# taz.de -- Flüchtlingspolitik in Niger: Das Drehkreuz der Migration
       
       > Europa pumpt mehr als 600 Millionen Euro in das wichtigste Transitland
       > und setzt auf freiwillige Rückkehr. Schleuserei steht in Niger inzwischen
       > unter hoher Strafandrohung.
       
 (IMG) Bild: Angela Merkel besucht im Oktober 2016 das IOM-Zentrum in Nigers Hauptstadt Niamey
       
       Abuja taz | Der Sahelstaat Niger gerät seit 2015 immer stärker in den
       europäischen Fokus. Grund dafür sind die bis zu 200.000 Migranten, die die
       einstige französische Kolonie jährlich durchqueren und versuchen, auf dem
       Landweg nach Nordafrika und zumindest teilweise weiter in die Europäische
       Union (EU) zu gelangen. Andere Migrationsrouten, etwa vom Senegal zu den
       Kanarischen Inseln oder von Marokko nach Spanien, sind in den vergangenen
       Jahren aufgrund starker Kontrollen so gut wie unpassierbar geworden sind.
       Seitdem ist Niger zum wichtigsten Transitland auf dem afrikanischen
       Kontinent geworden; eine Einschätzung, die im Februar 2016 auch die
       Europäische Kommission geteilt hat.
       
       Die Zahl der Nigrer, die in der EU Schutz suchen, bleibt bisher allerdings
       im Ländervergleich konstant und gering. 2015 wurden lediglich 574
       Asylanträge in den EU-Mitgliedsstaaten gestellt. Davon wurden bisher elf
       bewilligt sowie 249 abgelehnt. Ein Grund für die geringe Bewegung ist:
       Niger, mit seinen rund 19 Millionen Einwohnern, ist aktuell Schlusslicht
       auf dem Entwicklungsindex der Vereinten Nationen (UN,). Viele Menschen sind
       schlicht zu arm, um die Reise nach Europa, die oft mehrere tausend Euro
       kostet, zu finanzieren.
       
       Der Niger hat bereits seit 2008 ein Rückführabkommen mit Spanien und seit
       2010 eins mit Italien. Ein weiteres ist mit der EU geplant. Im Februar 2016
       gehörte der Staat zu jenen 17 Ländern, die laut Bundesregierung die
       Abschiebung zurück in die Heimat behindern.
       
       Zum Zentrum der afrikanischen Migration ist eine historische Handelsstadt
       geworden: Agadez. Sie liegt rund 20 Busstunden von der Hauptstadt Niamey
       entfernt inmitten der Wüste. Vor Jahrhunderten erhielt sie den Beinamen
       „Perle der Sahara“ und war eine bedeutende Handelsmetropole in der
       Sahelregion, also traditionell auch eine Durchgangsstadt für Migranten. Das
       spiegelt sich auch in der Entscheidung der UNESCO (United Nations
       Educational, Scientific and Cultural Organization), die den historischen
       Stadtkern 2013 in die Liste des Weltkulturerbes aufnahm. Die Einwohnerzahl
       lag 2012 bei 118.240 Personen.
       
       ## Wegezoll an Checkpoints
       
       Tatsächlich dürfte sie heute weitaus höher sein, da Agadez zum wichtigsten
       Migrationsdrehkreuz in Afrika geworden ist. Die ganze Stadt lebt davon:
       Junge Mittelsmänner bringen Migranten und Schleuser zusammen. Diese helfen
       wiederum bei der Beschaffung von Unterkünften und vermitteln den Transport
       in Richtung Norden. Vor den zahlreichen Bankfilialen warten wiederum
       Dutzende Männer auf Geldüberweisungen der Familien in den Heimatländern,
       wovon Agenturen wie Western Money Union Transfer profitieren. Wer bauen
       möchte oder körperlich schwere Arbeiten zu erledigen hat, findet billige
       Tagelöhner. Nutznießer sind aber auch Polizei und Gendarmerie, da an jedem
       Checkpoint Geld von Migranten verlangt wird, die Summen liegen zwischen
       1,50 und rund 30 Euro. Argumentiert wird mit fehlenden Papieren.
       
       Für 2015 wurde geschätzt, dass zwischen 120.000 und knapp 190.000 Händler
       und Migranten die Stadt passierten. Für 2016 werden höhere Zahlen erwartet.
       Aufgrund der zentralen Rolle rückt gerade Agadez immer mehr in den Fokus
       der EU, wenn es darum geht, Flüchtlingsbewegungen in Richtung Norden zu
       bremsen.
       
       Seit November 2014 gibt es das Agadez Transitzentrum (Agadez Transit
       Centre). Finanziert wurde das Projekt vom italienischen Innenministerium;
       die Regierung in Niamey hat es befürwortet. Betreiber ist die
       Internationale Organisation für Migration (IOM). Das Zentrum soll jenen
       Migranten helfen, die bereits auf dem Weg gen Norden, vor allem nach
       Libyen, waren, sich aber nach Aussagen der IOM freiwillig für eine Rückkehr
       entscheiden. Die Mitarbeiter bieten auf dem Weg in die Heimatländer zurück
       eine Unterkunft sowie Versorgung für ein paar Tage an. Außerdem wird beim
       Erwerb von Bustickets geholfen. Migranten haben auch die Möglichkeit, ihre
       Familien anzurufen. Ausgestattet ist das Zentrum mit Schlafplätzen, Duschen
       sowie Kochmöglichkeiten und kann in Ausnahmefällen bis zu 1000 Menschen
       unterbringen. Im Regelfall sind es etwa 400. Bei einem Besuch im August
       2015 waren jedoch nur etwa 15 Personen vor Ort.
       
       ## Versteckt vor den Behörden
       
       Im April 2016 ist ebenfalls in Agadez ein Informationszentrum für Migranten
       (Migrant Information Office) eröffnet worden, das zum IOM-Programm
       „Resourcen und Reaktion auf Migration“ (MRRM, Migrant Resource and Response
       Mechanism) gehört und von der Europäischen Union und der britischen
       Organisation zur Entwicklungszusammenarbeit (DFID, Department for
       International Development) finanziert wird. Ziel ist es nach IOM-Angaben,
       Migranten über Chancen bezüglich Visa und Asyl sowie Arbeitsmöglichkeiten
       in Europa zu informieren. Außerdem gab es die Idee, Rückkehrer und
       Reisewillige zusammen zu bringen. Aufgrund des 2015 in Niger in Kraft
       getretenen Gesetzes gegen Menschenhandel verstecken sich Migranten
       mittlerweile aber so gut es geht, bleiben in ihren Unterkünften und
       Vierteln und bemühen sich, unsichtbar zu sein. Meist verlangen das ihre
       Schleuser.
       
       Zusätzlich gibt es zwei weitere kleine Informationszentren, die in Dirkou
       in der Nähe der libyschen Grenze sowie in Arlit an der Grenze zu Algerien
       liegen. Die EU-Finanzierung in Höhe von sieben Millionen Euro läuft bis
       Oktober 2019. Ein weiteres befindet sich in der Hauptstadt Niamey. Die IOM
       als Betreiber betont, dass der Aufenthalt in den jeweiligen Einrichtungen
       freiwillig sei. Es findet eine Zusammenarbeit mit anderen Organisationen,
       wie etwa der katholischen Kirche statt.
       
       Niamey ist auch Standort der zivilen EU-Mission im Sahel, EUCAP (EU
       Capacity Building Mission), die seit August 2016 von der Finnin Kirsti
       Henriksson geleitet wird und über ein Jahresbudget von 26,3 Millionen Euro
       verfügt. Ein weiteres Büro befindet sich mittlerweile in Agadez. Die
       Mission, die vor Ort 165 Mitarbeiter hat, begann 2012 und hat vorerst bis
       2018 ein Mandat. Offizieller Grund für die Mission war die instabile Lage
       in mehreren Nachbarländern. So besetzten mehrere islamistische
       Gruppierungen ab April 2012 den Norden des Nachbarlandes Mali und zwangen
       200.000 Menschen zur Flucht. Bis heute beherbergt Niger gut 60.000 malische
       Flüchtlinge. Stark ausgewirkt auf die Region hat sich außerdem der
       Zusammenbruch Libyens, wohin früher zahlreiche Westafrikaner – darunter
       auch Nigrer – zum Arbeiten gegangen waren. Nach dem Tod des Diktators
       Muhammar al Gaddafi und dem dadurch einsetzenden Staatszerfall waren die
       Arbeitsmigranten dort mittellos gestrandet. Erst im November 2016 hat IOM
       erneut 167 Nigrer zurück in ihr Heimatland geholt.
       
       ## Lösegeld für Dschihadisten
       
       Als besonders unsicher gilt heute der Südosten des Landes rund um die Stadt
       Diffa, wo knapp 97.000 Nigerianer als Flüchtlinge leben. Untergebracht sind
       sie – wie auch die Binnenflüchtlinge in Nigeria – meist in Gastkommunen.
       Sie sind vor der Terrormiliz Boko Haram geflohen, die seit Januar 2015 auch
       im Niger vermehrt Anschläge verübt hat. Aktiv im Niger ist auch al-Qaida im
       Islamischen Maghreb (AQMI). Erst im Oktober hatten ihre Mitglieder das
       Flüchtlingslager Tazalit überfallen und 22 Menschen getötet. Zuvor war AQMI
       mehrfach für die Entführung von Europäern in der Sahalzone verantwortlich
       gewesen. Sie erpressen auf diese Weise Lösegeld.
       
       Die EU-Mission EUCAP wird mit genau dieser instabilen Lage begründet. Deren
       Ziel ist es, auf nationaler und regionaler Ebene, den Kampf gegen
       Terrorismus und organisierte Kriminalität zu unterstützen. Nach eigenen
       Angaben sind bis heute mehr als 7000 Mitarbeiter der Polizei, Gendarmerie
       und Nationalgarde weitergebildet worden. Gegen Migration spricht sich EUCAP
       nicht generell und offiziell aus, wohl aber gegen die „illegale“ Migration
       sowie Drogen- und Menschenhandel, der häufig damit verbunden ist.
       
       Menschenhandel war 2015 das wohl wichtigste Schlagwort im Niger, auch wenn
       zu dieser Zeit in Europa Migration noch nicht das beherrschende Thema war.
       Im Mai verabschiedete die Regierung unter Mahamadou Issoufou, der im März
       nach einer stark kritisierten Wahl in seine zweite Amtszeit gegangen ist,
       ein Gesetz, durch das der Handel mit Menschen mit einer Gefängnisstrafe von
       bis zu 30 Jahren sowie einer Geldbuße von bis zu 45.000 Euro bestraft
       werden kann. Das Gesetz sei unter massivem Druck der EU zustande gekommen,
       bemängelt Hassane Boukar vom Journalistenverband Alternatives
       Bürgernetzwerk im Niger (Alternative Espaces Citoyens du Niger). Die
       nigrische Regierung habe außerdem „diese merkwürdigen Entscheidungen ohne
       einen Dialog mit der Zivilgesellschaft getroffen“, kritisiert Boukar.
       
       ## Druck und Geld aus der EU
       
       Gerade in Agadez kritisieren viele Bewohner und Beobachter des
       Migrantengeschäftes, dass das Gesetz Migranten vor allem in die Illegalität
       treibt. Schleusern ist es so möglich, höhere Preise zu verlangen. Ohnehin
       ist eine Umsetzung schwierig: Die Mehrzahl der Migranten, die in den Niger
       kommen, stammen aus Ländern der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft
       ECOWAS. Für sie gilt durch das 1979 ratifizierte Abkommen zur Reise- und
       Aufenthaltsfreiheit (Protocol on Free Movement of Persons, Residence, and
       Establishment) der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, dass
       sie sich bis zu 90 Tage in anderen Ländern innerhalb der ECOWAS-Zone
       aufhalten dürfen. Die Umsetzung des Abkommens ist jedoch von Land zu Land
       verschieden: mal reicht ein Personalausweis für Reisen und Aufenthalte, mal
       wird ein sogenannter ECOWAS-Reisepass gefordert.
       
       Doch nicht nur das noch relativ neue Gesetz gegen Menschenhandel ist auf
       Druck der EU entstanden. Es gibt zahlreiche weitere EU-Pläne, die auf den
       ersten Blick die Infrastruktur im Niger verbessern sollen. Neben den
       Informationszentren und der EUCAP-Mission sollen 596 Millionen Euro für den
       Zeitraum 2014 bis 2020 aus dem Europäischen Entwicklungsfonds in den Niger
       fließen, um Infrastrukturprojekte im weitesten Sinne umzusetzen. Kein
       anderes einzelnes Land wird mit einer so hohen Summe aus dem Fonds bedacht.
       Durch den Nothilfe-Treuhandfond für Afrika sind weitere 30 Millionen Euro
       in Landwirtschaftsprojekte in Tahoua und Agadez geplant sowie zusätzlich 25
       Millionen Euro für die Verbesserung von Regierungspraktiken auf lokaler
       Ebene sowie eine bessere Steuerung der Migrantenströme. Partner vor Ort ist
       die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).
       
       Weitere drei Millionen Euro sind für eine „bessere Grenzsicherung“
       vorgesehen und zwar mithilfe des Programms „Security Diffa Niger“ (SEDINI).
       Offiziell soll damit die Ausbreitung von Boko Haram in den Niger hinein
       verhindert werden. Da aus Nigeria aber auch zahlreiche Migranten kommen,
       ist ihre Bewegungsfreiheit, ob gewollt oder nicht, ebenfalls eingeschränkt.
       
       Mit der aktuellen Grenzsicherung lässt sich das schließlich nicht
       verhindern. So ist beispielsweise der Grenzübergang zwischen den Städten
       Birni N'Konni auf nigrischer und Illiea auf nigerianischer Seite wenig
       frequentiert und nicht technisch hochgerüstet. Es ist davon auszugehen,
       dass die meisten Bewohner weiterhin unkontrolliert die grüne Grenze
       überqueren.
       
       12 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Gänsler
       
       ## TAGS
       
 (DIR) migControl
 (DIR) Schwerpunkt Syrien
 (DIR) Menschenhandel
       
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