# taz.de -- Kaschmir-Konflikt eskaliert: Schlimmste Unruhen seit sechs Jahren
       
       > Seit Wochen gibt es im indischen Teil Kaschmirs blutige Proteste gegen
       > die Regierung in Delhi. Regierungschef Modi reagiert hilflos und
       > desinteressiert.
       
 (IMG) Bild: Ein Opfer der Unruhen in Srinagar (Kaschmir)
       
       Delhi taz | Jüngst war es wieder Zeit für eine dieser Gesten, für die
       Indiens Premier Narendra Modi inzwischen bekannt ist. Am Montag drückte er
       seinen „tiefen Schmerz“ über die Unruhen in der zwischen Indien und
       Pakistan umstrittener Region Kaschmir aus. Er betonte, dass diejenigen, die
       dort in den letzten Wochen ihr Leben verloren haben, „ein Teil von uns“
       seien.
       
       Seit im Juli der Rebellenführer Burhan Wani von indischen
       Sicherheitskräften erschossen wurde und 20.000 Menschen im Protest zur
       Beerdigung kamen, hat es mehr als 65 Tote und 2.000 Verletzte im
       Kaschmir-Tal gegeben – die schlimmsten Unruhen seit sechs Jahren. Dabei
       hatten sich die Probleme im indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir lange
       angekündigt.
       
       Wie der Tod des 22-jährigen Wani zeigt, ist in Kaschmir eine neue
       Generation von Rebellen aus der Mittelschicht herangewachsen. Sie haben die
       Nase voll von Arbeitslosigkeit und Polizeischikane, während der Rest
       Indiens auf Wachstumskurs zu sein scheint.
       
       Doch die von der hindunationalistischen Bharatiya Janata Partei (BJP)
       geführte Regierung in Delhi ließ Situation schleifen. Ein Politikstil, der
       sich seit Modis Amtsantritt 2014 auch in anderen Situationen zeigt: Lokale
       Gewaltausbrüche, etwa über das Schlachten von Kühen oder Quoten für Jobs im
       Staatsdienst, werden so lange beobachtet, bis Modi versucht, sie durch
       persönliches Bedauern zu „lösen“.
       
       Die Methode verspricht im Fall Kaschmirs besonders wenig Erfolg, da es hier
       mit dem Nachbar Pakistan einen Spieler gibt, der kein Interesse daran hat,
       die Situation auf sich beruhen zu lassen. Seit der Unabhängigkeit und
       Teilung Britisch-Indiens 1947 erheben Pakistan und Indien Anspruch auf
       Kaschmir. Beiden Atommächte haben seitdem zwei Kriege darum geführt.
       
       ## Pakistan unterstützt Widerstandsgruppen
       
       Die Region wurde geteilt, nachdem Kaschmirs Maharadscha seinerzeit
       beschloss, trotz mehrheitlich muslimischer Bevölkerung dem säkularen Indien
       beizutreten. Pakistan besetzte darauf Teile von Kaschmir und will bis heute
       die Zugehörigkeit Kaschmirs durch einen Volksentscheid lösen, wie 1948 vom
       Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gefordert.
       
       Doch daran gibt es international wenig Interesse, auch weil viele der im
       indischen Teil Kaschmirs operierenden Widerstandsgruppen, die von Pakistan
       unterstützt werden, islamistische Ziele verfolgen. Burhan Wanis Gruppe
       Hizbul Mujaheddin wird auch von der EU und den USA als Terrororganisation
       eingestuft.
       
       Nach Dekaden der Gewalt sind viele Kaschmiri von Pakistans eigennütziger
       Hilfe wie von Indiens Ignoranz gegenüber ihren Sorgen und Nöten frustriert
       und würden am liebsten von beiden Ländern unabhängig sein.
       
       Doch wie die indischen Analysten Samir Saran und Ashok Malik jüngst
       schrieben, ist der „internationale Appetit für Experimente mit
       Selbstbestimmung so gering wie nie seit dem Ersten Weltkrieg“. Seit Modis
       Regierungsübernahme hat sich zudem die Sicht durchgesetzt, dass Indien
       gegenüber Pakistan und allen Formen des von Islamabad gestützten
       Terrorismus klare Kante zeigen muss.
       
       In Srinagar, Hauptstadt des indischen Bundesstaats Jammu und Kaschmir,
       regiert ebenfalls Modis BJP, wenn auch in Koalition mit der „Jammu und
       Kaschmir Demokratischen Volkspartei (JKPDP)“ geführt von
       Ministerpräsidentin Mehbooba Mufti – einer traditionellen Partei mit wenig
       Resonanz bei der Jugend.
       
       „Indien muss mehr Optionen aufzeigen können und mehr Leute erreichen“,
       fordern Saran und Malik, die Delhi eine „faule Politik“ vorwerfen. Es
       reiche nicht, sich nur auf „lokale Eliten und einige wenige Familien“ zu
       verlassen, für die „Netzwerke in Delhi“ wichtiger seien als Rückhalt in der
       lokalen Bevölkerung.
       
       ## Teilung anerkennen
       
       Viele Beobachter glauben daher, die BJP müsse zur Politik ihres früheren
       Ministerpräsidenten Atal Bihari Vajpayee zurückkehren. Dieser stand 2004
       mit Pakistan damaligen Militärdiktator Pervez Musharraf kurz vor einer
       Lösung für Kaschmir. Sie sah vor, die Teilung anzuerkennen, Kaschmir
       weitgehend zu entmilitarisieren und den Kaschmiri auf beiden Seiten mehr
       Selbstbestimmung und Reisefreiheit zu gewähren.
       
       Doch Vajpayee wurde 2004 abgewählt. Indiens früherer Geheimdienstchef A. S.
       Dulat, der unter Vajpayee für Kaschmir zuständig war, hat kürzlich über
       diese Jahre ein Buch geschrieben. Er glaubt noch immer, dass es „zum
       Miteinanderreden“ keine Alternative gibt.
       
       24 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Britta Petersen
       
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