# taz.de -- Hetze gegen Geflüchtete in Polen: Ungeprüft übernommen
       
       > In Polen verbreiten einige Journalisten Fake News. So auch über die
       > angeblich schlimmen Zustände in einem bayerischen Dorf.
       
 (IMG) Bild: Mit Sack und Pack und Fake: geflüchtet vor Geflüchteten
       
       Warschau taz | In Polen sind Fake News von wahren Nachrichten kaum noch zu
       unterscheiden: „Brustkrebs – wenn der Mann Präservative benutzt!“ Oder der
       Klassiker: „Flugzeugkatastrophe von Smolensk 2010: Ein russischer Anschlag
       auf Präsident Lech Kaczyński!“
       
       Es sind keine Trolle, sondern Regierungspolitiker und Berater der
       nationalpopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die diese
       „Nachrichten“ in die Welt setzen. Weitgehend ungeprüft werden sie dann von
       vielen polnischen Journalisten weiterverbreitet. So entstehen heute selbst
       Agenturmeldungen.
       
       Als die PiS im Oktober 2015 erneut die Regierung in Polen übernahm,
       verabschiedete sie wie bereits 2005 gleich zu Beginn ein neues
       Mediengesetz. Damit wurde zunächst der öffentlich-rechtliche Rundfunk
       verstaatlich. Insbesondere die „Inteligencja“ fühlt sich nun von den stark
       ideologisierten TVP-Programmen und ihren bewussten Manipulationen
       abgestoßen.
       
       Anders als bei Fernsehen und Radio, die nach wie vor die populärsten Medien
       sind, sinken die Auflagen der polnischen Tageszeitungen schon seit Jahren.
       Heute lesen – bei einer Bevölkerungszahl von 38 Millionen Menschen – nicht
       einmal mehr eine Million Polen eine überregionale Tageszeitung. Statt aber
       in bessere Berichterstattung zu investieren, wurden die
       Auslandskorrespondenten – bis auf Washington, Moskau und Brüssel –
       eingespart.
       
       Gefeuert wurden auch ältere und hochqualifizierte Redakteure, um an ihrer
       Stelle junge, unerfahrene, aber billigere Journalisten einzustellen. Die
       Folge ist eine Berichterstattung, die auf Sensationen setzt und immer
       weniger mit der Realität zu tun hat. Statt selbst vor Ort zu recherchieren,
       werden Interviews mit Augenzeugen und Experten publiziert, deren
       Glaubwürdigkeit zum Teil zweifelhaft ist.
       
       ## Für Aufsehen gesorgt
       
       So erschien Mitte letzten Jahres in der konservativen Tageszeitung Gazeta
       Prawna ein sensationell aufgemachtes Interview mit Maya Paczesny. Die
       Videoclip-Produzentin erzählt darin, wie sich das oberbayerische Dorf
       Rupprechtstegen durch die Aufnahme von Flüchtlingen vom „Paradies in eine
       Müllkippe“ verwandelt habe.
       
       Wie sie selbst aus lauter Angst vor einer Brandstiftung nicht mehr schlafen
       konnte: auf der einen Seite die angeblich dreckigen und stehlenden
       Flüchtlinge, auf der anderen die alteingesessen Deutschen, die so stolz
       waren auf die Nazivergangenheit ihrer Eltern und Großeltern.
       
       Am Ende sah sich Paczesny gezwungen, wie sie im Interview sagt, ihr
       Traumhotel an den deutschen Staat zu verkaufen, der daraus eine weitere
       Flüchtlingsunterkunft machen wollte. Sie selbst flüchtete zurück nach
       Polen, einem Land ohne muslimische Flüchtlinge und ohne stolze
       Nazi-Deutsche.
       
       Das Interview sorgte in Polen für Aufsehen, weil hier eine Augenzeugin die
       Angst vor den Flüchtlingen bestätigte, die PiS-Parteichef Jarosław
       Kaczyński schon im Wahlkampf 2015 nach Kräften geschürt hatte: Die Fremden
       würden angeblich Parasiten und tödliche Krankheiten einschleppen, an denen
       aber nicht sie selbst, sondern nur die Polen sterben würden. Kaczyński und
       die PiS, so das Wahlversprechen, würden die Polen vor dieser mörderischen
       Gefahr schützen.
       
       ## Nichts war so wie beschrieben
       
       Als Ewa Wanat, die frühere Chefredakteurin der Warschauer Radiostationen
       TokFM und RDC, das Interview las, kamen ihr Zweifel. Wanat schreibt zurzeit
       mit einem Stipendium der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit ein
       Buch über das Zusammenleben von Deutschen, Flüchtlingen und Immigranten.
       Ihre Rechercheergebnisse deckten sich so gar nicht mit den im Interview
       beschriebenen Zuständen. Sie beschloss, der Sache vor Ort nachzugehen.
       
       In Rupprechtstegen befragte sie mehrere Dutzend Menschen, Einheimische wie
       Flüchtlinge, sah sich das angebliche Traumhotel von Maya Paczesny an, ging
       zum Forellenteich, aus dem die Flüchtlinge angeblich die Fische geklaut
       hatte.
       
       Nichts war so, wie Paczesny es beschrieben und zigtausende Polen es
       geglaubt hatte. Als Wanat Paczesny und die Interviewerin mit ihren
       Rechercheergebnissen konfrontieren wollte, nahmen beide nach einem
       Erstkontakt keine Telefonate mehr entgegen und antworteten auch nicht auf
       E-Mails oder SMS.
       
       ## Nur ein Beispiel von vielen
       
       Als [1][Ewa Wanats Reportage „Flüchtlinge aus dem deutschen Paradies“] im
       liberalkatholischen Nachrichtenmagazin Tygodnik Powszechny erschien,
       entbrannte eine Diskussion über Wahrheit und Lüge, das „Recht auf seine
       eigene Perspektive“ und die Frage, ob Journalisten tatsächlich die Pflicht
       haben, die Glaubwürdigkeit ihrer Gesprächspartner zu überprüfen. Zwar
       lautete die erste einhellige Antwort, dass es keine solche Pflicht gebe.
       Doch später änderten einige Journalisten, wie der bekannte Radio- und
       Fernseh-Interviewer Konrad Piasecki, ihre Meinung.
       
       Das Interview mit Paczesny ist nur ein Beispiel von vielen. Außergewöhnlich
       ist nur, dass sich jemand die Mühe gemacht hat, die Geschichte
       nachzurecherchieren. Immerhin gibt es inzwischen Internetportale wie
       [2][oko.press], deren Journalisten es sich zur Aufgabe gemacht haben, die
       Recherchearbeit zu leisten, auf die immer mehr Redaktionen verzichten.
       
       24 Feb 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Fake-News-in-polnischer-Zeitung/!5385059/
 (DIR) [2] https://oko.press/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriele Lesser
       
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