# taz.de -- Die Gegner des RB Leipzig: Das Scheitern der Moral
       
       > Die Traditionalisten, die RB Leipzig hassen, lehnen nicht das
       > kapitalistisch-feudalistische System ab, sondern denjenigen, der es
       > auszuhebeln vermag.
       
 (IMG) Bild: Betont seine „Tradition“ gerne gegen RB Leipzig: Andre Hahn von Borussia Mönchengladbach
       
       Wenn man die Ablehnung des Fußballklubs RB Leipzig verstehen will oder gar
       den Hass darauf, muss man sich zunächst zwei grundlegende Gefühlsmuster
       klarmachen. Das sage ich nicht in der Absicht, die Gründe der Ablehnung
       alle zu verwerfen. Verkürzt gesagt, geht es um die Frage, wie der
       Profifußball strukturiert sein soll.
       
       Mit geht es zunächst darum, den Diskussionsrahmen größer zu machen.
       
       Das eine Grundlagengefühl ist die verbreitete, gern auch kitschige
       Sehnsucht nach einer alten und schöneren und reineren Welt. Häufig ist das
       auch Sehnsucht nach der eigenen Kindheit und Jugend. Ehrliche Grätschen,
       skurrile Vokuhilas und dieses Ding in der Nachspielzeit, Mensch. Diese Form
       von Nostalgie ist eine der Folien, auf denen das Fußballmagazin 11 Freunde
       funktioniert.
       
       Die heile Welt hat es indes bekanntlich nirgends und auch im Fußball nie
       gegeben. Man war selbst jünger, und es gab RB Leipzig nicht, das ist alles.
       
       Die zweite Grundlage der verbreiteten Ablehnung von RB ist die Verkürzung
       des Fußball-Stakeholders auf eine Subspezies, nämlich den organisierten,
       singenden, zu Auswärtsspielen reisenden Stehplatzfan, der seine Zeit, seine
       Gefühle und seine sozialen Kontakte weitgehend der Teilhabe an einem
       Fußballklub widmet.
       
       ## Das Fußballunternehmen
       
       Diese Minderheit gilt in einem konventionellen und häufig auch in ihrem
       eigenen Denken als „wahre“ Fans. Es gibt auch „Wahre Finnen“, das sind die
       dortigen Rechtspopulisten, und da sieht man die Problematik. Wo die einen
       „wahre“ sein wollen, sollen andere als „unwahre“ diskriminiert werden, also
       als minderwertig. Popelige Sitzplatzleute, Familienkulturbanausen, Menschen
       mit ästhetischem oder wissenschaftlichen Interesse oder gar
       Fernsehfußballjunkies. Besonders problematisch wird es, wenn die „wahr“
       Liebenden autoritär verfügen wollen, dass die Liebe der anderen „unwahr“
       und minderwertig sei, weil sie ja einem „Plastikklub“ gelte. (Während sie
       selbst eine wahre Aktiengesellschaft lieben.)
       
       Selbstverständlich ist die Vorstellung von RB autoritär, ihre „Fans“ seien
       dafür da, das Team stets inbrünstig zu unterstützen und hätten ansonsten zu
       funktionieren. RB Leipzig ist aber kein Verein, der Entscheidungsteilhabe
       als konstituierend bezeichnet. Sondern ein Fußballunternehmen neuen Stils
       unter den Deckmantel eines Vereins, das den Spielraum der Deutschen Fußball
       Liga radikal ausnutzt. Generell kann der Spitzenfußball den Wunsch nach
       sozialer Partizipation im alten Stil nicht erfüllen und wohl auch nicht den
       nach ernsthafter Entscheidungspartizipation. Das bietet auch der SC
       Freiburg nicht.
       
       Es gibt in Deutschland aber tausende Fußballvereine, in denen man Spieler
       ausbilden, Kuchen backen und überhaupt den Laden mit seinen Freunden
       schmeißen kann. Man kann auch seinen eigenen demokratischen Klub gründen,
       wie es Fans von Manchester United taten, nachdem „ihr“ Klub von einem
       Investor übernommen worden war. Das ist eine demokratische Antwort auf die
       kritisierten Verhältnisse.
       
       ## Der Abstand zwischen 1. und 2. Liga
       
       Auch der Spitzenfußball ist ein Markt, der in immer stärkere Abhängigkeit
       von globalisierten, ökonomischen Zusammenhängen gerät. Soeben sind zwei
       neue Fernsehverträge vereinbart worden. Was sie eint: Es gibt mehr Geld.
       
       Das Ergebnis ist aber: Der Champions League-Vertrag wird den Abstand
       zwischen den Fußball-Weltkonzernen und dem Rest ihrer nationalen Liga
       weiter vergrößern. Der Vertrag für den deutschen Fußball könnte den Abstand
       zwischen 1. und 2. Liga weiter vergrößern.
       
       Will sagen: Obwohl alle ihre Umsätze permanent ausbauen, wird das
       Oben/Unten zementiert und die Durchlässigkeit geringer. Das heißt:
       Stuttgart (Titel 2007) und Bremen (Titel 2004) werden nie mehr Meister.
       Köln oder Frankfurt spielen nie Champions League, Bochum und Duisburg
       kommen wohl nicht mehr zurück in die 1. Liga. Es gibt Aufsteigerklubs wie
       SC Freiburg, Mainz 05 und FC Augsburg, die es mit Innovation und schlanken
       Entscheiderstrukturen in die Top 20 geschafft haben. Aber die Einzigen, die
       es wirklich noch in die engere Spitze schaffen können, sind Klubs, die ihr
       Geld nicht nur „ordentlich“ verdienen, sondern einen weitreichenden
       Zuschuss von einem Investor bekommen.
       
       Der Vorwurf lautet: ungerecht. Wettbewerbsverzerrung.
       
       Stimmt. Aber die ganze Champions League ist eine Wettbewerbsverzerrung. Wer
       da 20-mal drin war wie die Bayern, hat eine Summe kassiert, die sich einer
       Milliarde Euro nähern dürfte. Seit fünf Jahren sind da nur noch die
       gleichen sechs deutschen Klubs drin.
       
       ## Verständlicher Hass
       
       Will sagen: Die Traditionalisten, die RB Leipzig hassen, lehnen nicht das
       kapitalistisch-feudalistische System ab, sondern denjenigen, der in der
       Lage ist, es mit Geld auszuhebeln. Im Gegensatz zu ihrem eigenen Klub, der
       auch mitmacht, so gut er kann. Als ausgegliederte Aktiengesellschaft, in
       Abhängigkeit von einem Speditionsmilliardär, von Banken oder von einem
       Vorschuss auf die Zukunft, der schon aufgefuttert ist.
       
       Der Hass auf RB ist kein nobler und moralisch hochwertiger Hass. Aber ein
       verständlicher. Sie hassen, weil sie fürchten, dass der Fremde ihren Platz
       wegnimmt. Für jedes Wolfsburg, Hoffenheim und RB Leipzig fällt einer raus.
       Wenn demnächst durch den Druck des vielen englischen Fernsehgelds alle
       Fußballklubs in Deutschland für Investorenübernahmen geöffnet werden, dann
       wird nicht jeder, aber doch mancher betroffene Traditionsfan die beklagte
       Wettbewerbsverzerrung ruckzuck zur Herstellung von Chancengleichheit
       erklären.
       
       Der große Irrtum besteht aber darin, dass RB „nur“ eine „Marketingmaschine“
       von Red Bull sei. Es ist viel gefährlicher. RB ist eine
       Geschichtenmaschine.
       
       Der Versuch, das emotionale und ästhetische Erlebnis beim Fußball abhängig
       zu machen von moralischer Bewertung der Produktionsbedingungen, muss
       doppelt scheitern. Erstens, weil innerhalb der globalen
       Geschäftsbedingungen des Spitzenfußballs nicht zwischen guten und bösen
       Fußballunternehmen zu trennen ist. Und zweitens, weil der Mensch nicht so
       funktioniert. Der kulturelle Wert des Spitzenfußballklubs besteht in den
       Geschichten, die er für den Einzelnen und das kollektive Bewusstsein seiner
       Stakeholder herzustellen in der Lage ist. „Als Treibmittel einer sozialen
       Kommunikation, die Identität stiftet“, wie der Freiburger Fußballphilosoph
       Ulrich Fuchs schreibt. Es ist eine Identität, die am Spieltag und auch im
       Alltag gelebt werden kann. Vor allem geht es auch um das Gefühl, Teil von
       etwas Erfolgreichem zu sein. „Endlich aus der empfundenen Zweitklassigkeit
       raus: als Lebensgefühl unbezahlbar“, sagt die sächsische Publizistin Antje
       Hermenau.
       
       Die Fußballmaschine von Red-Bull-Besitzer Dietrich Mateschitz steht in
       Leipzig und einer vermutlich wachsenden Region für diese
       Identitätsstiftungen. Das Brillante und das Gefährliche besteht darin, dass
       im Kern die Red-Bull-„Werte“ erzählt werden, ohne konkret auf den
       Dosensprudel zu verweisen. Wenn RB einen Gegner aus dem Stadion fegt und
       dessen Schöpfer Ralf Rangnick danach sagt, er habe das Gefühl, „das Dach
       fliegt weg“, dann ist das Markenversprechen auf eine nie dagewesene Weise
       in die Wirklichkeit gewoben.
       
       12 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Unfried
       
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