# taz.de -- US-Operation „Atlantic Resolve“: „Wir bereiten keinen Krieg vor“
       
       > Der Osteuropa-Historiker Wolfgang Eichwede erklärt, was an Putin so
       > gefährlich ist und warum die Proteste gegen die Operation
       > geschichtsvergessen sind
       
 (IMG) Bild: Operation „Atlantic Resolve“: Die US-Army lädt in Bremerhaven Panzer ab
       
       taz: Herr Eichwede, im „Bremerhavener Appell“ sprechen Friedensforum und
       Linkspartei von „konkreten Kriegsvorbereitungen“ und Deutschland als
       „Aufmarschgebiet“. Was sagen Sie dazu? 
       
       Wolfgang Eichwede: Dem Bremerhavener Appell folge ich nicht. Wir bereiten
       keinen Krieg vor, aber das Putinsche Russland führt Krieg – das sind die
       harten Realitäten. Mit der russischen Aggression gegen die Ukraine haben
       wir in Europa eine neue Situation. Indem die Großmacht Russland mit Gewalt
       Grenzen verändert, hat sie das Grundprinzip der Entspannungspolitik –
       Gewaltverzicht – aufgehoben.
       
       Was folgt daraus für Europa? 
       
       Die Folge ist Instabilität. Diese wird bei Balten und Polen noch viel
       dramatischer empfunden als hier in Deutschland.
       
       Weil sie näher dran sind? 
       
       Balten und Polen waren im 20. Jahrhundert Opfer nationalsozialistischer und
       sowjetischer Okkupationen. Sie haben bis heute Sorge vor einstmals
       expansiven Nachbarn.
       
       Was folgt daraus für sie? 
       
       Diese Länder sehen den Kern ihrer Sicherheit in der amerikanischen Präsenz.
       Das würden im Übrigen alle, die jetzt in Bremerhaven demonstrieren, genauso
       empfinden, wenn sie in Riga, Tallinn oder Lublin leben würden.
       
       Wie bewerten Sie denn die Nato-Manöver an der russischen Grenze, fühlt sich
       Russland zu Recht bedroht? 
       
       Die Truppen, die dort Manöver durchführen, sind in keiner Weise geeignet,
       Russland zu bedrohen! Die Manöver dienen eher zur Beruhigung der Länder
       zwischen Russland und Deutschland.
       
       Was verspricht sich die Nato außerdem von den Manövern? 
       
       Sie sind auch ein Zeichen an Putin: Die Nato ist hier und schützt ihre
       Mitglieder. Ein Szenario wie in der Ukraine, die ja nicht der Nato
       angehört, würde nicht hingenommen – das ist die Botschaft. Insofern sind
       die Truppenentsendungen auf Zeit ein Instrument, um mögliche Eskalationen
       zu vermeiden. Freilich verbirgt sich hinter dem Konflikt ein
       grundsätzliches Problem.
       
       Welches? 
       
       Wir haben in Wladimir Putin einen Politiker, der offensichtlich überzeugt
       ist, aus Konfrontationen, auch aus militärischen, Machtvorteile zu ziehen.
       Er ist kein Mann des Friedens, sondern des kalkulierten Konflikts. Sehen
       Sie: Zivilökonomisch ist Russland keine Großmacht …
       
       … und militärisch? 
       
       Militärisch ist Russland die zweitstärkste Macht der Welt. Die Kriege in
       der Ukraine und in Syrien haben Putin erneut zu einem „global player“
       gemacht. Das Bombardement von Aleppo – für uns ein Kriegsverbrechen – war
       für ihn seinen eigenen Worten nach eine große Tat.
       
       Was will Putin damit erreichen? 
       
       Er ist in seinem Sinne ein rationaler Machtpolitiker. Über die Konflikte,
       die er riskiert, glaubt er, weltpolitisch an Einfluss gewinnen und seine
       Macht im Innern stabilisieren zu können. Der zivilen Entwicklung seines
       Landes freilich fügt er dramatischen Schaden zu. In der historischen
       Perspektive ist Putin gleichsam eine Gegenfigur zu Gorbatschow: Dieser hat
       kein Militär und keine Geheimdienste eingesetzt, als die Geschichte über
       ihn hinwegging, sondern ein fantastisches, fast einmaliges Beispiel gesetzt
       für den friedlichen Abtritt eines Imperiums. Putin ist die geschichtliche
       Negation von Gorbatschow.
       
       Sie und Gorbatschow kannten sich. 
       
       Ja, ich habe ihn in den 1990er-Jahren kennengelernt. Als ich ihn fragte,
       wie er es empfinde, ein Weltreich verloren zu haben, antwortete er nicht
       ohne Stolz: „Aber an meinen Händen klebt kein Blut.“
       
       Im „Bremerhavener Appell“ ist auch vom „Säbelrasseln“ die Rede. Man solle
       Russland nicht weiter provozieren. Versteht Putin denn, was die Nato mit
       ihren Manövern zeigen will? 
       
       Mit Sicherheit versteht Putin eine solche Sprache.
       
       Ein oft angeführtes Argument ist, Russland fühle sich durch die Expansion
       der Nato bedroht. 
       
       Das Argument ist falsch. Niemand soll und darf Russland bedrohen, schon gar
       nicht wir Deutschen. Wir können aber den Balten und Polen nicht verbieten,
       dass sie den gleichen Schutz genießen wollen wie wir! Es waren nicht die
       „bösen USA“, die expandierten. Es war der freie Wille der Völker, die für
       den damaligen Westen votierten, nachdem sie über vier Jahrzehnte gegen
       ihren Willen im Bannkreis sowjetischer Hegemonie zugebracht hatten.
       
       Warum ist unter den Unterstützern des „Bremerhavener Appells“, aber auch
       generell in Deutschland, die Solidarität mit Russland so groß und nicht
       etwa mit den Staaten Osteuropas? 
       
       Darin spiegelt sich ein widerspruchsvoller Mix aus historischen Erfahrungen
       und Traditionen wider. Zunächst ist es das Schuldgefühl, das wir Deutschen
       angesichts des Zweiten Weltkrieges und der ungeheuren Verbrechen gegenüber
       Russland empfinden. Dass wir diese Schuld anerkennen, ist ein Teil unserer
       politischen Kultur. Doch verpflichtet sie uns nicht nur gegenüber Russland,
       sondern ebenso gegenüber der Ukraine, Polen, den baltischen und anderen
       Völkern.
       
       Warum vergessen das so viele? 
       
       Wenn die „Solidarität“ mit dem Russland Putins zur Nicht-Solidarität mit
       den anderen Opfern des Krieges führt, kommt darin eine verhängnisvolle
       Tradition deutscher Großmachtpolitik zum Ausdruck. Die hatte in den
       vergangenen drei Jahrhunderten die „kleineren“ Völker zwischen Russland und
       Deutschland oftmals nicht im Blick oder stellte sie zur Disposition der
       beiden vermeintlich „Großen“. Wer Moral für sich in Anspruch nimmt, darf
       nicht der Geschichtsvergessenheit verfallen. Willy Brandts Politik des
       Gewaltverzichts galt allen Nachbarn. Sie war unteilbar.
       
       9 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karolina Meyer-Schilf
       
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