# taz.de -- Mehrfacher Schachweltmeister Aronjan: „Ich arbeite an mir, allein“
       
       > Durch den Computer sind Menschen beeinflussbar geworden, sagt Lewon
       > Aronjan. Der Großmeister über Emotion, Patriotismus und seine Chancen in
       > London.
       
 (IMG) Bild: Lewon Aronjan, 2012
       
       taz: Herr Aronjan, haben Sie heute schon Schach gespielt? 
       
       Lewon Aronjan: Nein.
       
       Sie trainieren also nicht jeden Tag? 
       
       Nein, manchmal erhole ich mich sogar für sehr lange Zeit vom Schach.
       
       Ab dem 9. Dezember nehmen Sie in London an der Grand Chess Tour 2016 teil.
       Wie sehen Sie Ihre Chancen? 
       
       Ich habe dieses Jahr nicht so gut begonnen, aber ich will 2016 erfolgreich
       beenden. Ich möchte in London den ersten Platz erkämpfen, um die Grand
       Chess Tour 2016 insgesamt dann als Zweiter zu beenden. Da beurteile ich
       meine Chance realistisch.
       
       Im Jahr 2009 waren Sie Weltmeister im Schnellschach und 2010 im
       Blitzschach. Ende Dezember sind in Katar Schnell- und
       Blitzschachweltmeisterschaften. Wollen Sie den Weltmeistertitel erneut
       holen? 
       
       Ich werde natürlich versuchen, in diesen Disziplinen wieder als Gewinner
       den Tisch zu verlassen, weil ich hier besser spielen kann als beim
       klassischen Schach.
       
       Es kommt auf schnelle, aber fehlerfreie Entscheidungen an. Leben Sie selbst
       auch nach diesem Motto? 
       
       Ich bin aus dem Kaukasus, also ein emotionaler Mensch. Deswegen bin ich
       erfolgreich beim Schnell- und Blitzschach – schnell reagieren, mit dem
       Herzen spielen, nicht der Logik unterwerfen.
       
       Was heißt denn für Sie Denken im Schachsport? 
       
       Skeptisch und kritisch zu sein. Das fehlt mir. Ich bin ein offener Mensch.
       
       Und was hilft Ihnen, um gut zu spielen? 
       
       Man kann nicht erklären, wann und warum ein Schachspieler gut oder schlecht
       spielt. Acht Stunden Schlaf, eine dreistündige Ruhezeit vor dem Spiel,
       Honig, sogar Akupunktur – alles habe ich probiert. Leider war das alles
       vergeblich. Nach einem Glas Wein spiele ich dagegen besser. Warum? Ich weiß
       es nicht.
       
       Heute ist auch Schach digitalisiert. Ist das Training mit dem Computer für
       Sie hilfreich? 
       
       Der Computer liefert Partien, durch die die Spieler ihre Spielart
       verlieren. Ein Beispiel: Ein Flug von Berlin nach Hamburg kostet 100 Euro,
       aber eine Suchmaschine bietet ein billiges Ticket für 10 Euro. Allerdings
       führt die Verbindung über Paris mit einem weiteren Umstieg in Amsterdam.
       Genau das kaufen heute viele Menschen. Durch den Computer sind die Menschen
       Allesfresser geworden. Das betrifft auch den Schachspieler. Ich würde
       niemals das billige Ticket nehmen.
       
       Halten Sie sich für ein Schachgenie? 
       
       Nein. Das ist ein größeres Wort, als es auf mich zutrifft.
       
       Was sind Ihre Stärken? 
       
       Ich höre auf meine innere Stimme und arbeite an mir. Allein. Es gibt kein
       Schachtraining für mich ohne Symphonien von Bach und Bruckner.
       
       Vom 2003 bis 2004 haben Sie etwa sechs Monaten lang für den deutschen
       Schachverband gespielt. Sie waren enttäuscht vom armenischen Verband und
       haben das Land verlassen. 
       
       Ich wusste, dass ich einer der besten Spieler Armeniens war. Doch die
       Verantwortlichen für Schach in Armenien wollten meine Erfolge übersehen und
       mir keinen neuen Chancen geben. Alle meine Siege wurden im armenischen
       Schachverband als Schicksal bezeichnet und nicht als Ergebnis meines
       Fleißes. Eine sowjetische Denkweise, die bis heute leider in Armenien
       herrscht: Die ältere Generation will den Erfolg der neuen Generation nicht
       annehmen.
       
       Und warum nach Deutschland? 
       
       In Deutschland haben wir uns die Zukunft besser vorgestellt. Da mein Vater
       Jude ist, hat unsere Familie 2002 einen Aufenthalt in Genthin in
       Sachsen-Anhalt bekommen. Dann sind wir nach Berlin umgezogen.
       
       Ihre Familie blieb in Berlin, Sie kehrten zurück nach Armenien. Warum? 
       
       Auf Initiative des heutigen armenischen Staatspräsidenten Sersch Sargsjan,
       der zugleich Vorsitzender des Schachverbands Armeniens ist, bin ich zurück
       nach Armenien geflogen.
       
       Was ist für Sie Patriotismus? 
       
       Wenn ein Bürger die Probleme seines Landes kennt, sich nicht ängstigt, laut
       darüber zu reden und sich damit beschäftigt, diese Probleme zu lösen.
       
       Sind Sie ein Patriot? 
       
       Ich würde sagen: Ja.
       
       Waren Sie damals auch ein Patriot, als Sie Armenien verlassen haben? 
       
       Nein. Es ist schwer, Patriot zu sein, wenn man immer in einem Land gelebt
       hat. Man muss sein Land verlassen, um seine Heimat zu vermissen und dann zu
       verstehen. Und dann natürlich zurückgehen und sich mit dem Land
       beschäftigen.
       
       8 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tigran Petrosyan
       
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