# taz.de -- Sinn, Spaß und Gemeinschaftsgefühl
       
       > MOBILISIERUNG Das freiwillige Engagement in der deutschen Gesellschaft
       > ist groß und bringt viel, auch den Helfenden. Die Strukturen wandeln sich
       > jedoch, was besonders Sportvereine zu spüren bekommen. Eine Hürde ist
       > zunehmende Beschleunigung
       
 (IMG) Bild: Ehrenamtliche und freiwillige Helfer stellen in Berlin Feldbetten für Flüchtlinge auf
       
       Von Christine Berger
       
       Jedes Jahr ist es wieder so weit: In Seniorenwohnheimen spielen Kinder
       Flöte und singen Weihnachtslieder, ein Adventsbasar animiert zum Kaufen
       selbst gestrickter Strümpfe oder eigens gebackener Plätzchen. Das Alles ist
       ehrenamtlich und freiwillig organisiert, bezahlt mit der Freude in den
       Augen der alten Menschen. Nicht nur in der Unterstützung von Senioren oder
       geflüchteten Menschen ist die deutsche Bevölkerung hilfsbereit.
       
       Wie das Ergebnis des diesjährigen Freiwilligensurveys im Auftrag des
       Bundesfamilienministeriums zeigt, waren 2014 43,6 Prozent der Bevölkerung
       ab 14 Jahren freiwillig engagiert – das entspricht 30,9 Millionen Menschen.
       Die größten Tätigkeitsbereiche für Ehrenämter findet man in den Feldern
       Sport, Kultur und Musik, Freizeit, Gesundheit und Soziales. Außerdem in
       Schule, Kindergarten, Bildungsarbeit, Umweltschutz, Naturschutz und
       Tierschutz sowie in der Politik, Kirche, Justiz, bei den Unfall- und
       Rettungsdiensten oder der wirtschaftlichen Selbsthilfe.
       
       Wer am häufigsten ehrenamtlich arbeitet, ist längst wissenschaftlich
       untersucht: ein Mann im mittleren Alter ohne Migrationshintergrund mit
       gutem Einkommen, häufig Akademiker, verheiratet und Vater. Hauptsujet des
       typischen Ehrenamtlichen ist der Sportverein, davon gibt es rund 91.000 in
       Deutschland. Männer üben dort den Job des Trainers, Vereinsvorstandes oder
       Kassenwarts aus, häufig sind sie selbst schon als Kind im Verein
       sozialisiert worden und mit ihm sozusagen verheiratet.
       
       Warum Frauen, Arbeitslose und Migranten weniger Einsatz zeigen, weiß
       Bettina Hollstein, Wirtschaftsethikerin am Max-Weber-Kolleg der Universität
       Erfurt: „Über die Hälfte aller Ehrenamtlichen wurden zuvor angesprochen, ob
       sie sich engagieren möchten.“ Häufig frage man eher jene, die Erfahrung
       hätten und über bestimmte Ressourcen wie Einkommen, Einfluss oder Kontakte
       verfügen.
       
       „Wenn man nicht angesprochen wird und ein Umfeld hat, in dem wenig
       Freiwilligenengagement besteht, dann engagiert man sich häufig nicht.“ Man
       fühle sich schlichtweg nicht gewünscht. Daraus entstehe dann die paradoxe
       Situation, dass gerade die, die sowieso schon Überstunden machten, sich
       häufig auch noch ehrenamtlich einbinden. Interessant sei, so Hollstein,
       dass bei Familien mit kleinen Kindern häufig die Frauen ihr ehrenamtliches
       Engagement reduzierten, während die Partner dies erhöhten.
       
       Doch warum setzen sich eigentlich so viele für andere ein? „Die Annahme,
       Ehrenamtliche würden in ihrem Engagement in erster Linie das für sie
       Nutzbringende sehen, ist falsch“, erklärt Hollstein. Anerkennung, Spaß,
       Gemeinschaftserleben und sinnvolle Tätigkeiten ergreifen können, seien die
       überwiegenden Motive. Während im Sport die Männer im Ehrenamt dominieren,
       sind im sozialen Bereich Frauen sehr stark vertreten.
       
       Im Sozialen gewinnt zunehmend ein projektbezogenes, zeitlich begrenztes
       Engagement an Attraktivität. Das hat sich in der Vergangenheit nicht nur im
       Hinblick auf die Flüchtlingshilfe gezeigt, wo spontan Helfer für die
       Lebensmittelversorgung gesucht wurden oder eine Turnhalle zu einem
       Bettenlager umgebaut werden musste. Auch das Freiwillige Soziale Jahr
       (FSJ), sehr beliebt bei Schulabgängern, um Zeit für die Berufsorientierung
       zu haben, ist ein Dienst, der dem Ehrenamt zu neuem Aufschwung verholfen
       hat.
       
       Die Mobilisierung über das Internet und soziale Medien birgt ein großes
       Potenzial für die Rekrutierung von Ehrenamtlichen für die Projektarbeit. So
       schaffen es Facebook und Co. etwa, dass Migranten oder auch Deutsche, die
       aus einem anderen Ort neu hinzugezogen sind, von einem ehrenamtlichen
       Einsatz erfahren, obwohl sie dort noch nicht gut vernetzt sind. Portale im
       Internet wie von der Landesfreiwilligenagentur Berlin oder dem Land Berlin
       vermitteln ehrenamtliche Tätigkeiten, die jeder abrufen kann, ganz ohne
       persönliche Kontakte. Einige Sportvereine suchen über solche Portale
       bereits Trainer.
       
       Der traditionelle Weg, in ein Ehrenamt hineinzuwachsen, wird hingegen immer
       seltener beschritten, sodass gerade Sportvereine auch öfter Mühe haben,
       ihre Ehrenamtsposten zu besetzen. Sebastian Braun, Professor für
       Sportsoziologie an der Humboldt-Universität Berlin, sieht vor allem den
       gesellschaftlichen Wandel mit der Beschleunigung der meisten Lebensbereiche
       als Ursache: „Der frühere Normalfall, die langjährige Zugehörigkeit zu
       einem Verein, nimmt ab.“ Daher bedürfe es einer Professionalisierung mit
       einem Engagement-Management, das etwa Aufgabenfelder für Zeit- und
       Wissensspenden findet. Workshops und Weiterbildungsangebote für Vereine
       würden hierzu bereits von den Sportverbänden angeboten, die auch im
       Internet konkrete Hilfestellungen anböten.
       
       Trotz des Strukturwandels, der manchen Verein mangels Ehrenamtlicher in den
       Abgrund reißen dürfte, sehen Experten den Freiwilligendienst auf einem
       guten Weg. „Wir haben mehr Vereine und Stiftungen als je zuvor“, hält
       Bettina Hollstein von der Uni Erfurt fest. Eine Antwort auf Krisenprobleme,
       etwa Arbeitslosigkeit oder Pflegenotstand, sei das Ehrenamt aber nicht. „Es
       dient vielmehr der Selbstvergewisserung, wer wir sind und was wir wollen.
       Wir zeigen, was uns wichtig ist.“ Die Flüchtlingsarbeit etwa habe
       ausgedrückt, dass man sich Fremden gegenüber als freundliche Gesellschaft
       verstehe. Wichtig sei, die Aufgabenbereiche zwischen Ehrenamtlichen und
       Berufstätigen klar zu trennen, sonst sähen sich professionelle
       Arbeitskräfte in ihrer Existenz bedroht. Die freiwillig Helfenden dürfen
       also gern im Seniorenheim Plätzchen verteilen, aber bitte nicht den Abwasch
       machen.
       
       Ehrenamtsportale mit Adressen und Gesuchen in
       Berlin:http://freiwillig.berlin/https://www.berlin.de/buergeraktiv/
       
       3 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christine Berger
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA