# taz.de -- Aus Alt mach Neu, aber anders
       
       > Kino „Die Geträumten“ von Ruth Beckermann übersetzt die tragische
       > Liebesbeziehungvon Ingeborg Bachmann und Paul Celan in die Gegenwart,
       > ergänzt um einige zusätzliche Ebenen
       
 (IMG) Bild: Gute Technik: Laurence Rupp präsentiert Anja Plaschg in „Die Geträumten“ seine perfekt gedrehte Zigarette
       
       von Katharina Schantz
       
       Dass man Liebesgeschichten, wenn sie lebendig, tragisch oder dramatisch
       genug sind, jederzeit neu erzählen kann, ist ein erprobtes Verfahren. Wenn
       es sich zudem um reale Personen handelt, sind mitunter auch die Biografien
       der Liebenden wichtig, wie Ruth Beckermann in „Die Geträumten“
       verdeutlicht. Der Film porträtiert die leidenschaftliche Beziehung der
       Schriftsteller Ingeborg Bachmann und Paul Celan. In Szene gesetzt wird
       diese von Anja Plaschg (26) und Laurence Rupp (29), die in einem Wiener
       Aufnahmestudio den Gedichten und Briefen der beiden ihre Stimme leihen. Im
       Leseprozess werden die Ebenen der zeitlich und räumlich getrennten Paare
       ineinandergeflochten.
       
       Bachmann und Celan, die bis zu ihrem frühen Tod Briefe austauschten,
       verband eine leidenschaftliche Liebe, die sie bis auf ein paar glückliche
       Monate nicht ausleben, sondern nur erträumen konnten. Stolz,
       Verlustängste, andere Liebschaften und nicht zuletzt ihre jeweilige
       Herkunft standen im Wege – Bachmanns Vater kehrte als frühes Mitglied der
       NDSAP lebend aus dem Krieg zurück, Celans jüdische Eltern hingegen wurden
       im Konzentrationslager ermordet. Der sehnliche Wunsch nach Nähe, ein
       missglückter Versuch des Zusammenlebens, Streit, Entfremdung, ein
       stürmisches Wiedersehen – das Auf und Ab der Beziehung bestimmt einen
       Großteil des Films.
       
       ## Versteckte Kommentare
       
       Beckermann vermeidet direkte Erläuterungen, zeigt die meiste Zeit die
       Aufnahmesituation im Studio, die Sprecher unterhalten sich danach in
       Raucherpausen nur rudimentär über das Gelesene. Analysiert wird die
       Beziehung der Schriftsteller vielmehr schauspielerisch: Denn Plaschg und
       Rupp gelingt es, die Grenzen der Personenkonstellationen zu verwischen.
       
       Die Sprache der Liebenden ist dabei leidenschaftlich genug, um beim
       Publikum die Erwartung zu wecken, dass es irgendwann auch zwischen den
       Lesenden knistert. Doch bis auf gelegentliche Blicke bleibt ihr Verhältnis
       platonisch. Auf den zwei Ebenen der historischen Begebenheit und der
       Jetztzeit nehmen die Frauen überwiegend die Rolle der Klagenden ein,
       empfinden sich als Oper einer Diktatur, die ihren künstlerischen Ausdruck
       einengt.
       
       Die identische Inszenierung der Charaktere dient Beckermann zugleich als
       Spielwiese. So zerbirst die Verbindung der Lesenden abrupt, als nach einem
       intensiven Leseabschnitt der Studioaufnahmeleiter den Raum betritt und mit
       einer komischen Selbstverständlichkeit die Mikrofone ajustiert. In den
       Lesepausen wirken die beiden von der Schwermütigkeit des Briefverkehrs
       befreit, albern herum. Die Verschmelzung bricht auf, holt die Beteiligten
       in die reale Situation der Inszenierung zurück.
       
       Beckermann kontrastiert diese inhaltliche Fülle an Gefühlen mit filmischem
       Minimalismus. Akustisch bewegt sich der Film auf kleinster Stufe: Außer den
       Lesenden kommt fast niemand zu Wort. Da sich Sprache und Musik nicht
       überlappen, scheinen sie ebenbürtig. Visuell beschränkt sich der Film oft
       auf das Innere eines großen, kahlen Raumes, in dem lediglich einige
       schwarze Stühle, ein Tisch, ein Klavier stehen. An der braunen Holzwand
       werfen übergroße Naturgemälde seltene Farbkleckse in das monotone Bild.
       
       Dieses wirkt statisch, lenkt die Aufmerksamkeit auf die Lesenden. Die
       Kamera dokumentiert minutenlang abwechselnd die Gesichtszüge des/der
       Sprechenden und Zuhörenden. Doch die Mimik verrät selten etwas über ihre
       Gedanken, sie zu ergründen bleibt oft Aufgabe des Zuschauenden. Historisch
       ergänzt wird das schlichte Bild mit historischen Fakten über Bachmanns und
       Celans Leben, die als Schriftzug über das Bild gelegt werden. Wobei viele
       Details außer Acht gelassen werden. Unberücksichtigt bleiben etwa Celans
       Tötungsversuche an Frau und Kind, die seinen paranoiden Charakter
       deutlicher skizziert hätten. Rupp und Plaschg hingegen meistern ihre Rollen
       professionell, obwohl Letztere unter dem Pseudonym Soap&Skin in der
       Musikszene beheimatet ist. Doch auch Beckermann betritt mit der Entfernung
       vom Dokumentarfilm Neuland. Trotzdem fügt sich ihr Werk nicht nahtlos in
       das Genre des Spielfilms ein. Viele Szenen sind nicht getextet oder
       einstudiert, ereignen sich im Moment der Aufnahme.
       
       So sieht „Die Geträumten“ davon ab, sich auf die eine oder die andere Seite
       der Liebenden zu schlagen. Beckermann fordert dazu auf, sich wie die
       Vorlesenden in die Liebesgeschichte hineinzudenken, selbst zu analysieren.
       Dem Bestreben, diese logisch nachzuvollziehen, gibt der Film nicht nach.
       Man muss das Bild selbst ergänzen. Und auch wenn man sich mit den
       Biografien der beiden Schriftstellergrößen nicht weiter beschäftigt,
       vermittelt „Die Geträumten“ überzeugend die Geschichte einer großen Liebe,
       die an Aktualität nichts eingebüßt hat.
       
       23. und 26. Dezember, Kino Arsenal, 19.30 Uhr
       
       22 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Schantz
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA