# taz.de -- Ewiger Tod mit Eis
       
       > THEATER Robert Wilsons Inszenierung am Berliner Ensemble gewinnt Samuel
       > Becketts „Endspiel“ atemberaubend schöne Düsternis ab, aus der Jürgen
       > Holtz’ Auftritt als Nagg als starker Moment hervorragt
       
 (IMG) Bild: Im Stuhl Martin Schneider (Hamm) und dahinter Georgios Tsivanoglou (Clov)
       
       von Simone Kaempf
       
       Poptraurige Klänge von Rufus Wainwright oder Lou Reed kennt man bei Robert
       Wilson. Spieldosenhaft entrückte Musik von CocoRosie untermalte seine
       Berliner „Peter Pan“-Inszenierung, und nicht zu vergessen Kurt Weills
       bissige Brecht-Songs in der „Dreigroschenoper“. Alles jedoch freundliche
       Klänge im Vergleich zu den Gitarrenriffs, die nun in „Endspiel“ am Berliner
       Ensemble aufheulen. Ein metallisches Schrammeln, das immer wieder
       ohrenbetäubend einsetzt, wenn das Bühnenlicht sirrend an- und ausgeschaltet
       vom nahen Ende kündet: Höllenmusik.
       
       Wer hätte gedacht, dass Robert Wilson mit solch Heavy-Metal einmal eine
       Inszenierung orchestriert. Das Aufheulen der kreischenden Klänge übertönt
       sogar den Beckett-Satz, der herrisch herausgebrüllt wird: It’s nearly
       finished, it’s nearly finished. Martin Schneider rattert ihn als im
       Rollstuhl sitzender Hamm, der blinde Despot in „Endspiel“, dem Stück, in
       dem Samuel Beckett so genüsslich wie verzweifelt die Leere am Ende des
       Lebens, die ganze Sinn- und Ratlosigkeit umkreist.
       
       Die todgeweihten Figuren sind längst weltberühmt: der bewegungslose und
       blinde Hamm. Der ihm hassliebend verbundene Diener Clov. Nell und Nagg, die
       ihr Dasein in Mülltonnen fristen und doch aufgekratzt-lebendig ihre
       Glücksmomente beschwören. Sie setzen an diesem Abend düster-dramatisches
       Seelenfett an.
       
       Wilson und Beckett, das ist eine Klassikerkombination, wie sie immer rarer
       wird und am Berliner Ensemble mit Abschiedsgefühl einhergeht. Im Sommer
       übernimmt Oliver Reese die Leitung von Claus Peymann. „Endspiel“ ist
       Wilsons zehnte Arbeit und vielleicht seine letzte an dieser Bühne. Man
       neigt zu denken, es liegt am Umbruch, möglicherweise auch an der unsicheren
       Weltlage: Es ist jedenfalls Wilsons radikalste und düsterste geworden.
       Voller Misstöne und apokalyptischer Untergangsstimmung inmitten eines
       ausgefeilt-coolen Bühnendesigns.
       
       Typisch für Wilson wechselt in dem Bühnenkubus das gleißende Licht mehrmals
       die Farben. Jedes Detail durchdacht, hochstilisiert arrangiert, wie er es
       liebt. Eine niedrige Tür führt ins Irgendwo, bei jedem Gang stößt sich Clov
       den Schädel. Ein raffinierter Running Gag, der sich wiederholende
       menschliche Fehler und Schwächen symbolisiert. Wie gewohnt hat Wilson die
       Schauspieler weiß geschminkt. Gesichter verziehen sich schaurig,
       aufgerissene Augen und klaffende Münder, alles auf dem schmalen Grat
       zwischen mechanischen Puppen und Verkörperung einer verzerrten Welt.
       Georgios Tsivanoglou agiert als Diener stoisch watschelnd und drückt
       komödiantisch gewaltig auf die Tube. Doch der anfängliche Witz täuscht. Die
       komische Seite weicht dramatischen Bildern und einer abgründigen Düsternis.
       Wilson treibt diesem „Endspiel“ die Komik aus, auch die existenzielle
       Leere, sogar die Gottlosigkeit. Betende Hände heben sich hier zum Himmel.
       So leer, wie Beckett es beschwor, ist der Himmel an diesem Abend nicht.
       
       Die Kräfte, die Wilson beschwört, schlagen zurück, musikalisch, visuell,
       medial. Wenn Hamm sein Ende erkennt, legen sich Filmbilder schmelzender
       Eisberge bildschön über die Szenerie. Ein Lamellenvorhang verdeckt den
       brabbelnden Hamm, einzig beleuchtet von einer defekt sirrenden Neonröhre.
       Ein Sterbender im Angstzustand, und doch zielen die Bilder allgemeiner auf
       den düsteren Zustand der Welt.
       
       Als Beckett in den 50er Jahren das Stück schrieb, wirkten der Kalte Krieg
       und der drohende atomare Endschlag als Vorbild für die Todesvision. Wilson
       setzt eins drauf, belebt abstraktere bedrohliche Kräfte. Wer nur magischen
       Bilderzauber sehen will, mag in seinen anderen Inszenierungen besser dran
       sein. Diese Arbeit ist extremer, düsterer. Jürgen Holtz’ Auftritt als Nagg
       ragt als starker Moment heraus, eigentlich ist es nur sein Kopf, der sich
       in Zeitlupe aus der im Boden versenkten Mülltonne hebt. Er wird zur
       Hauptfigur. Ein kindlicher Greis, der in der berührendsten Szene seiner
       Frau zum hundertsten Mal den gleichen Witz erzählt – Glück in der
       Mülltonne, das von seinem Gedächtnisverlust bitter angekratzt ist. Im
       großen Untergang verkörpert Holtz indiskret und intim das Drama des
       menschlichen Alterns. Starke Szene eines Abends, dessen Spannungskurve
       steil nach oben führt.
       
       Nächste Vorstellungen am 23./25. 12., und 5./6. 1., Berliner Ensemble,
       Schiffbauergasse, www.berliner-ensemble.de
       
       6 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Kaempf
       
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