# taz.de -- Die Wahrheit: Weihnachtskarten mit Zuschlag
       
       > Irland ist das Land der Spendensammler. An jeder Ecke lauern sie. Und in
       > der Vorweihnachtszeit blüht ihr Geschäft mit der Betroffenheit.
       
 (IMG) Bild: Ein Auslaufmodell: Marmite im Supermarktregal
       
       Sie lauern an jeder Ecke. In der Weihnachtszeit ist es besonders schlimm,
       die Schlechtes-Gewissen-Macher sind unbarmherzig und verlangen von den
       Passanten Barmherzigkeit. Wer an einem Samstag die Dubliner Innenstadt
       besucht, muss sich auf einen Spießrutenlauf gefasst machen. Die Iren
       gehören seit jeher zu den zehn spendenfreudigsten Nationen der Welt. Wer
       seinen Obolus entrichtet hat, bekommt einen Aufkleber ans Revers geheftet
       und kann sich danach unbehelligt im Sammelgebiet aufhalten.
       
       Wohltätigkeitsverbände nutzen das schamlos aus. Es gibt 24.000 davon in
       Irland, 8.350 sind als gemeinnützig anerkannt, sodass man Spenden von der
       Steuer absetzen kann. Viele Organisationen haben sich derselben Sache
       verschrieben. Allein 48 Verbände beraten Suizidgefährdete, noch mehr setzen
       sich für Tiere ein – manchmal mit bizarren Methoden.
       
       Die Irische Gesellschaft zur Verhinderung von Tierquälerei veranstaltete in
       Norwegen ein 60 Kilometer langes winterliches Rennen für Schlittenhunde,
       bei dem die Tiere mit Peitschenhieben ermuntert wurden, einen Zahn
       zuzulegen. Konkurrierende Tierschutzorganisationen schäumten vor Wut.
       
       Möglicherweise waren sie wütend, weil sie nicht selbst auf eine solch
       profitable Idee gekommen sind. Natürlich gibt es viele Direktoren, die sich
       ehrenamtlich für ihre Sache einsetzen, doch den meisten sind die Objekte
       der Wohltätigkeit schnuppe. Drei Viertel von ihnen haben früher andere
       Verbände geleitet. Alzheimer, Blindenhunde, Obdachlose oder
       Nagelpilzgeschädigte? Egal, solange die Kasse stimmt.
       
       Dafür sorgt das Fußvolk, das sich täglich abrackert, um den Leuten ein paar
       Cent abzuluchsen, damit das Gehalt der Direktoren bezahlt werden kann.
       Viele von ihnen verdienen bis zu 150.000 Euro im Jahr. Bei mancher
       Organisation bleiben von jedem gespendeten Euro gerade noch fünf Cent für
       den eigentlichen Zweck übrig.
       
       Da wollen die Politiker nicht abseits stehen. Vor zwei Jahren haben sie
       eine Behörde ins Leben gerufen, die die Wohltätigkeitsverbände
       kontrollieren soll. Wie in einem vetternwirtschaftlichen Land üblich, so
       wächst diese Behörde kontinuierlich. Erst waren es zwölf Mitarbeiter, dann
       zwanzig, später 36, und bald wird jeder Regierungsabgeordnete seine
       Verwandtschaft dort untergebracht haben.
       
       Dafür bekommt man vom Abgeordneten seines Wahlkreises eine Weihnachtskarte.
       Wohltätigkeitsorganisation versuchen hingegen, einem Karten mit
       Betroffenheitszuschlag anzudrehen. Sie sind von misshandelten Zwergdackeln
       mit der Pfote oder von gleichgewichtsgestörten Steptänzern mit dem Zeh
       gemalt worden. Da Iren im Schnitt 89 Christmas Cards verschicken, ist der
       Markt sehr lukrativ.
       
       Aber lieber eine Karte, die von einem armlosen Sägewerkarbeiter mit dem
       Mund gemalt worden ist, als ein Weihnachtsgruß mit dem Porträt des
       Premierministers. Schließlich ist es das Fest der Besinnlichkeit und nicht
       der Besinnungslosigkeit. Obwohl es im feuchtfröhlichen Irland meist so
       endet.
       
       19 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Sotscheck
       
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