# taz.de -- FC Barcelona in der Krise: Das Urvertrauen verloren
       
       > Barça ist völlig verunsichert, Spitzenreiter Real Madrid hat bereits
       > sechs Punkte Vorsprung. Und nun steht auch noch der Clásico an.
       
 (IMG) Bild: Sinnbild der Verfassung des FC Barcelona: Lionel Messi
       
       Barcelona taz | Das Estadio Anoeta in der schmucken Küstenstadt San
       Sebastián gilt seit Jahren als verfluchte Wiese für den FC Barcelona:
       Mysteriöserweise hat die weltbeste Fußballmannschaft des letzten Jahrzehnts
       seit 2007 nicht beim nationalen Mittelklasseklub Real Sociedad gewonnen.
       Oft war es Pech, manchmal Sorglosigkeit oder auch beides. Nie jedoch hatte
       sie dabei so schlecht ausgesehen wie beim 1:1 am Sonntagabend. „Wir haben
       einen Punkt mitgenommen, obwohl wir nichts verdient hatten“, gestand
       Trainer Luis Enrique: „Das Unentschieden grenzt an ein Wunder.“
       
       In der Tat: Als Barça in der 40. Minute seinen ersten Torschuss abgab, lag
       es im Eckenverhältnis schon 0:7 zurück. Die Fehlpassquote von über 30
       Prozent war angesichts der einstigen Virtuosität im Kombinationsspiel
       geradezu historisch. Erstmals seit 2013 ging in der Liga eine
       Ballbesitzstatistik an den Gegner, 46 zu 54 Prozent.
       
       Es waren die vom ehemaligen Barça-Spieler Eusebio Sacristán – als Coach der
       zweiten Mannschaft vor knapp zwei Jahren stillos vom Hof gejagt –
       trainierten Basken, die durch ihr Pressing den Gegner zu planlosen
       Befreiungsschlägen zwangen, es waren seine Spieler, die ein wunderbar
       harmonisches Offensivspiel aufzogen, und es war die Real Sociedad, die eine
       Viertelstunde vor Schluss vom Schiedsrichter durch Aberkennung eines
       regulären Treffers um das überfällige Siegtor gebracht wurde. „Hätte sich
       ein Außerirdischer hierher verirrt, er musste denken, wir hätten die
       Trikots vertauscht, und sie waren Barcelona“, sagte Luis Enrique. In seinen
       Analysen lag er goldrichtig.
       
       Was er mit seiner Mannschaft in Training und Spielvorbereitung anstellt,
       muss dagegen zunehmend als rätselhaft gelten. Denn „die schlechteste
       Partie, seit ich hier Trainer bin“, war allenfalls in ihrem Extrem ein
       singuläres Ereignis: darin, dass seine Elf quasi über die ganze Spielzeit
       beherrscht wurde und nicht nur über einzelne Phasen wie bei den letzten
       Auswärtsspielen in Vigo (3:4), Valencia (3:2) oder Sevilla (2:1). Dass sie
       sich mit Ausnahme des Ausgleichstreffers durch eine Koproduktion von Neymar
       und Torschütze Messi über die gesamte Partie so schwerfällig präsentierte
       wie über weite Strecken bei den letzten Heimspielen gegen Granada (1:0) und
       Málaga (0:0).
       
       ## Fragende Blicke
       
       Schlechter da stand Barça nach 13 Spieltagen zuletzt 2003: Die
       Ergebniskrise ist unübersehbar, mit sechs Punkten Rückstand geht es am
       Samstag in den Clásico gegen Spitzenreiter Real Madrid. „Aber das macht mir
       im Moment noch die geringsten Sorgen“, sagte Abwehrmann Gerard Piqué. Was
       ihn wirklich bekümmert? „Die Einstellung. In der 1. Halbzeit waren wir gar
       nicht da.“
       
       Bisweilen war die Verunsicherung schon fast bizarr. Bei Abstößen warfen
       sich Torwart Marc-André ter Stegen und seine Vorderleute fragende Blicke zu
       – ehe der Deutsche den Ball angesichts der aufrückenden Gastgeber lieber
       lang und weit nach vorn bolzte. Als er einmal doch die gepflegte
       Spieleröffnung wagte, gab es sofort einen Rüffel von Luis Enrique.
       
       Offenbar traut der Trainer nach etlichen Gegentoren durch frühe
       Ballverluste seiner eigenen Mannschaft nicht mehr zu, was in der Klub-Fibel
       immer als unverhandelbar galt: die Angriffe sauber von hinten aufzubauen.
       Der Verzicht fügt sich in den Trend der Saison: Barça demontiert seine
       eigenen Grundsätze. Das Mittelfeld – seit Johan Cruyffs Zeiten das
       Herzstück der Barça-DNA – ist vom Hauptbahnhof zur Durchgangsstation
       verkommen. Im Anoeta traute man sich nun nicht mal mehr das
       Offensivpressing.
       
       ## Beine zu müde – oder ist es der Kopf?
       
       Sind die Beine zu müde oder ist es der Kopf? Mittelfeldspieler wie Sergio
       Busquets und Ivan Rakitic mussten in den letzten Jahren permanent an ihre
       Grenzen gehen, um der Sturmreihe aus Messi, Neymar und Luis Suárez den
       Luxus einer dosierten Defensivarbeit zu ermöglichen. Ohne ein kompaktes
       Pressing sind sie beim Stopfen der Lücken erst recht überfordert.
       
       Der famose Dreizack hängt in der Luft. Und was die Alternativen angeht, ist
       man auch nach 120 Millionen Euro Transferausgaben im Sommer so weit wie
       zuvor. Die Neuen passen entweder nicht ins Profil wie der orientierungslose
       Mittelfeldspieler André Gomes oder Enrique traut ihnen nicht. Am Sonntag
       nahm er nur eine Auswechslung vor; Piqué und Linksverteidiger Alba mussten
       angeschlagen durchspielen.
       
       Auf der Weltbühne Clásico spielt Barça nun nicht nur um die Optionen der
       Titelverteidigung – sondern auch gegen den Eindruck, sein eigenes
       Fußball-Modell nicht mehr zu beherrschen.
       
       29 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Florian Haupt
       
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