# taz.de -- So schmeckt Chlorhühnchen wirklich
       
       > NAHRUNGSMITTEL Während in Europadie Debatte um das Teufelszeugaus den
       > Staaten tobt, hat unser Autor einfach mal probiert. Zuerst wollte er
       > diesen Text aber nicht schreiben
       
       Aus Washington Frank Herrmann
       
       Diese Idee aus der Redaktion in Berlin bereitet mir schon seit Wochen, nun
       ja, Magengrummeln. Ich soll tatsächlich aufschreiben, wie ich Chlorhühnchen
       zubereite – und sogar verzehre. Und Genmais.
       
       Also diese Lebensmittel, die in Deutschland und anderen Ländern Europas
       gerade als Teufelszeug gelten. Als Symbole jener
       Verbraucherschutzkatastrophe, die viele Europäer offenbar mit dem
       Freihandelsabkommen TTIP verbinden. Dabei ist ja längst allen Seiten klar,
       dass die US-Chlorhühnchen nicht nach Europa kommen sollen.
       
       Es ist eine komplexe Aufgabe für mich: Ich weiß nämlich gar nicht mehr, wie
       ein Huhn schmeckt, das nach der Schlachtung nicht ins Chlorbad getaucht
       wurde. Ich lebe schon ziemlich lange in Amerika, ich esse ziemlich oft
       Hühnchen. Und um ehrlich zu sein, habe ich mir die Etiketten der
       Geflügelpackungen schon lange nicht mehr genau angeschaut.
       
       Bis dieser Text hier bestellt wurde. Also rein in den nächsten Washingtoner
       Supermarkt: In den Regalen, in denen sich die Hühnerbrüste, die
       Hühnerfilets und Hühnerkeulen stapeln, findet sich nirgendwo ein Hinweis
       auf Chlor.
       
       Was ich stattdessen entdecke, ist die klein gedruckte Zusicherung, dass bei
       der Produktion dieser Ware weder Hormone noch Steroide zur Anwendung kamen,
       um Gesetzen des amerikanischen Bundes Genüge zu tun. Dann rüber zu den
       Maiskolben. Nichts, auch kein Label, das anzeigt, dass Gene manipuliert
       wurden. Offenbar rechnet der amerikanische Durchschnittsverbraucher schon
       nicht mehr damit, etwas anderes als Genmais angeboten zu bekommen.
       
       Nicht, dass es keine Amerikaner gäbe, die für ein nicht gechlortes Huhn
       gern mehr Geld ausgeben würden, Hauptsache, keine Chemie. In einer Sendung
       von CBS kam einmal zu Beginn der TTIP-Debatte eine Frau namens Michelle
       Guidi zu Wort, die auch nicht viel anders klang als alarmierte Europäer.
       Sie bleicht Wäsche mit Chlor, im Schwimmbad schwimmen ihre Kinder in Chlor,
       „aber das Zeug mit der Nahrung aufzunehmen, da habe ich schon meine
       Bedenken“.
       
       Worauf Scott Russell, Professor für Geflügelverarbeitung an der University
       of Georgia, in der Sendung rhetorische Beruhigungspillen verteilte. Das
       Chlor, das man verwende, um die geschlachteten Hühner zu desinfizieren,
       werde doch später zum allergrößten Teil abgewaschen. Die Sorgen um den
       Einsatz von Chemikalien würden, so Russell, gerade derart aufgebauscht von
       den europäischen Medien, „dass daraus ein Problem entsteht, das es in
       Wahrheit nicht gibt“.
       
       Die Sprache der Chlorgeflügel-Lobby, schon klar. Nur hat mich neulich auch
       ein gewiss nicht unkritischer Nachbar, ein Arzt, angesehen, als rede ich
       von Mondstaub, als ich ihn nach seiner Meinung zu „chlorinated chicken“
       fragte. Er wusste schlicht nichts damit anzufangen, es war kein Thema, mit
       dem er sich jemals beschäftigt hätte.
       
       Die Hühnerkeulen jedenfalls unterziehen meine Frau und ich zu Hause einer
       intensiven Geruchsprobe. Man kann nicht sagen, dass wir Chlor wahrgenommen
       hätten. Das kann aber auch schlicht daran liegen, dass es uns schon nicht
       mehr auffällt.
       
       Mit Zitrone, Knoblauch und Rosmarin eingerieben, verschwinden die Teile im
       Ofen. Und auch beim Braten verhält sich chlorgewaschenes Hühnchen nicht
       viel anders, als man es wohl in Deutschland gewohnt ist. Auf jeden Fall ist
       es lecker.
       
       17 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frank Herrmann
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA