# taz.de -- Der Überlebenskünstler
       
       > Weltenbummler Masato Takahashi ist nach einer Odyssee durch die Welt in
       > Berlin gelandet – hier schlägt er sich durch. Der Japaner trägt gern
       > Pilotenanzüge und verlässt sich auf nichts als das Geschick seiner Hände.
       > Er fertigt Uhren, Taschen und Schmuck
       
 (IMG) Bild: Er ist ein Berliner: In seinem Pilotenanzug sieht Masato Takahashi aus wie die japanische Variante von „Maverick“ aus „Top Gun“
       
       von Axel Weidemann
       
       Es beginnt in Japan. Mit einer Frau namens Kumiko. Masato Takahashi hätte
       ihr die Welt zu Füßen gelegt. „Ich mochte sie sehr.“ Sehr – das ist für
       viele japanische Männer ein großes Wort. Aber die Welt reichte nicht. Oder
       aber: Sie war zu viel. Nach drei Monaten war Schluss. Das war im Jahr 2014.
       Zeit für einen Aufbruch, einen Neuanfang, ein fernes Versprechen.
       
       Zwei Jahre später wohnt Takahashi in einem Zimmer – knapp 30 Quadratmeter –
       in Prenzlauer Berg. Das Haus ist eine kleine japanische Enklave: von Ando
       bis Suzuki, über fünf Etagen kein Klingelschild, auf dem kein japanischer
       Nachname steht.
       
       Takahashi sitzt am Esstisch und raucht sehr konzentriert. Als müsste er den
       Geschmack des Tabaks verkosten. In seinem Pilotenanzug sieht er aus wie die
       japanische Variante von „Maverick“ aus „Top Gun“. Schmales Gesicht, hohe
       Wangenknochen, kleine braune, fast schwarze Augen, die beim Sprechen oft
       nach unten blicken, wenn er über das Gesagte nachdenkt, nachdem er den
       letzten Satz mit einem langen „hmmmm“ unterstrichen hat. Seine Hände sind
       feingliedrig und kräftig wie die eines Violinen- oder Mikadospielers.
       
       ## Keine Ameise sein
       
       Zettel, Entwürfe und Kladden bedecken den Esstisch. Zeichnungen von Dingen,
       die aussehen, als könnte man sie in einem Computer-Rollenspiel als
       Belohnungen erhalten. Gerade erklärt Takahashi ein Stück, das er für eine
       Freundin angefertigt hat: Ein grüner Schmuckstein baumelt in einer
       komplexen kleinen Messingaufhängung und wirkt, als könnte er seinen Träger
       unsichtbar machen.
       
       Geboren in Tokio, hat sich Takahashi der großen japanischen
       Leistungsmaschine verweigert. Jener Maschine – bestehend aus einem eng
       verzahnten Räderwerk aus Aufnahmetests für die Schule, die Uni und die
       Firma –, die aus frechen japanischen Kindern gesellschaftsfähige
       Anzugträger, „Ameisen“, macht.
       
       Nach zwei Jahren Wirtschaftsstudium in Nagano beschließt er, kein Zahnrad
       zu werden. 2001 reist er nach Vancouver, lernt Englisch und beginnt – weil
       das unter seinen Freunden dort gerade beliebt ist –, Schmuckaccessoires mit
       Glasperlen zu basteln. Von einer Chinesin lernt er, Armbänder aus
       Kettenringen zu knüpfen. Ein Mexikaner zeigt ihm, wie man Schmuck aus Draht
       und Perlen bastelt. „Zu der Zeit dachte ich nicht, dass ich das zu meinem
       Beruf machen würde“, sagt der 36-Jährige. Skateboarding, Punkmusik, Gras –
       das waren Dinge, die ihn bewegten.
       
       Als das Geld knapp wird, kehrt Takahashi zurück nach Japan. Leben im
       Schuhkarton und ein Teilzeitjob bei einer großen Videotheken-Kette. Stanley
       Kubrick, Takashi „Beat“ Kitano und Anime-Serien sind sein Fenster zur Welt.
       Und während das Geflimmer der Glotze über die Zimmerwände krabbelt, kommen
       Letztere ihm bedrohlich nahe.
       
       Also raus hier, gen Süden! 2003 findet sich Takahashi im australischen
       Byron Bay wieder. „So ein typischer Surfer-Hang-out-Ort.“ Er beginnt,
       Armbänder aus alten Lederresten herzustellen, die er mit Metallnieten und
       Dingen verziert, die er auf der Straße findet. Dazu sammelt er
       Elektroschrott und nimmt ihn auf der Suche nach schmuckwürdigen Teilen
       auseinander: Fernseher, Computer, Antennen, Toaster. Aus dieser Zeit stammt
       auch sein Markenname, der heute auf jedem seiner Werkstücke prangt:
       „Ichienso“ – „Sieht aus wie für einen Yen“.
       
       Die nächsten Jahre eilen nach dem Muster „an – aus – an – aus“ vorbei:
       arbeiten in Japan, lernen in der Welt. Seine Reisen führen nach Thailand
       und Indien. Für eine Sonnenfinsternis fährt er in die Türkei und für das
       Essen nach Frankreich.
       
       Erst 2008 ist damit Schluss. In diesem Jahr wird er nach ein paar Anläufen
       für drei reiche Monate mit Kumiko zusammen sein. Wer hier nachhakt, weil es
       die erste Freundin ist, die einen Namen bekommt, erntet ein verlegenes
       Lächeln, das nach Keksdiebstahl aussieht. Blick nach unten. „Männer
       schweigen“, heißt es in Japan.
       
       Takahashi stürzt sich in sein Handwerk. Er sammelt die nötigen Werkzeuge
       und lernt, mit Messing zu arbeiten. Nebenher sucht er Läden, die seine
       Arbeit verkaufen. Es ist eine einsame Zeit. „Ich bin stolz auf das, was ich
       tue“, sagt er ganz unvermittelt. „Ich liebe die Freiheit, alles zu
       verarbeiten, was mir über den Weg gespült wird.“
       
       ## Stadt der Gleichgesinnten
       
       Deshalb Berlin, die schillerndste aller Stadt gewordenen Nervensägen. Für
       ihn sei das einer dieser sagenumwobenen Orte gewesen. Eine Stadt von
       Gleichgesinnten, in der man immer irgendwie leben kann, solange man sich
       bewegt.
       
       So steht eine massive Werkbank in seinem Zimmer. Sie wirkt wie eine Orgel
       am Ende eines Kirchenschiffs. Statt Registern ist sie übersät mit Griffen –
       von kleinen Hämmern, Zangen, Schraubenziehern, Pfeilen und
       Schleifwerkzeugen. Zwei massive Kommoden mit Setzkästen dienen der
       Werkschau: Taschen, Ringe, Armbänder, Uhren, Tabakbehälter und
       Messinghüllen für Joints zum Umhängen.
       
       Masato Takahashi verarbeitet gelebtes Leben zu Schmuck: Ehemalige
       Zuckerzangen werden zu Armreifen gebogen, ihre Greifflächen dienen als
       Verzierung von Ledertaschen. Wenn Takahashi auf dem Schemel an der Werkbank
       hockt, die Zigarette nebst zwei Zentimetern Asche daran ganz weit außen in
       den Mundwinkel gepresst, dann scheint es wie ein Geduldspiel. Ting, ting,
       ting, ting, ting, der Ton des Metalls.
       
       Es wirkt, als würde er sich mühsam sein Leben zusammenbasteln – aus all
       diesen kleinen, funkelnden Teilen, die ihm „über den Weg gespült“ werden.
       Nichts ist aus einem Guss. „Aber ich liebe Berlin“, sagt er mit Pathos und
       etwas trotzig auf Deutsch. Doch auch hier gibt es Stillstand und
       Einsamkeit. Und es heiße ja nicht umsonst Sprachbarriere. Wer sich beim
       Gespräch mit ihm abmühen müsse, der verweile nicht, komme auch nicht
       zurück. „Bei vielen Deutschen kratzt man lange an der Oberfläche herum“,
       sagt Takahashi. „Ich habe manchmal das Gefühl, dass einige ihr Herz
       verschlossen halten.“ Also bastelt er weiter – an tausend funkelnden
       Schlüsseln.
       
       3 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Axel Weidemann
       
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