# taz.de -- Fernsehen Die TV-Serie als Vision: In Berlin schreiben Drehbuchautoren am „Dream of Europe“. Gibt's den? Ein Besuch im „Writer's Room“: Sie nennen es Café Europa
       
 (IMG) Bild: Portugal: Andre Silva, 26. Er ist Polizist, sein Traumjob. Seine Frau ist schwanger, er freut sich auf die Zukunft
       
       Von Fabian Rasem
       
       Der Raum wirkt nicht wie Hollywood. Er fühlt sich eher an wie Arte. Bis
       Anfang September war er ein „Writer's Room“. So nennt sich das, wenn sich
       eine Gruppe von Drehbuchschreiber*innen in einem Kreativraum trifft und
       dort alles zusammen konzipiert. Aber jetzt hat es sich auskonzipiert. In
       einer hinteren Ecke steht noch ein Rolltischchen mit langlebigen
       Lebensmitteln, gegenüber Umzugskartons, aus denen bunt beschriftete
       Papierbögen ragen. Bis vor Kurzem hingen diese Bögen noch überall,
       mittlerweile klebt da nur noch einer. Darauf eine Tabelle mit Einteilungen
       für acht Episoden, in den Spalten Namen der Zuständigen, Zeit- und
       Ortsangaben, kryptische technische Kürzel. In der Zimmermitte ein großer
       Tisch, darum acht Stühle. Ansonsten ein Regal. That's it.
       
       In Kalifornien sind an solchen Orten viele der momentan angesagtesten
       TV-Serien entstanden – ob „Breaking Bad“, „The Wire“ oder „Game of
       Thrones“. Hier, in einer Mietwohnung in Berlin-Schöneberg, entsteht das
       paneuropäische Serienprojekt „A Dream of Europe“. Alles drei, vier Nummern
       kleiner, aber nicht weniger ambitioniert. Wie die dänische Polit-Serie
       „Borgen“ wollte man es machen. Auch sie entstand in einem low budget
       Writer's Room.
       
       „A Dream of Europe“ sollte nicht irgendetwas werden – negatives Vorbild war
       das deutsche Fernsehen. „Das ist miserables Programm, meist ziemlich
       mittelmäßige Serien. Der Bergdoktor und weiß der Teufel was“, so Jakob
       Köllhofer. Der 68-Jährige ist Direktor des Deutsch-Amerikanischen Instituts
       Heidelberg. Er hat den Writer's Room im Februar initiiert, sein Institut
       finanziert das Projekt.
       
       ## Von den Krisen zur Vision
       
       Die mindere Qualität des deutschen Fernsehens war aber nur ein Grund. Der
       andere ist politisch. Mit einer guten Portion Groll referiert Köllhofer
       über den „virulenten Nationalismus in Europa“ und dessen „Lösungen des 19.
       Jahrhunderts“. Er wollte in die Offensive gehen. Mit einer TV-Serie als
       Vision. Der Writer's Room ist für ihn ein künstlerisch-soziologischer
       Spagat: gegen den Bergdoktor und gegen den virulenten Nationalismus. Eher
       Arte halt.
       
       Den Spagat am Schreibtisch machen andere. Keith Cunningham zum Beispiel.
       Der 65-jährige Drehbuchautor aus Chicago lebt seit den 1990ern in Europa,
       hat Serien für RTL und Pro7 produziert, gibt Screenwriting-Seminare. Er war
       von Beginn an dabei, hat mit Kollhöfer das Drehbuchteam gecastet und ist
       jetzt selbst ein Teil von ihm.
       
       Für Cunningham ist die Logik einfach. „Soziologie allein kann weder
       Atmosphäre noch Gefühle vermitteln. Durch sie erlebt man einfach nicht, wie
       es ist, auf Lesbos zu stranden oder sich durch die Berliner Institutionen
       zu kämpfen“, sagt er. „Drama hingegen kann das. Es handelt von Konflikten
       und Charakteren, die sich in Dilemmata befinden. Und Europa ist ein Nexus
       von Dilemmata.“ Die Liste ist lang: Finanzkrise, ökologische Krise, soziale
       Krise, politische Krise. Und sie könnte weiter gehen. „Alles ist so
       fragmentiert, wir können das fast nicht mehr zusammendenken.“ Er nennt das
       „information crisis“. Gutes Drama bringe die Ebenen zusammen. Noch mehr
       Spagate.
       
       Das Drehbuchteam besteht aus Frauen und Männern verschiedenen Alters, mit
       unterschiedlichen Erfahrungen, Stärken und Nationalitäten. Ein Israeli, ein
       Bulgare, ein Deutscher, ein Griechisch-Schweizer, eine Austro-Koreanerin,
       eine Italienerin, eine weitere Deutsche und eben der Mann aus Chicago –
       eine supraeuropäische Koalition für ein anderes Europa.
       
       Nach den Auswahlgesprächen stürzte man sich in die Arbeit. Ohne Teamleiter
       und ohne Vorgaben. Jeweils zwei Wochenenden im Monat, 1.000 Euro Gage pro
       Kopf – das Institut ist eben kein US-Bezahlsender. Kein Staff, kein
       Catering, nur der pure Wille.
       
       Alles ist erst mal ziemlich diffus. Der Writer's Room fast schon Metapher
       für die prekäre europäische Konstellation. Und genau für dieses Europa
       sollten sie nun eine gemeinsame Vision finden: „A Dream of Europe“.
       
       Also, wo anfangen? Was ist überhaupt dieses Europa? „Wir haben die Frage
       verschoben auf: Was ist eigentlich Asien? Sind Chinesen asiatischer als
       Inder oder Nepalesen? Wenn man es so sieht, ist das eine absurde Frage“,
       sagt Cunningham. „Menschen und Charakteristika ändern sich die ganze Zeit.
       Das ist doch alles konstruiert.“
       
       Stattdessen suchten sie nach Bildern, die für Europa stehen. Darunter eins,
       das eine lange Speisetafel zeigt, an der ganz unterschiedliche Menschen
       sitzen. Zuerst war es noch ein Bild unter anderen. Doch als sie am ersten
       Abend zusammen im koreanischen Restaurant um die Ecke saßen, machte es
       klick. „Europa ist wirklich diese Tafel“, sagt Cunningham. „Alle, die
       vorbeikommen, setzen sich dazu, niemand ist ausgeschlossen. Jede Person
       kann ihren Cappuccino, Latté oder Espresso trinken.“ Sie nennen es „Café
       Europa“.
       
       Eine europäische Vision, geboren im koreanischen Restaurant: Grenzen und
       Konstruktionen fallen in sich zusammen. Es gibt transnationales Essen,
       Tourist*innen und Migrant*innen, man hört verschiedene Sprachen, pflegt
       Freundschaften über die ganze Welt, amüsiert sich.
       
       Das Frustrierende ist: es gibt auch noch die Dilemmata. Und zwar nicht nur
       den Nationalismus, sondern auch die verfahrenen Strukturen des europäischen
       way of life. „Wir haben peak oil überschritten, peak carbon, peak
       everything. Unsere Ökonomie steht in Abhängigkeit von billiger
       Arbeitskraft, wir leben für einen zweifelhaften Konsum“, sagt Cunningham.
       Es ist eine Absage an den Neoliberalismus.
       
       ## Realismus statt Utopie
       
       „Wir wollen keinen Weg vorgeben. Aber was eben nicht geht, ist dieses immer
       ‚besser, besser, größer, größer‘. Das ist die Rede unserer Eltern: Du
       sollst es einmal besser haben als wir“, bekräftigt Theo Plakoudakis. Der
       Mann mit Sieben-Tage-Bart und Feldmütze unterstützt das Team beim Schreiben
       und der Recherche. Der 43-Jährige ist mittlerweile selbst Vater. „Heute
       muss ich zu meinen Kindern ehrlich sein. Es wird sich nicht immer alles zum
       ‚Besseren‘ steigern lassen. Es werden auch Dinge schlechter, aber wir
       müssen auch das Gute daran zeigen und das Erstrebenswerte. Hoffnung geben.
       Wie sollen wir sonst durch unser Leben gehen?“
       
       Für die Serie gab es daher nur eine Lösung: Keine Utopie, sondern harter
       Realismus. Der Plot von „A Dream of Europe“ ist in reale Hintergründe,
       Ereignisse und Debatten gebettet. Er beginnt 2012, in der Mitte der Krisen.
       Finanzmarktcrash, Migration, Rechtsruck. Vor allem aber setzt er bei den
       Menschen an. Zwar wird es auch ein Setting in Brüssel geben, aber ohne
       irgendwelche Illusionen.
       
       „Die realen Probleme können nicht von Polizei, Justitiaren oder
       Abgeordneten gelöst werden. Die können zwar für Entertainment sorgen, aber
       nicht für Lösungen“, sagt Keith Cunningham. Noch so eine Absage also: an
       die gegenwärtige Technokratie. Die Serienfiguren werden nicht
       außergewöhnlich, sondern normal sein. Sie kommen überall her, sind mal
       links, mal rechts, vor allem aber vielschichtig und engagiert: „Keine Couch
       Potatoes.“
       
       Genauer will das Team noch nicht werden – „Sorry!“ Die Überlegungen zur
       Produktion laufen gerade erst an. Material für vier Staffeln ist zwar schon
       da, und Ingolf Gabold, Produzent von „Borgen“, redet mit. Aber noch ist
       nichts in trockenen Tüchern – nicht einmal der Titel. Der Spagat ist
       geschafft, der Salto mortale aber steht erst bevor.
       
       24 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Rasem
       
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