# taz.de -- Kritik: Eva Przybyla über „Nationalstraße“ im Theater am Goetheplatz: Helden von gestern
       
       Als „Vandam“ wie Siegfried der Drachentöter aus dem Badeschaum steigt, ist
       klar: Heute Abend ist das Prekariat der Star auf der Bühne. Das
       Goldkettchen glitzert auf seiner Brust, eine stark geschminkte Blondine
       kleidet ihn ein. Die Geschlechterhierarchie ist klar. „Man nennt mich
       Vandam“, sagt er – nach dem belgischen Actiondarsteller.
       
       Der Abend ist eine Exkursion in seine Welt, eine Plattenbausiedlung in der
       Prager Vorstadt. Deren Herz ist die Severka, eine Kneipe, in der Vandams
       Freunde seit eh und je zusammen saufen und auf Prügelmaterial warten.
       Sylva, die Blondine an der Bar, ist dabei ermunternde Zuschauerin und
       Dauerflirt.
       
       Der gefeierte Roman „Nationalstraße“ von Jaroslav Rudiš ist ein Monolog
       Vandams in eben dieser Kneipe. Auf der Bremer Bühne ist die Stückfassung
       nun erstmalig auf Deutsch zu sehen. Regisseurin Theresa Welge und
       Dramaturgin Simone Sterr haben den Roman dafür in einen beeindruckenden
       Dialog transformiert: Während Alexander Swoboda als Vandam das Publikum
       belehrt, wechselt Betty Freudenberg virtuos zwischen den Rollen. Mal ist
       sie Vandams Saufkumpan Froster, mal irgendein Landei und Opfer, das sich
       von ihm provozieren und verdreschen lässt. Doch in erster Linie ist sie
       Sylva, eine Frau, die Vandam als Helden seiner Siedlung besingt.
       
       Dafür steht sie auch mal auf der Kulisse, einem sozialistischen
       U-Bahn-Eingang aus grauem Beton. Neben ihr begleitet sie Komponist und
       Musiker Fabian Ristau live am Schlagzeug. Um die Haltestelle in
       Sowjet-Architektur stehen archaische Symbole – Merlins Schwert steckt in
       einem Stein, Findlinge liegen neben dunklen Tannen und für die Kneipe
       Severka steht ein blinkendes Lagerfeuer am vorderen Bühnenrand. Natürlich
       gibt es auch ein Gewehr.
       
       Das Bühnenbild von dem tschechischen Szenografen Jan Štephánek ironisiert
       treffend die rohe Männlichkeit, die Vandam darstellen möchte. Besonders
       imponieren ihm die Germanen und deren siegreiche Schlacht gegen die Römer
       im Teutoburger Wald. Es geht auch noch um einen anderen Wald, der um die
       Plattenbausiedlung herum wild und gefährlich ist, und den Vandam als Heimat
       sieht – so wie sich selbst als einen Held.
       
       Auf der Nationalstraße, behauptet Vandam, habe er eigenhändig die Samtene
       Revolution ausgelöst: Mit seinem Schlag gegen einen Polizisten im November
       1989 will er das von den Massen ersehnte Ende des tschechischen Sozialismus
       eingeläutet haben. „Am Anfang kann nur ein einziger Mann stehen. Und das
       bin ich gewesen!“, proklamiert Vandam. Ob das so stimmt, will Sylva
       herausfinden und über diese Ermittlungen dekonstruiert die Inszenierung den
       „Helden“ Vandam Stück für Stück.
       
       „Nationalstraße“ zeigt die Prager Vorstadt als einen tristen Ort, an dem
       die Hoffnungslosen vegetieren. Vom Zusammenhalt der Revolution ist lange
       nicht mehr übrig, stattdessen Langeweile, Wahnsinn und Selbstmord. Das
       schlägt ausgerechnet im intimsten und hoffnungsvollsten Moment des Stücks
       ein: Zwei Menschen liegen nach dem Sex im Bett. Es folgen keine verliebten
       Gespräche, sondern nur Schilderungen einer freudlosen Lebensrealität, in
       der letztlich auch inszenierte Stärke nichts nützt. Das Stück zwingt, den
       unangenehmen Charakteren der Nach-Wende-Gesellschaft zuzuhören. Ihren
       Sexismen, ihren Vorurteilen und ihrer angestrengten Verdrängung einer
       ausweglosen Realität und Chancenlosigkeit.
       
       Termine: 18. Februar und 30. März, 20 Uhr, Theater Bremen
       
       11 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eva Przybyla
       
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