# taz.de -- Die Mischung macht’s
       
       > Multimodal In Berlin kann man für jeden Weg und jede Gelegenheit das
       > passende Fahrzeug finden. Wenn mehr Menschen auf das eigene Auto
       > verzichten, gewinnt die Stadt Grün- und Spielflächen – die Lebensqualität
       > wird besser
       
 (IMG) Bild: Auch Fußgänger sollen künftig in Berlin besonders gefördert werden
       
       von Christine Berger
       
       Wer früher schnell mal seinen gehbehinderten Opa zum Busbahnhof bringen
       wollte und kein Auto besaß, nutzte ein Taxi. Heute kann man alternativ
       eines der vielen E-Autos nutzen, die in deutschen Metropolen überall
       herumstehen. Auch ein E-Roller oder eine Rikscha sind Transportmittel, die
       den Mobilitätsmix aus öffentlichem Nah- und Individualverkehr mittlerweile
       bereichern. Möglichkeiten, von A nach B zu kommen, gibt es in der Großstadt
       so viele wie nie zuvor. Unterstützung bieten Apps wie zum Beispiel die
       Berlin Mobil App. Nach Eingabe von Start- und Zielort spuckt das Programm
       alle Varianten aus (zu Fuß, mit dem Rad, Auto sowie das alles in
       Kombination), wie man geradewegs ans Ziel kommt, nennt Kosten und
       CO2-Ausstoß. Auch der nächste Carsharing-Anbieter wird angezeigt, inklusive
       verfügbarer Autos sowie – wichtig bei E-Autos – des Ladestands.
       
       1,26 Millionen Nutzer waren 2015 bei den 150 deutschen Carsharing-Anbietern
       registriert, ein Viertel mehr als 2014. Immer mehr Menschen im städtischen
       Raum erkennen, dass sie kein eigenes Auto brauchen. In Berlin etwa nutzt
       nur rund jeder dritte Bewohner einen eigenen Wagen. Ganz anders sieht es
       hingegen im Rest der Republik aus, vor allem in Flächenstaaten. Rund 530
       Autos pro 1.000 Bewohner parken im Schnitt vor den Haustüren. Die
       Autodichte ist laut Statistischem Bundesamt im wohlhabenden Süden
       (Baden-Württemberg 576, Bayern 585, Rheinland-Pfalz 615) besonders hoch. In
       Berlin (336), Hamburg (426) und Bremen (423) ist die Liebe zum eigenen
       Wagen deutlich geringer ausgeprägt. Die Gründe dafür sind vielfältig, vor
       allem ein gut ausgebauter öffentlicher Nahverkehr und ständiger Stau in der
       Innenstadt sind Gründe, (Leih-)Fahrrad, Bus, Bahn oder einfach nur die
       eigenen Füße als Mobilitätshilfe zu favorisieren. Denn auch der
       Fußgängerverkehr in Berlin nimmt kontinuierlich zu, daher sollen Fußgänger
       und Fahrradfahrer vom künftigen Berliner Senat besonders gefördert werden.
       Die Bundesregierung wiederum will Carsharing durch eine Gesetzesänderung
       noch leichter machen, so sollen etwa Leihautos in Bezug auf Parkplätze
       begünstigt werden. Voraussichtlich im Sommer 2017 wird das Gesetz in Kraft
       treten, das deutsche Kommunen dann in die Lage versetzen soll, Parkplätze
       an Autos, die von vielen genutzt werden, bevorzugt zu vergeben.
       
       Studien der Städte München und Wien haben ergeben, dass ein
       Carsharing-Fahrzeug rund fünf privat genutzte Pkw ersetzt. Hochgerechnet
       werden in Wien bereits jährlich über 44 Millionen gefahrene Kilometer durch
       Carsharing eingespart. So werden rund 7.000 Tonnen CO2 pro Jahr weniger
       ausgestoßen. Größtes Handicap der Carsharing-Anbieter beim Ausbau der
       E-Auto-Angebote sind die Stromladestationen. Davon gibt es bislang noch zu
       wenig, weshalb die Anbieter Wagen häufig umparken müssen, um sie wieder
       aufzuladen. Berlin steht mit 636 öffentlich zugänglichen Ladepunkten recht
       gut da.
       
       Wie Raum genutzt werden kann, der frei wird, wenn weniger Menschen ein
       eigenes Auto besitzen, hat ein Projekt im Berliner Stadtteil Charlottenburg
       rund um den Klausenerplatz und auf der sogenannten Mierendorffinsel
       gezeigt. 13 Pkw-Besitzer erklärten sich für zwei Wochen im September
       bereit, freiwillig auf ihr Auto zu verzichten und so lange ihren Pkw in
       einer Tiefgarage abzustellen. Auf einigen der frei gewordenen Flächen
       entstanden begrünte Informations- und Spielflächen, die von Anwohnern und
       dem Projektteam gemeinsam gestaltet wurden. Die Anwohner konnten an beiden
       Orten einen Mix aus Carsharing, Lastenfahrrädern, Pedelecs und weiteren
       Fahrzeugen nutzen – multimodale Mobilität genannt. Ob in beiden Stadtteilen
       auch langfristig die Bereitschaft besteht, vom eigenen Auto auf Carsharing
       umzusteigen, wird derzeit von der TU Berlin ausgewertet.
       
       Bislang ist Carsharing und multimodale Mobilität vor allem ein Thema in
       Städten. Auf dem Land ist aufgrund der geringeren Bevölkerungsdichte nur
       wenig vom Trend zum geteilten Auto oder zu anderen Fortbewegungsformen zu
       spüren. Ein Carsharing-Anbieter im ostfriesischen Aurich (41.000 Einwohner)
       hat zum Beispiel nur drei Autos und rund 40 Mitglieder. Auch neue Lösungen
       im öffentlichen Nahverkehr sind im ländlichen Raum nicht überall
       anzutreffen, etwa das Modell Rufbus: Im Raum Angermünde in der Uckermark
       etwa kommt nach Anmeldung ein Kleinbus vor die Haustür gefahren und bringt
       einen zum Ort seiner Wahl innerhalb der Gemeinde, Kosten: 1 Euro. Besonders
       ältere Menschen ohne Pkw in Dörfern, wo der reguläre Bus nur ein- bis
       zweimal am Tag fährt, nutzen diesen Service. Auch Disko-Taxis, die den
       Nachwuchs günstig und sicher von der Party nachts nach Hause chauffieren,
       haben sich in etlichen Flächenregionen bewährt. Und mancherorts füllen
       ehrenamtliche Fahrer mit einem Bürgerbus, der ähnlich wie ein Rufbus
       funktioniert, die Lücke im öffentlichen Nahverkehr. Doch alternative
       Mobilität steht in der Provinz, solange dort fast jeder sein eigenes Auto
       hegt und pflegt, nicht auf der Agenda der wichtigsten Herausforderungen,
       allen Unkenrufen über das Klima zum Trotz.
       
       Die Bereitschaft, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen und mit anderen
       Mobilität zu teilen, hat auch mit dem Einkommen zu tun. Besonders
       Wohlhabende tun sich schwer, auf das eigene Auto zu verzichten. Wer viel
       verdient, so das Ergebnis einer Studie des Umweltbundesamts in diesem Jahr,
       hat in der Regel auch eher ein eigenes, schweres Auto, legt mehr Kilometer
       zurück, bewohnt mehr Quadratmeter, die es zu heizen gilt, und produziert
       auch sonst viele Abgase. Mobilität und Wohnen, so das Umweltbundesamt,
       seien entscheidend für die Klimabilanz der Deutschen. Da reicht auch der
       Einkauf im Biosupermarkt nicht, um den persönlichen CO2-Fußabdruck zu
       minimieren.
       
       15 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christine Berger
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA