# taz.de -- Unerschrocken
       
       > Afrikamera 2016 
Das von toucouleur e. V. organisierte Festival hat
       > dieses Jahr seinen Schwerpunkt bei aktuellen Spiel- und Dokumentarfilmen
       > zu queeren Lebensweisen
       
 (IMG) Bild: „Salvation Army“ von Abdellah Taïa
       
       von Toby Ashraf
       
       Der marokkanische Filmemacher Abdellah Taïa ist Meister darin, Dinge nicht
       direkt zu zeigen. In seinem Debütfilm „Salvation Army“ (2013), der das
       neunte Filmfestival Afrikamera eröffnet, sieht man den Bruder der jungen
       Hauptfigur Abdellah kaum. Seine Präsenz und die erotische Anziehung, die
       der Junge zu ihm hat, wirken dadurch aber umso größer. Heimlich schleicht
       sich Abdellah in dessen Zimmer und schmiegt sich an sein Bett oder legt
       eine Blume auf sein Kopfkissen. Das Begehren und der Begehrte werden somit
       zum Phantom, zu etwas, wofür es keine Worte oder Bilder geben darf, etwas,
       über das man nicht spricht.
       
       Ähnlich verhält es sich an vielen Stellen in Taïas zurückgenommener
       Inszenierung, etwa wenn die Mutter nachts aus dem mit Kindern überfüllten
       Schlafzimmer zum Ehemann schleicht und man nur von außen ihre Schreie aus
       dem Zimmer des Patriarchen hört. Oder wenn der kleine Abdellah von einem
       älteren Verkäufer immer wieder in Ecken der Stadt geführt wird, wo niemand
       sie sehen kann.
       
       Zehn Jahre ist es her, dass der mittlerweile in Paris lebende Abdellah Taïa
       mit „Salvation Army“ seinen ersten, autobiografisch gefärbten Roman
       herausbrachte, den er später selbst verfilmen sollte und der nach seiner
       Veröffentlichung für Wirbel sorgte, weil er Dinge thematisierte, über die
       man in Marokko nicht sprach. Das Wichtigste war dabei wohl die
       Homosexualität seiner Hauptfigur und die Tatsache, dass sich der Autor und
       Filmemacher als schwul outete und damit der erste und bislang einzige Autor
       und Filmemacher Marokkos zu sein scheint, der dies tat.
       
       In 34 von 55 afrikanischen Staaten ist Homosexualität laut einem im Mai
       dieses Jahres veröffentlichten Bericht illegal. In manchen Ländern stehen
       gleichgeschlechtliche Beziehungen noch immer unter Gefängnis- oder sogar
       Todesstrafe. Grund genug für Festivalleiter und Mitbegründer Alex Moussa
       Sawadogo, das erste Mal in der Geschichte von Afrikamera einen thematischen
       Schwerpunkt zu setzen und in zahlreichen der über 20 afrikanischen Filme
       die rechtliche und persönliche Situation von Menschen aus der
       LGTBQI*-Community in den Fokus zu nehmen.
       
       Ähnlich formal bezwingend wie „Salvation Army“ ist dabei der Kurzfilm
       „Reluctantly Queer“ der US-amerikanischen Filmemacherin Akosua Adoma Owusu.
       Auf Super-8-Material gedreht und als Vertonung eines Coming-out-Briefs an
       seine Mutter in Ghana inszeniert, zeigt der Film den in den USA lebenden
       Kwame Edwin Otu in seinem Apartment, beim Duschen oder im Bett mit seinem
       Freund. Währenddessen hören wir von den Schwierigkeiten des Mannes in Ghana
       schwul, aber auch in den USA schwarz zu sein. Ein kleines, in grobkörnigen
       Schwarzweißbildern gefilmtes Gedicht, dass bei aller Eingeschlossenheit
       seines Erzählers ähnlich wie Abdellah Taïas Film doch auch optimistisch
       wirkt, wenngleich in beiden Filmen ein Leben außerhalb des afrikanischen
       Kontinents erst mal keine Einlösung des Glücksversprechens garantiert.
       
       In Südafrika, dessen Politik als vergleichsweise liberal gelten muss, macht
       sich Sheriff, bewaffnet mit Film, Projektor und aktivistischer Mission auf,
       um an Schulen und in kleinen Gemeinden über die Lage von Trans*menschen
       aufzuklären. Welches Personalpronomen man verwenden soll, fragt eine
       Schülerin Sheriff.
       
       Die Antwort: „Ich bin nicht ‚er‘oder ‚sie‘, ich bin Sheriff“. Der
       Dokumentarfilm „I Am Sheriff Now“ des dffb-Absolventen Teboho Edkins kommt
       dabei ganz ohne Musik und erklärenden Kommentar aus und konzentriert sich
       allein auf die unermüdliche und unerschrockene Arbeit eines faszinierenden
       Menschen, der in den Dialog treten will mit einer Umwelt, die in der Regel
       nur zwei Geschlechter kennt.
       
       In „The Pearl of Africa“ ist es die Trans*gender Aktivistin Cleopatra
       Kambugu, die zur Heldin des dokumentarischen Porträts von Jonny von
       Wallström wird. Heldin deshalb, weil sie in Uganda den Mut hatte, sich als
       Erste offen zu ihrer Trans*identität zu bekennen in einem Land, in dem die
       Namen von LGTBGIs in der Boulevardpresse veröffentlicht und Schwule
       gefesselt durch die Straßen gezogen werden, wie wir in Archivbildern aus
       Nachrichtensendungen sehen.
       
       Bei aller Gewalt, die in diesen Filmen in Form von Gesetzen, Sprache,
       handgreiflichen Akten oder Schweigen zum Vorschein kommt, wird die ewige
       Trope des „armen Afrikas“ in den meisten Filmen glücklicherweise durch
       Erzählungen von Mut, Hoffnung und Aktivismus ersetzt. Die schwierige
       Selbstbehauptung der Figuren in Gesellschaften, in denen Dinge nicht
       besprochen, gezeigt oder erlaubt werden, stimmt hoffnungsvoll für Kämpfe,
       die noch lange nicht ausgetragen sind.
       
       Afrikamera, Kino Arsenal, noch bis 6. November
       
       2 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Toby Ashraf
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA