# taz.de -- „Säkuläre Ethik“ in Hamburg.: „Wir wollen Menschen helfen, Wege zu finden“
       
       > Der ehemalige buddhistische Mönch Christof Spitz hat in Hamburg ein
       > Netzwerk für säkulare Ethik mitgegründet. Zu dessen Angeboten gehört ein
       > Weisheitstraining.
       
 (IMG) Bild: „Ich habe die Kirche, aus der ich ausgetreten war, gegen eine Institution mit ähnlichen Hierarchien getauscht“: Christoph Spitz.
       
       Taz: Herr Spitz, warum gründet ein Buddhist ein Netzwerk für säkulare
       Ethik? 
       
       Christof Spitz: Um die Perspektive zu erweitern. Der Buddhismus ist eine
       Religion, und da steht die Ethik auch im Kontext einer Erlösungslehre. Das
       Netzwerk „Ethik heute“ verfolgt einen säkularen Ansatz. Wir wollen Menschen
       in jedweder Lebenssituation inspirieren, sich über ethische Werte und ihre
       persönliche Entwicklung Gedanken zu machen.
       
       In welcher Form? 
       
       Wir arbeiten interdisziplinär und beziehen neben Achtsamkeit und Meditation
       auch Philosophie, Wissenschaft, Psychologie ein, um aktuelle Themen aus
       verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Außerdem haben wir ein
       Weisheitstraining konzipiert,
       
       Kann man Weisheit lernen? 
       
       Die Weisheitsforschung, ein Zweig der Psychologie, zeigt, dass Menschen
       kulturübergreifend Weisheit kennen. Weisheit umfasst viele Eigenschaften:
       mit Pluralität positiv umgehen, verstehen, dass Werte relativ sind,
       langfristige Lösungen anstreben, reif mit Emotionen umgehen. Vieles davon
       kann man üben, indem man sich mit Fragen von Komplexität befasst. Oder
       durch Achtsamkeitsmeditation.
       
       Wie funktioniert das? 
       
       Man lernt, Dinge zu beobachten und die üblichen Bewertungs-reflexe
       wegzulassen; nur den Atem, die Gedanken und Gefühle zu beobachten; sich der
       eigenen ethischen Werte bewusst zu werden und sie in den Alltag zu bringen.
       
       Sind Ihre Seminare Therapie? 
       
       Nein, aber natürlich kommen auch Menschen in Lebenskrisen. Es gibt heute
       kaum Orte, die wir aufsuchen können, wenn wir in Veränderungsprozessen
       stecken. Weisheit wird ja auch definiert als Kompetenz, existenzielle
       Fragen positiv zu lösen. Wie bringt man etwa die Pflege eines Angehörigen
       mit seinem Beruf und persönlichen Zielen in Einklang? Wir wollen Menschen
       helfen, Wege zu finden, mit denen sie und ihre Umgebung gut leben können.
       
       Ist Ihr „Netztwerk Ethik“ alltagstauglicher als der Buddhismus? 
       
       Ich finde ja. Die Idee ist übrigens vom Dalai Lama inspiriert, der seit
       Jahren eine „säkulare Ethik“ fordert. Unter den Gründerinnen sind auch zwei
       Unternehmerinnen und eine Journalistin.
       
       Also keine versteckte Mission? 
       
       Nein. Das sehen Sie zum Beispiel an unserem kostenlosen Online-Magazin.
       Dort zeigen wir unvoreingenommen Menschen, Ideen oder konkretes Handeln,
       die Positives bewirken. Das reicht von Beispielen aus der Arbeitswelt bis
       zu Fragen von Konsum und Werten im Kontext der Flüchtlingsdebatte: Wie
       verträgt es sich etwa mit meiner Ethik, dass ich Produkte kaufe, die durch
       ausbeuterische Arbeitsverhältnisse entstanden?
       
       Der Dalai Lama sagt sogar: „Ethik ist wichtiger als Religion.“ Gehört
       Religion, wie schon Marx es forderte, entsorgt? 
       
       Es ist schon beeindruckend, dass er als religiöses Oberhaupt diese
       Relativierung schafft. Mit Ethik meint er keine äußeren Regeln, sondern
       eine innere Haltung von Mitgefühl und Mitmenschlichkeit. Wenn Religionen es
       nicht mehr schaffen, diese positiven Werte zu stärken, soll man sie besser
       abschaffen, sagt er. Aber er ist nicht gegen Religion als solche. Sie kann
       durchaus helfen, Menschen Vertrauen und eine positive Lebensausrichtung zu
       geben.
       
       Und was hat es mit Ihrem persönlichen Internet-Disput mit einem
       „Unbuddhisten“ auf sich? 
       
       Dieser Blog ist Resultat einer Debatte über zentrale Dogmen des tibetischen
       Buddhismus: Wiedergeburt und Karma-Lehre. Der Verfasser des Blogs sagte,
       mit Karma lasse sich selbst der Holocaust rechtfertigen. Ich habe
       gegengehalten. Kein buddhistischer Lehrer, den ich kenne, würde die
       Karma-Lehre benutzen, um solche Taten zu rechtfertigen
       
       Was besagt die Karma-Lehre? 
       
       Karma bedeutet „Handlung“. Der Gedanke dahinter ist, dass jede Tat Folgen
       hat. Selbst wenn ich nur denke „Ich will jemanden umbringen“, prägt das
       mein Bewusstsein negativ.
       
       Eine böse Tat erzeugt im nächsten Leben – so es das gibt –
       Schicksalsschläge? 
       
       So ungefähr. Auf der pragmatischen Ebene heißt das: Achte auf deine
       Motivation und deine Taten. Du wirst deren Konsequenzen irgendwann erleben.
       Umgekehrt sind deine heutigen Erfahrungen Ergebnisse früherer Taten. Diese
       Lehre soll Menschen helfen zu akzeptieren, was ihnen widerfährt.
       Keinesfalls soll man über andere urteilen nach dem Motto: „Das geschieht
       ihm recht, es ist ja sein Karma.“
       
       Glauben Sie an Karma und Wiedergeburt? 
       
       Ich glaube zu 50 Prozent an Karma. Wiedergeburt ist Spekulation. Ich glaube
       nicht, dass unser Bewusstsein weiterbesteht und sich mit einem neuen Körper
       verbindet. Aber Karma in dem Sinne, dass wir darauf achten sollten, was wir
       in Gang setzen – das finde ich richtig. Die daraus entwickelten Dogmen
       halte ich für überzogen.
       
       Sind Sie dann überhaupt noch Buddhist? 
       
       Ich glaube nicht, dass diese Dinge zentral dazugehören. Da die spirituellen
       Texte lange nach Buddhas Tod entstanden, weiß keiner genau, was er lehrte.
       Dafür haben sich buddhistische Gemeinschaften auf Inhalte geeinigt, die für
       sie zum Glauben gehören. Und wenn jemand sagt: „Wenn du in unserem Club
       sein möchtest, musst du Karma und Wiedergeburt anerkennen“, antworte ich:
       „Dann bin ich eben nicht in eurem Club.“ Ich will ehrlich zu mir selbst
       sein, respektiere aber alle, die Buddhismus als Religion ausüben.
       
       13 Jahre lang waren Sie im Club, als Mönch in Hamburgs Tibetischem Zentrum. 
       
       Ja, ich war voll drin im Club.
       
       Wieso traten Sie ein? 
       
       Weil ich mit Anfang 20 keine Antworten auf existenzielle Fragen fand. Dann
       bin ich auf tibetische buddhistische Lamas getroffen, die sehr geerdet
       wirkten. Gleichzeitig hatten sie eine rationale Philosophie, die lehrt, wie
       man positiv mit Lebenskrisen, Krankheit und anderen Leiden umgeht. Das hat
       mich inspiriert – sowie die Chance, in einer Gemeinschaft zu leben, die auf
       Genügsamkeit und innere Entwicklung setzt statt auf äußere Karriere.
       
       Welches war Ihr ursprüngliches Berufsziel? 
       
       Ich habe in Aachen Maschinenbau studiert, aber irgendwann wurde mir klar:
       Wenn ich diese materielle Karriere verfolge, macht es mich unglücklich.
       Dann traf ich erste buddhistische Lehrer, studierte Tibetologie, ging nach
       Hamburg. Dort begegnete ich dem tibetischen Lama Geshe Thubten Ngawang und
       habe, gemeinsam mit anderen Westlern, bei ihm intensiv Meditation und
       philosophische Debatte gelernt.
       
       Aber mussten Sie gleich Ihr Maschinenbau-Studium aufgeben? 
       
       Ich hätte natürlich weiterstudieren und nebenbei Buddhismus praktizieren
       können. Aber irgendwann wollte ich Buddhismus professionell betreiben. Für
       den Enschluss zum Mönchtum habe ich übrigens zwei Jahre gebraucht. Ob ich
       das heute wieder so entscheiden würde, weiß ich nicht.
       
       Warum nicht? 
       
       Weil ich bald merkte: Ich habe die Kirche, aus der ich ausgetreten war,
       gegen eine Institution mit ähnlichen Hierarchien eingetauscht. Zudem gilt
       der spirituelle Lehrer in der tibetischen Kultur oft als unangefochtene
       Autorität, der man nicht widerspricht.
       
       War das ein Problem für Sie? 
       
       Teilweise ja. Dabei war mein Lehrer ein sehr umgänglicher Mensch, fast eine
       Vaterfigur. Aber wenn Lehrer diese Position ausnutzen, um Dominanz zu
       erzeugen, passt es nicht in unsere aufgeklärte, demokratische, westliche
       Gesellschaft.
       
       War das der Grund, die Mönchsrobe 1994 abzulegen? 
       
       Nein, sondern weil ich meine Frau kennengelernt habe. Wenn man sich auf das
       Mönchsein einlässt, blendet man andere Aspekte seines Lebens aus. Das hat
       es für mich nicht aufgewogen. Trotzdem schätze ich am Buddhismus nach wie
       vor die Ethik der Gewaltlosigkeit, die tiefgründige Philosophie, das Wissen
       über unser Bewusstsein, und die Meditationspraktiken. Vieles davon ist für
       unsere heutige Gesellschaft hochaktuell.
       
       Sie sind auch Übersetzer des Dalai Lama. Wie fing das an? 
       
       Als wir 1991 den Dalai Lama nach Hamburg einluden, sagte mein Lehrer, den
       ich schon lange übersetzte: „Du bist jetzt gut genug, du kannst das
       machen.“
       
       Heute sind Sie hauptamtlicher Exklusiv-Übersetzer des Dalai Lama? 
       
       Weder hauptamtlich noch exklusiv. Ich bin einfach da. Und wenn er einen
       deutschen Übersetzer braucht, fragt mich sein Büro. Und abgesehen davon,
       dass es mir Spaß macht, möchte ich so auch seinen gewaltlosen Einsatz für
       die Selbstbestimmung der Tibeter und die Bewahrung ihres Kulturerbes
       unterstützen.
       
       Ist der Dalai Lama Ihr Guru? 
       
       Ich frage mich das nicht so formal. Ich frage mich: Kann er mich
       inspirieren? Er ist ein beeindruckender Mann, der eine große Verbundenheit
       mit allen Menschen lebt, unabhängig von dem, was uns unterscheidet. Mir
       imponiert auch, wie er versucht, Brücken vom Buddhismus zur westlichen
       Wissenschaft zu schlagen.
       
       Sind Sie beide Freunde? 
       
       Es ist ein sehr herzliches Verhältnis, und er bezeichnet mich manchmal als
       Freund. Allerdings ist er für mich auch Respektsperson. Ich bin nicht sein
       Kumpel. Das wäre nicht angemessen. Immerhin bin ich in erster Linie sein
       Übersetzer.
       
       Fragen Sie ihn um Rat? 
       
       Selten. Er hat wenig Zeit, und ich bin auch nicht der Typ, der vorprescht.
       So viele Leute möchten seinen Rat, da muss ich ja nicht nochmal dasselbe
       fragen. Das Wichtigste sagt er in seinen Vorträgen. Gut, wenn ich eine ganz
       persönliche Frage hätte, könnte ich sie ihm vielleicht mal stellen …
       
       5 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Petra Schellen
       
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