseur Frank Abt,
       Dramaturgin Viktorie Knotková und Knausgård-Darsteller Robin Sondermann
       presst diesen Stoff in eine Aufführung, die nicht einmal zwei Stunden
       dauert. Das ist riskant, verhindert zum Glück aber auch die über zwanzig
       Seiten angelegte Schilderung der Geburt von Knausgårds erster Tocher Vanja.
       
       Abts Inzenierung behält angelehnt an den Roman die Ich-Erzähler-Struktur
       über weite Teile des Stückes bei. Sondermann sitzt zunächst an seinem
       Schreibtisch und erzählt. Der Zuschauer ist, egal wo er sitzt, ganz nah
       dran. Eine Kamera wirft Sondermanns Gesicht an die Wand. Seine Nähe zu der
       verwendeten Dokumentenkamera bietet den Zuschauenden eine großartige
       Möglichkeit, Knausgårds Gefühlswelt in der Mimik mitzuerleben.
       
       Sondermann ist ein fantastischer Knausgård: Die Scham darüber, dass er
       seine erste Frau betrog und seine Sehnsucht nach der schwedischen Autorin
       Linda Boström wirkt unglaublich echt. Kitschige Sätze nach dem Kennenlernen
       wie, „die Sonne ging in meinen Leben auf“ wirken aus seinem Munde ehrlich.
       Auch dass er sich, nachdem Linda ihn zurückweist, das Gesicht mit einer
       Scherbe zerschlitzt, erzählt er so verzweifelt und anschaulich, dass Bilder
       davon gar nicht notwendig sind.
       
       Den Coup der Bremer Version von „Lieben“ bringt die zweite Hälfte des
       Abends: Wie muss es für die Frau sein, deren intime Geheimnisse von ihrem
       Mann erzählt werden? Fania Sorel, die Knausgårds Frau Linda verkörpert,
       zeigt dies mit eindrucksvollem Körpereinsatz. Sie weint, sie tobt, sie
       zerstört das Buch ihres Mannes.
       
       Dass unzählige Menschen nahezu alles über ihr Privatleben wissen, wird
       wunderbar einfach dargestellt: Überall in der Wohnung tauchen nach und nach
       Exemplare des Bestellers auf. Im Kühlschrank, auf Stühlen, zwischen den
       Einkäufen – „Lieben“ ist überall.
       
       Mit zitternder Stimme und Tränen in den Augen liest Sorel die deutschen
       Übersetzungen des Romans. In ihrem beeindruckenden Spiel mit Sondermann
       wird deutlich, wie schlecht es um die Ehe der Knausgårds steht. Voller
       Schmerz tragen beide Passagen aus dem Buch vor. Sie fühlen sich
       missverstanden und haben das Gefühl, dass ihr Partner zu wenig im Haushalt
       tue: Die einstige Leidenschaft scheint verflogen.
       
       Dann ist da noch die „Sache mit den Kindern“, die Knausgård „unglaublich
       traurig“ macht. Sie leiden unter den Streitereien der Eltern. In Abts
       Version werden sie von ihren Eltern nahezu ignoriert, sind aber meistens
       auf der Bühne präsent. Die Frage der Kinder, ob Knausgårds Erzählungen über
       die Depressionen seiner Frau wahr seien, bleibt unbeantwortet. „Lieben“ ist
       eine gelungene Romanadaption, die den Bestsellerautoren endlich nicht nur
       feiert, sondern auch kritisch hinterfragt, wie dessen Offenheit für seine
       Angehörigen sein muss.
       
       Weitere Termine: Sonntag, 19.3., 18.30 Uhr, sowie Freitag 14.4., 20 Uhr,
       Theater Bremen, Kleines Haus
       
       18 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Vanessa Reiber
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Theater Bremen
 (DIR) Adolf Hitler
 (DIR) Eltern
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Knausgård-Projekt am Theater Bremen: Drei Jahre Kampf
       
       Am Theater Bremen geht eine Reihe mit Bearbeitungen der autobiografischen
       Romane des norwegischen Autors Karl Ove Knausgård zu Ende.
       
 (DIR) Neues Buch von Karl Ove Knausgård: Rückkehr ins 21. Jahrhundert
       
       Leseglück is over. Knausgård flicht in sein neues Werk „Kämpfen“ neben der
       Familiengeschichte eine Lektüre von Hitlers „Mein Kampf“ ein.
       
 (DIR) Kolumne „Heult doch!“: Spießig sind die anderen
       
       Als der große Sohn unserer Autorin schulpflichtig wurde, ist sie umgezogen,
       vom Wedding nach Pankow – mitten rein in den Polyesterpullover-Sperrbezirk.