# taz.de -- Ein hohes Maß an kalter Symbolik
       
       > Fotografie Drei Ausstellungen – im Sprengel Museum, im Museum Folkwang
       > und bei C/O Berlin – zeigen eindrucksvoll die Geschichte, Produktion und
       > Rezeption eines eher unbekannten Kapitels der jüngeren
       > Fotografie-geschichte, für die Berlin, Hannover und Essen wichtige
       > Zentren waren
       
 (IMG) Bild: Wilhelm Schürmann, Eupen (B), 1977
       
       von Maik Schlüter
       
       „Was uns sofort verband, war die gemeinsame Besessenheit und Leidenschaft
       für die Fotografie und die Bereitschaft, uns auszutauschen. Beide hatten
       wir den Ehrgeiz, die Fotografie neu zu entdecken. Unser heimlicher
       Standpunkt war: Die Fotografie ist tot, es lebe die Fotografie.“
       
       Diese Worte schrieb der Berliner Fotograf Michael Schmidt 1989 an seinen
       amerikanischen Kollegen und Freund Lewis Baltz. Schmidt und Baltz, die
       beide vor Kurzem verstorben sind, kannten sich seit 1980 und stehen mit
       ihrem jeweiligen Œuvre für eine Neubewertung der Fotografie im Kontext der
       Kunst. War die Fotografie in den USA bereits seit den siebziger Jahren als
       Medium künstlerischen Ausdrucks auch institutionell etabliert, dauerte
       dieser Prozess der Anerkennung in Deutschland bis weit in die Achtziger
       hinein. Erst in den neunziger Jahren entwickelte sich das Medium dann auch
       zu einer festen Größe auf dem Kunstmarkt.
       
       ## Rebellische Bilder
       
       Lewis Baltz’ Arbeit steht für die konzeptuelle und gesellschaftskritische
       Erweiterung einer dokumentarischen Fotografie. Jenseits von bekannten
       Bilderzählungen und Präsentationsformen verstand er die Fotografie als
       entschieden zeitgenössisches Medium.
       
       Damit waren er und einige andere Fotografen aus den USA wie John Gossage,
       Larry Clark, Larry Fink oder William Eggleston wegweisend für eine jüngere
       Generation von Fotografen und Fotografinnen, die sich um den Berliner
       Michael Schmidt versammelte. Der gründete Mitte der siebziger Jahre die
       „Werkstatt für Photographie“ in Berlin-Kreuzberg und eröffnete damit einen
       bis dato in der BRD nicht existenten Diskurs über die Bedeutung der
       Fotografie als Medium des persönlichen Ausdrucks.
       
       Aus dieser Auseinandersetzung erwuchs in den folgenden zwei Jahrzehnten
       eine neue Bildsprache, die sich deutlich absetzte von den formalen Vorgaben
       des etablierten Bildjournalismus und der sich zur gleichen Zeit
       entwickelnden „Becher-Schule“ in Düsseldorf. War in den Anfängen dieser
       Diskussion ein heute weltbekannter Fotograf wie Andreas Gursky zunächst in
       Essen an der Folkwangschule und später dann an der Düsseldorfer
       Kunstakademie eingeschrieben, trennten sich die Positionen immer mehr.
       
       An der Folkwangschule entstand in der Nachfolge des Fotolehrers Otto
       Steinert ein neues Bildverständnis: Bilder, die vom Sujet und von der
       Komposition her in Serien und Sequenzen auftauchten und die zentralen
       Prämissen des Bildaufbaus zerstörten. Oder wie es Florian Ebner, Kurator am
       Museum Folkwang für die Essener Szene formuliert: „Es waren rebellische
       Bilder.“
       
       Nicht umsonst hießen zwei von Ute Eskildsen, Kustodin am Museum Folkwang,
       organisierte Ausstellungen: „Absage an das Einzelbild“ (1980) und „Reste
       des Authentischen“ (1986). Auch der Berliner Michael Schmidt unterrichtete
       kurz, aber eindrücklich an der Folkwangschule. Denn in Berlin, Essen und in
       Hannover arbeiteten seit den späten siebziger Jahren Fotografen/innen an
       Bildern, die einer kommerziellen, konventionellen oder angewandten
       Fotografie vollkommen entgegenstanden. Die Diskussion wurde im Rahmen eines
       Netzwerks zwischen den drei Städten kontinuierlich geführt. Der
       Hannoveraner Fotograf Heinrich Riebesehl eröffnete 1977 mit seiner
       Einzelpräsentation in den Räumen der Berliner Werkstatt eine lange Reihe
       von Ausstellungen.
       
       Es entstanden dann in den Achtziger- und noch bis in die Neunzigerjahre
       hinein Bilder, die keine explizite Erzählung boten. Wenn etwa der Essener
       Joachim Brohm in Berlin fotografierte, dann jenseits aller Klischees. Der
       Fotograf arbeitete mit Unschärfen und einer gedämpften Farbigkeit. Er zeigt
       die politische und soziale Wirklichkeit der Stadt in urbanen Fragmenten:
       Mauern, Vorsprünge, Asphaltdecken oder unwirtliche Brachflächen beschreiben
       ein Gefühl der Isolation. Ein hohes Maß an kalter Symbolik und kaputter
       Komposition prägt diese und andere Arbeiten der damaligen Protagonisten.
       
       ## Latente Bedrohung
       
       Auch Schmidts Arbeit „Waffenruhe“ (1985–87) weist ähnliche Merkmale auf:
       unscharfe Details, eine abweisende Urbanität und unklare, düstere Räume.
       Alles wird in dieser Bildsprache zu einer latenten oder manifesten
       Bedrohung. Die Menschen wirken angespannt, deplatziert, verloren oder
       entfremdet. Schmidts frühere Aufnahmen zeigen Berlin in strengen urbanen
       Szenarien. Bilder, die das sogenannte Dokumentarische schon durch eine
       starke formale Forcierung erweitern. Was dann aus den fruchtbaren
       Diskussionen in Essen, Hannover und Berlin hervorging, erteilte jedem
       Formalismus eine klare Absage.
       
       Gosbert Adler, Volker Heinze, Eva Maria Ocherbauer oder Manfred Willmann
       gehören zu den radikalsten Protagonisten der Szene: Ihre Bilder zersetzen
       sich scheinbar selbst und stellen die Abbildung einer wie auch immer
       definierten Wirklichkeit massiv in Frage. Sie sind geprägt von einer
       hermetischen Bildrhetorik, die wenig Zugeständnisse an die Betrachter
       macht.
       
       Diese Bilder müssen in ihrer bewussten Fehlerhaftigkeit und anspruchsvollen
       Grammatik gelesen werden. Gerade dieser Schritt, weg von der strengen
       seriellen Arbeit, hin zu einer Visualisierung von mentaler, urbaner und
       politischer Destruktion, macht die eigentliche Qualität der Bilder der
       Schau „Das rebellische Bild“ im Folkwang aus. Die Ansichten sind subjektiv,
       verstörend, düster. Und gewinnen auch in Arbeiten von John Gossage (Stadt
       des Schwarz, 1987) oder Paul Graham (New Europe, 1986–92) eine
       pessimistische Metaphorik ohne jede Sentimentalität. Hier wird deutlich,
       dass die intensive Diskussion über Fotografie auch im internationalen
       Kontext geführt wurde und Wirkung zeigte.
       
       Die drei Ausstellungen im Sprengel Museum, im Museum Folkwang und bei C/O
       Berlin zeigen eindrucksvoll die Geschichte, Produktion und Rezeption dieses
       eher unbekannten Kapitels der jüngeren Fotografiegeschichte. Nicht nur eine
       neue Bildsprache prägt diese Zeit, sondern auch ein produktiver
       transatlantischer und publizistischer Austausch. So widmet das Sprengel
       Museum unter dem Titel „Plötzlich diese Weite“ dem reichhaltigen Diskurs in
       Bildern, Büchern und Magazinen einen eigenen Schwerpunkt zur
       Netzwerkbildung vor der Digitalisierung. Die Kuratoren Florian Ebner, Felix
       Hoffmann, Inka Schube und Thomas Weski setzen eigene Akzente und
       komplettieren so die jeweils anderen Schauen. Und obwohl die Arbeiten zum
       Teil mehr als dreißig Jahre alt sind, sind sie nicht minder relevant. Es
       sind rebellische Bilder, die jenseits der monumentalen Fetische einer
       spektakulären Großformatfotografie bestehen können und die bis heute
       verstören.
       
       Bis 19. Februar, Museum Folkwang, Essen; bis 19. März, Sprengel Museum
       Hannover, Katalog (Koenig Books) 39,80 Euro
       
       27 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Maik Schlüter
       
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