# taz.de -- Die Wahrheit: 10.000 Jahre Ausbruch
       
       > In Momenten der Ruhe erinnert man sich gern an charmante
       > Fußballkommentare, träge Lieblingsgedichte oder so manche
       > Vulkanaktivität.
       
 (IMG) Bild: Die riesige Rauchsäule aus dem Vulkan zeugt von zunehmender Aktivität
       
       Einen Moment bitte, ich schalte den Offline-Modus meines Egosmarts ein.
       Mag helfen, damit Ruhe einkehrt.
       
       Dieser erholsame Einstieg dient dazu, den charmantesten Satz aus einem
       Fußball-Live-Kommentar, den ich kenne, anzuführen. Er stammt aus der
       Champions League in der Saison 2012/13, aus der 43. Spielminute einer
       Partie Lille OSC gegen Bayern München: „Die Partie plätschert weiter
       relativ ereignislos vor sich hin.“
       
       In ähnliche Richtung weist eines meiner Lieblingsgedichte des
       US-amerikanischen Autors Raymond Carver. Es heißt „Shiftless“, deutsch etwa
       „träge“ oder „faul“. Darin heißt es: „Doch eines bleibt wahr – ich hab
       Arbeit nie gemocht / Mein Ziel war immer träge zu sein / Darin sah ich das
       Verdienst …“
       
       Dennoch arbeite ich unermüdlich. Hier unterscheidet sich der Ich-Erzähler
       dieser Zeilen von dem Autor derselben Zeilen. Wenigstens ein wenig. So
       hoffe ich, beim nächsten Termin mit einer Berufsberaterin von ihr zu hören:
       „Sie sind der richtige Mann als Geologe, und zwar im Vulkan-Sektor!“
       
       Kürzlich habe ich nämlich erfahren, dass in der Geologie ein Vulkan als
       aktiv gilt, der binnen der letzten 10.000 Jahre ausgebrochen ist.
       Dimensionen, die mir gefallen. Du wirst als rege und aktiv erachtet, wenn
       du im Laufe von 10.000 Jahren ein Mal brodelst und kochst. Was bedeutet
       schon Trägheit!
       
       Wir verweilen in der Geologie. Die nächsten Zeit- und Zahlenrelativierungen
       offerieren die erkalteten Lavamassen, zumindest die der unterseeischen
       Vulkane im Atlantik. Die entstandene Erdkruste drückt die eurasische und
       die nordamerikanische Platte weg voneinander: Jährlich um zwei bis drei
       Zentimeter, manche rechnen sogar fünf Zentimeter aus. Würde Kolumbus'
       Flotte heute nach Amerika schippern, hätte sie einige Meter mehr zu queren
       als vor rund 500 Jahren.
       
       Habe ich es halbwegs verstanden, plätschern auch die Erdplatten relativ
       ereignislos vor sich hin wie manches Fußballspiel, nur in anderen
       Koordinaten aus Raum und Zeit und Zahlen. Wobei wir die zurzeit obligaten
       Dispute um falsche, gefälschte, fehlerhafte Zahlen am Rande streifen, indem
       wir uns weiter beim Fußball aufhalten.
       
       Bei einem Experiment, von dem der Spiegel berichtet, werteten 29
       Forschergruppen denselben Datensatz aus, der herausgekommen war bei einer
       Untersuchung auf die Frage, ob dunkelhäutige Fußballer häufiger rote Karten
       kriegen als hellhäutige? Überraschung: „Das Ergebnis jedes Teams ist stark
       beeinflusst von subjektiven Entscheidungen während der Datenanalyse.“ Wäre
       nur eine der Arbeiten als Studie publiziert worden, hätte man „ein Ergebnis
       lesen können, das von anderen abweicht.“ Eine einzelne Analyse sollte man
       „nicht zu ernst“ nehmen.
       
       Ehe ich meinen Offline-Modus ausschalte, um weitere Analysen zu
       analysieren, meldet sich der große Trainer Christian Streich zu Wort, damit
       dieser Text leitmotivisch endet: „Man verändert sich immer, weil man ja
       Stoffwechsel hat. Man ist ja nicht tot.“
       
       1 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dietrich zur Nedden
       
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