# taz.de -- Singen und Wiegen
       
       > MUSIK Klänge, Gesang und rhythmische Bewegungen beruhigen Babys nicht
       > nur, sondern regen zudem das Gehirn an. Dadurch fällt das Sprechenlernen
       > leichter und die geistigen Fähigkeiten werden angeregt. Das Musizieren
       > entspannt auch die Eltern
       
 (IMG) Bild: Auf obertonreiche Klänge und höhere Stimmen reagieren Babys besonders positiv
       
       von Christine Berger
       
       Selbstverständlich wollen Eltern das Beste für ihr Baby (viel erholsamen
       Schlaf) und natürlich genauso, dass es in den Wachphasen möglichst wenig
       schreit (das kann wahnsinnig auf die Nerven gehen). Also nutzt man, was der
       Markt hergibt, um sich und dem frischen Nachwuchs gerecht zu werden, und
       das ist – neben Muttermilch und Schnuller – vor allem Musik. „Baby
       Klassik“, „Beruhigende Musik fürs Baby“ oder „Beruhigende Entspannungsmusik
       fürs Baby“ heißen CDs oder MP3-Files, die in Elternforen und Krabbelgruppen
       der Hit sind, wenn es darum geht, sich über die ersten Monate
       hinwegzuhelfen.
       
       Eine ganze Babymusik-Industrie hat sich entwickelt, und tatsächlich ist
       dies nicht einfach eine Mode, der alle hinterherrennen, sondern es wirkt:
       Die meisten Babys entspannen sich, wenn sie Musik hören, natürlich nicht
       Punk oder Death Metal, sondern bestimmte Arten von Klassik oder andere eher
       sanfte Töne. Besonders reagieren Kleinkinder auf höhere Stimmen und
       obertonreiche Klänge, etwa Glockenspiel oder Triangel. Damit senken auch
       Eltern ihren Stresspegel, was wiederum einen beruhigenden Effekt auf die
       Kinder hat.
       
       Der Klassiker hierbei: das Wiegenlied. Schon zu Zeiten unserer Vorfahren
       war Singen und Wiegen gang und gäbe, um Kinder zu beruhigen. Nichts Neues
       also, doch inzwischen wurde wissenschaftlich belegt, dass Musik für Babys
       neben der Entspannung noch weitere positive Effekte erzielt: Laut einer
       Studie des Institute for Learning & Brain Sciences der University of
       Washington von 2015 verbessern Lieder oder Instrumentalstücke in Verbindung
       mit rhythmischen Bewegungen die Fähigkeiten von Babys, neben musikalischen
       auch sprachliche Höreindrücke zu verarbeiten.
       
       Musikerfahrung habe das Potenzial, fanden die Wissenschaftler der
       US-Universität heraus, breitere geistige Fähigkeiten zu fördern, die
       Kindern helfen, schnell Muster zu erfassen. Wie Musik hat nämlich auch
       Sprache starke rhythmische Muster. Tonhöhe, Melodie, Dauer und Rhythmus
       eines Lauts lernt ein Baby schnell von anderen zu unterscheiden –
       Sprachlaute zu identifizieren ist wiederum der erste Schritt bei der
       kindlichen Sprachentwicklung. Musik ist somit ein wichtiger Baustein dafür,
       dass ein Kind sprechen lernt.
       
       Stefan Koelsch und Sebastian Jentschke vom Max-Planck-Institut für
       Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig haben hierzu festgestellt,
       dass Instrumentenklänge und menschliche Sprache sehr ähnlich rezipiert
       werden: Auf Sprache wie auf Tonfolgen reagiert unser Gehirn mit fast
       identischen Aktivitätsmustern. Auch bei größeren Kindern wirken diese
       Effekte nach. Koelsch und Jentschke fanden etwa heraus, dass Kinder, die
       ein Instrument erlernen, sich besser ausdrücken können und einen größeren
       Wortschatz haben. Musizieren als ein komplexer Vorgang im Gehirn kombiniert
       Hören und Sehen, Fühlen und Tasten, Bewegung und Koordination, Imagination
       und Kreativität auf sehr intensive Weise.
       
       Nicht für alle Eltern ist es einfach, Babys Musik in Verbindung mit Tanz
       und Bewegung zu vermitteln. Kurse wie die Babypsalmgesänge, die in einigen
       Kirchengemeinden angeboten werden, geben hierfür eine Art Starthilfe:
       Eltern singen einfach zu merkende Lieder, dabei wird mit dem Kind im Arm im
       Kreis gegangen oder gewippt. „Unsere Kurse finden immer vormittags statt,
       weil die Kinder dann noch nicht so überreizt und aufnahmefähiger sind“,
       erklärt Julia Hedtfeld, die als Kirchenmusikerin in der Berliner Gemeinde
       am Weinberg im Stadtteil Mitte eine solche Gruppe leitet.
       
       Die Idee mit den Babypsalmgesängen kommt ursprünglich aus Dänemark, wo die
       Kurse mittlerweile sehr verbreitet sind. Traditionelle Abend- und
       Schlaflieder stehen neben alten Kirchenklassikern auf dem Programm. „Wir
       wiederholen immer dieselben zehn Lieder und singen oft auch die Strophen
       mehrmals“, so Hedtfeld. Auf diese Weise verinnerlichen Groß und Klein die
       Lieder, und die Erwachsenen entspannen sich beim Singen, ohne ständig an
       den Text denken zu müssen. Dass sich dabei Eltern kennenlernen und über das
       gemeinsame Singen Freundschaften entstehen, ist ein netter Nebeneffekt.
       
       Ob auch Babykonzerte, die seit diesem Jahr in einigen Städten angeboten
       werden, Kleinkinder fördern? Auf jeden Fall bringen sie Abwechslung in den
       Alltag und versprechen eine entspannte Dreiviertelstunde mit
       Profimusikerin. „Wir wollen jungen Familien ermöglichen, einmal zusammen
       wieder Kultur zu genießen, als Paar mit Baby und der ganzen Familie und
       Freunden“, wirbt die Veranstalterin Saskia Dürr. Auf der mitgebrachten
       Krabbeldecke sitzend kann man die Kinder prima wiegen und ihnen dabei den
       Rhythmus näher bringen. Was ja neben dem Beruhigungseffekt auch gut fürs
       Sprechenlernen ist.
       
       8 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christine Berger
       
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