# taz.de -- Cappuccino statt Kännchen
       
       > Blick von außen Alte Dufttraditionen, immergrünes Plastik und ein frisch
       > mit Hipster besetztes Café Kranzler: Unsere dänische Gastautorin
       > Henriette Harris schaut sich in Gentlemanbegleitung im neuen alten Westen
       > um
       
 (IMG) Bild: So schön, schön war die Zeit: damals, im Jahr 1986, an der Tür zum alten Café Kranzler, als es noch eine Westberliner Institution war
       
       von Henriette Harris
       
       Ein dänischer Freund von mir wohnt seit 1999 in Berlin. Westberlin.
       Ostberlin kam für ihn nicht infrage. „Vorher wohnte ich vier Jahre in
       Budapest“, sagt er. „Ich habe meinen Teil getan.“
       
       Eigentlich hätte er nichts dagegen, wenn ich seinen richtigen Namen
       benutzen würde, ich nenne ihn aber M. Dann denkt der Leser vielleicht an
       James Bond. Wie Bond ist M ein Gentleman. Aber er ist auch ein
       bescheidener Mensch. Er würde sich nicht einfach so mit dem Agenten 007
       vergleichen.
       
       An einem Samstag lese ich in der Süddeutschen, dass das Café Kranzler am
       Kurfürstendamm wieder geöffnet ist. In dem Artikel steht, dass das Café
       „ein Symbol des Berliner Westens“ sei. Für mich ist M ein Symbol des
       Berliner Westens. Seine Eltern waren beide Berliner, seine Mutter ist sogar
       in Charlottenburg geboren, wo das Kranzler sich auch befindet. Als die
       Nationalsozialisten zur Macht kamen, sind die Eltern glücklicherweise
       ausgewandert. M kam in der Nachkriegszeit in Frankfurt am Main zur Welt,
       irgendwann ging es dann für die Familie nach Dänemark, wo M aufwuchs, und
       als erwachsener Mann kam er vor nun bald 20 Jahren nach Westberlin.
       
       Ich war noch nie im Café Kranzler. Ich schreibe eine E-Mail an M. Ob er mit
       mir da hingehen möchte? „Du kannst dich noch erinnern, wie es in der
       Weimarer Republik war. Nein! Das war ein Witz. Ich meine natürlich im
       Kaiserreich.“ M hat Humor und ist nicht beleidigt. Er kommt mit.
       
       ## Die Markise in Rot-Weiß
       
       Früher bestellten die Wilmersdorfer Witwen Kaffee im Kännchen im Café
       Kranzler. Jetzt soll es dort laut dem Zeitungsartikel ein
       „Hipster-Publikum“ geben. Das erzähle ich M nicht. Ich erzähle nur, dass
       die rot-weiße Markise und die Balkone mit den weißen Geländern fein
       restauriert worden seien. Er freut sich. Ich habe zu Hause ein
       australisches Buch. „How to spot a hipster“ heißt es. Wir werden sie schon
       erkennen, denke ich.
       
       Am Bahnhof Zoo gibt es einen Weihnachtsmarkt, am Kurfürstendamm sind die
       Bäume geschmückt, in dem Gebäude, wo sich auch das Café Kranzler befindet,
       gibt es an dem Donnerstagnachmittag eine Party. Eine lange Schlange steht
       draußen, Fotografen, Leute, die Graffiti auf eine Wand sprayen, die Musik
       ist laut und modern. Offensichtlich macht gerade eine Klamottenmarke ein
       Geschäft auf.
       
       Ich versuche den Eingang zum Café Kranzler zu finden. Man muss von der
       Seite rein und in die zweite Etage. Bevor ich reingehe, schmeiße ich meinen
       Kaugummi weg. Passt nicht zu einem Treffen mit M.
       
       Oben im Café kann ich die erste Sache abhaken. Es gibt keine bequemen
       Sitzmöglichkeiten. Über Coffeeshops sagt mein Hipster-Buch: „Je weniger
       komfortabel, desto besser.“
       
       Hier sind die Schemel so niedrig wie die Tische, oder man sitzt auf einem
       zu schmalen, hohen Barhocker. Alles im hellen Holz, was aber organisch-hip
       wirkt. M kommt mir entgegen. „Das hier ist nicht wie das alte Café
       Kranzler“, sagt er bloß, als wir auf zwei Hockern am Fenster balancieren.
       Ich hole einen Cappuccino für mich und einen schwarzen Tee für M. Er hätte
       gern Zitrone dazu gehabt. Gibt es aber nicht. Too old school, vermute ich.
       Dafür tummelt sich am Tresen die Hipness. Die vier jungen Männer haben alle
       einen Vollbart, einer auch einen Arm voller Tätowierungen. Seine junge
       Kollegin hat geflochtene Haare. Alles wie in dem Buch. Neben uns sitzt ein
       Mann. Drei Punkte auf einmal: Vollbart, „man-bun“ (Dutt in den langen
       Haaren) und Tätowierungen. Wenn wir aus dem Fenster schauen, sehen wir den
       Karstadt Sports.
       
       Vergangenes Jahr kam die amerikanische Komödie „Man lernt nie aus“ in die
       Kinos. Robert De Niro spielt einen Witwer, der in der Internetfirma von
       Anne Hathaway als Praktikant angestellt wird. Er macht zuerst ein
       Bewerbungsvideo, in dem er sagt: „Ich mag, dass ihr hier in Brooklyn seid,
       wo ich mein ganzes Leben verbracht habe, und wo ich in der letzten Zeit das
       Gefühl habe, dass ich nicht hip genug bin, um in Brooklyn zu leben.“ Als er
       am ersten Tag im Anzug erscheint, sagt ihm Anne Hathaway: „Du brauchst dich
       nicht schön anzuziehen. Wir sind alle hier ziemlich locker.“ „Ich fühle
       mich aber wohl in einem Anzug“, antwortet De Niro. Und letztlich wird er
       natürlich zum Vorreiter im Film, und die jungen Männer (alle mit Vollbart),
       die kaum glauben können, dass er sich wirklich jeden Tag rasiert, auch am
       Sonntag, machen es ihm nach und fangen nicht nur an, Hemden zu tragen,
       sondern auch, die Hemden in die Hosen zu stecken.
       
       Ob M wie De Niro in dem Film eine Ankleide hat, weiß ich nicht. Bei De Niro
       liegen die Pullover nach Farbnuancen hochgestapelt und ein elektrisches
       Gerät lässt seine Krawatten drehen, so dass er schneller die Passende
       findet. Aber an Robert De Niro in diesem Film muss ich denken, als ich M
       hier im neuen alten Café Kranzler sehe. Er sieht wie immer tadellos aus.
       Pullover aus Kaschmir, darunter ein helles Hemd, Krawattenknoten noch
       sichtbar, ein dunkler Wollmantel über dem Arm und einen gemusterten
       Seidenschal. Ich sehe ein paar Männer in T-Shirts und ohne Socken, die zu
       ihm gucken, als ob sie sich seinen Stil abschauen könnten. Könnten sie
       natürlich nie im Leben. M ist mit Abstand der Coolste im Laden. Und seine
       Brille lässt ahnen, dass er etwas kontrolliert Wildes in sich verbirgt.
       
       In meinem Buch steht über Hipster mit runder Brillenfassung, wie sie M seit
       je trägt: „Einige Hipster sind eher zukunftsorientiert. Diese Hipster sind
       die verrückten, die Außenseiter.“
       
       M setzt sich eine graue Schirmmütze auf den Kopf. Wir gehen die elegante
       weiß-goldene Wendeltreppe hinunter. M erzählt, dass sie noch original aus
       den 1950er Jahren ist. „Jetzt müssen wir durch diesen merkwürdigen Laden“,
       sagt er, als wir auf der Etage von dem Klamottenladen sind. Und als wir
       ganz unten sind, erzählt er, dass das Café Kranzler einer der Lieblingsorte
       in Berlin von Helmut Kohl war. Er hat dann den Kaffee draußen auf dem
       Bürgersteig getrunken. Der Kanzler im Kranzler.
       
       Einmal mehr zeigt sich M als außergewöhnlich. Er ist mit dem Auto gekommen.
       Sein schwarzer, funkelnder Mercedes – fünf Jahre alt, sieht aber nagelneu
       aus – parkt am Zoo. M möchte mir ein Geschäft zeigen, von dem er mir schon
       vor Langem erzählt hat. Wo Westberlin Westberlin bleibt. Er fährt
       traumhaft, wir halten vor keiner Ampel in der Kantstraße. Als wir am Ziel
       sind, weiß ich, dass ich mit dem Vergleich mit James Bond genau richtig
       lag. Neben uns fährt ein Auto aus einem Parkplatz raus, und M parkt
       rückwärts sekundenschnell ein. „So was passiert nur in Westberlin“, sage
       ich. „Ja. Hipster brauchen wohl eine Ewigkeit, um einzuparken“, antwortet
       er.
       
       ## Der Herr der Düfte
       
       Das Geschäft, das direkt gegenüber von unserem Parkplatz liegt, heißt Harry
       Lehmann und ist dieses Jahr 90 Jahre alt geworden. Seit 1926 werden zwei
       Sachen verkauft: Parfums nach Gewicht und künstliche Blumen. Seinen
       Standort in der Kantstraße hat das Geschäft seit 1958, übrigens auch das
       Jahr, in dem das im Krieg zerbombte und dann neu aufgebaute Café Kranzler
       wiedereröffnet wurde.
       
       Harry wurde 1860 geboren, sein Enkel, der einen etwas älteren Vater hatte,
       führt heute in der dritten Generation den Laden weiter. Lutz Lehmann ist
       ein freundlicher Herr, der erzählt, dass er 50 bis 55 Parfums hat und dass
       er alle selber mischt. Er ist im Laden aufgewachsen und hat von seinen
       Eltern gelernt. Er musste immer verschiedene Düfte erkennen, Orange,
       Lavendel, und wurde gelobt, wenn es ihm gelungen ist. Jeden Tag kommen
       Leute rein, die gern einen persönlichen Duft gemischt hätte. Das macht Lutz
       Lehmann dann auch.
       
       Aber auch sonst gibt es genug offene Thekenflaschen, an denen man sich
       durchriechen kann. Die allermeisten Düfte eignen sich für beide
       Geschlechter, aber das ist natürlich Geschmackssache. Ich kaufe
       selbstverständlich ein Eau de Berlin, das als „modern, intensiv, spritzig
       und frisch“ beschrieben wird. M kauft sich Jubiläum 90, „frisch und herb“.
       Man bezahlt ein paar Euro für den Flakon, man kann ihn aber neu füllen
       lassen, wenn er leer ist. Daran hat schon der alte Herr Lehmann gedacht.
       Sehr hipstermäßig recyclingfreundlich für seine Zeit, könnte man meinen.
       
       Der Raum nebenan ist voll mit Orchideen, Rosen, grünen Pflanzen. „Die
       Plastikblumen sind Tradition. Die gab es schon im Laden von meinem
       Großvater“, erzählt Lutz Lehmann. Und dass sie sich mal gut verkaufen und
       mal weniger gut. Plastikblumen sind vielleicht nicht so hip.
       
       Aber es ist nicht unvorstellbar, dass sich einige ökobewusste Hipster von
       so wiederverwendbaren Blumen überzeugen lassen könnten. M aber wohl nicht.
       
       Die Autorin lebt als Journalistin in Berlin und schreibt für dänische
       Medien. Sie hat ein Buch über Berlin (auf Dänisch) geschrieben, aber die
       Stadt ist für sie noch längst nicht auserzählt. In ihrer Serie „Blick von
       außen“ schaut sie sich in loser Folge in Berlin um
       
       31 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Henriette Harris
       
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