# taz.de -- Schichtspeise Der Freitag ist in Syrien ein freier Tag. Da kochen die Männer, und die Frauen schlafen lang. Amer macht Fatteh, das gibt es dann zum Frühstück: Wie der Vater, so der Sohn
(IMG) Bild: Und am Ende kommen die heißen Mandeln auf den Joghurt
Aus Leipzig Sophie Herwig (Text) und Christoph Busse (Fotos)
Amer Succer stand eines Tages mit meinem Kühlschrank unter dem Arm im
Treppenhaus und sagte: „Arme, du! Gibt keine starken Männer in Leipzig die
dir helfen können? Gut, dass ich jetzt da bin.“ Von da an kam Amer oft
vorbei und reparierte, was ihm in die Hände fiel. Oder wir quatschten und
tranken Kaffee. Er brachte Blumen mit und erzählte von den Mädchen, die zu
ihm in den Späti kommen. Eine fragte mal: „Hast du was Süßes?“, und Amer
sagte: „Du bist doch schon da.“ Das macht ihm Spaß, das Flirten. Aber auf
der Straße würde er so was nicht machen.
Amer ist 26 und kam im November 2013 als Flüchtling von Damaskus nach
Leipzig. Er studiert hier Wirtschaftsinformatik. Wir wollten immer mal
Hummus zusammen machen, aber dann bin ich weggezogen und wir kamen nicht
mehr dazu. Und heute, wo wir uns extra treffen, um zu kochen, frage ich
wieder: „Machen wir Hummus?“ Amer sagt: „Arme, du! Du weißt es nicht, aber
Hummus ist kein Hauptgericht.“
Hummus ist kein Hauptgericht, und in Syrien ist schon am Freitag Sonntag.
Es wird lange geschlafen, die Schulen, Unis und Büros haben zu. Es wird
spät gegessen und viel gebetet. Religion bedeutet für Amer Frieden. Er ist
nur manchmal religiös. Am Esstisch seiner Eltern oder damals im
Schlauchboot von der Türkei nach Griechenland, als sie den Kurs verloren
und acht Stunden auf offener See trieben. „Freitag heißt freier Tag für
uns. Freitag kommt von Freiheit. Logisch, oder?“– „Logisch“, sage ich.
Obwohl heute Dienstag ist, kochen wir ein typisches Freitagsgericht. So wie
es Amers Papa immer gemacht hat. Fatteh mit Kichererbsen und Joghurt. Amer
legt das Fladenbrot direkt auf die heiße Herdplatte. In der Pfanne daneben
liegen schon die Mandeln, bereit zum Anbraten in Ghee. Ghee kennt man mehr
aus der indischen Küche. Es wird auch als Butterschmalz oder geklärte
Butter bezeichnet und enthält im Wesentlichen das Butterfett. Man bekommt
es in jedem arabischen Geschäft so wie auch das Tahin, das wir später noch
brauchen werden.
„Das ist nicht richtig so“, sagt Amer und zeigt auf die Herdplatte.
„Eigentlich brät man das Brot in der Pfanne an oder backt es im Ofen.“ Aber
die Pfanne ist besetzt, und einen Ofen hat er nicht. Also steht er da in
seiner Schürze und wendet die Fladen, bis sie braun werden.
Amer wohnt mit seinem Bruder in einer Zweizimmerwohnung. Ein
Männerhaushalt: In der Küche steht eine riesige Eiweiß-Shake-Dose, der
Kühlschrank ist abgeschaltet. „Draußen ist es kalt genug, ich muss Strom
sparen“, sagt Amer.
Eine Tradition in der Familie Succer besagt, dass die Frauen am Freitag
nicht kochen wollen. Deswegen ist das Fatteh Männersache. „Wir hatten eine
Sommerwohnung in den Bergen. Vor dem Freitag ist die ganze Familie mit
allen Cousins, Tanten und Onkeln gekommen. Zum Frühstück gab es Fatteh, so
gegen 12 Uhr mittags. Mein Papa macht es am allerbesten.“ Jetzt hat Amers
Vater Bluthochdruck, das Sommerhaus ist weit weg und Damaskus auch.
Amers Eltern und seine Schwester sind im August nach Leipzig gekommen, per
Familiennachzug. Die Eltern sind über 60. Es ist schwer für sie, Deutsch zu
lernen oder eine Arbeit zu finden. Aber wenigstens, die Familie ist wieder
zusammen. Sie trifft sich häufig, alle helfen sich gegenseitig mit der
Sprache. Die fünf haben eine begrenzte Aufenthaltsgenehmigung. Amer muss im
Juli eine Verlängerung beantragen, um weiter studieren zu können. „Das
Leben ist schwieriger als in Damaskus, weil ich mehr Zeit brauche an der
Hochschule. Und nach der Vorlesung muss ich lernen und arbeiten, um zu
überleben. Dann hat man keine Zeit mehr, um das Leben zu genießen.
Vielleicht vermisse ich die Freizeit am meisten.“
Den Job im Späti hat er aufgegeben. Heute arbeitet er nebenbei in einer
Zeitarbeitsfirma, dabei hat er ja gar keine Zeit mehr. Und macht alles, was
anfällt und gutes Geld bringt. Kellnern bis spät, hinter dem Grill stehen
im Sommer, Bier zapfen für Fans in der Leipziger Arena. „Wer in die Zukunft
schaut, kann nicht nach hinten gucken“, sagt Amer. Wenn er immer nur an
sein früheres Leben denken würde, an sein Land, die Uni und die acht
Semester, die er schon mal studiert hat, an seine Wohnung, könne er nie
etwas erreichen. „Aber wenn ich in meine Zukunft gucke, sehe ich meine
Arbeitsstelle in zwei Jahren, dann erreiche ich alles und noch mehr.“
Ich rühre um, und Amer gibt Anweisungen. „Da gehört mehr Joghurt dran,
siehst du? Die Farbe ist noch zu dunkel.“ Zum Joghurt kommt Tahin, eine
Paste aus fein gemahlenen Sesamkörnern, übrigens auch eine Grundzutat von
Hummus. Aber den kochen wir heute ja nicht. Ich schneide Knoblauch, und
Amer gibt frischen Zitronensaft dazu.
Es geht ihm gut in Leipzig, gerade hat er Eishockey entdeckt.
„Schlittschuhfahren, richtig so?“ Ich nicke. Dann kommen die gebratenen
Mandeln und das heiße Öl über den Joghurt. „Du wirst sehen“, sagt Amer,
„das macht ein Geräusch wie schschschsch.“ Und wirklich: Dienstag fühlt
sich plötzlich an wie Freitag, schschschsch.
Die Genussseite: Wir treffen uns einmal im Monat mit Flüchtlingen zum
gemeinsamen Essen. Außerdem im Wechsel: Jörn Kabisch befragt Praktiker des
Kochens. Philipp Maußhardt schreibt über europäisches Essen ohne Grenzen,
und taz-AutorInnen machen aus Müll schöne Dinge.
21 Jan 2017
## AUTOREN
(DIR) Sophie Herwig
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