# taz.de -- Kritik an Hartz-IV in Berlin: Die größten Verlierer am Mietmarkt
       
       > Eine günstige Wohnung? Für Menschen, die die Miete selbst nicht zahlen
       > können, ist die Situation noch dramatischer. Eine Studie zeigt das ganze
       > Ausmaß.
       
 (IMG) Bild: Beraten gegen Jobcenter-Kummer: Der Beratungsbus des Berliner Arbeitslosenzentrum
       
       „Kummer mit dem Jobcenter?“ steht auf dem großen Schild vor dem Jobcenter
       Steglitz-Zehlendorf. Daneben ein kleiner Beratungsbus, seit zwei Stunden
       ist das Team vom Berliner Arbeitslosenzentrum (BALZ) vor Ort. Der Andrang
       ist groß, offenbar gibt es im Bezirk Kummer genug. Und das Thema Miete
       gehört zu den größten Sorgentreibern. Was tun, wenn der Eigentümer die
       Miete erhöht? Wo findet man eine 2-Zimmer-Wohnung für 480 Euro?
       
       Was für das Jobcenter als angemessen gilt, lässt sich angesichts der
       Wohnungsangebote nur mit zynischem Lachen quittieren. Auch eine von den
       Grünen in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Schluss: Die seit einem Jahr
       geltende Neuregelung zu den Wohnkosten ist absolut wirklichkeitsfremd. Am
       Beratungsbus vor dem Jobcenter werden Nöte greifbar.
       
       Das zehnte Jahr in Folge klappert der Bus alle zwölf Jobcenter ab. Seit der
       Einführung von Hartz IV, das aus Arbeitsämtern Jobcenter machte und aus
       Bedürftigen KundInnen, reißt der Bedarf an Beratung nicht ab. Seit ein paar
       Jahren ist es immer wieder das Mietenthema, das die Leute umtreibt.
       Natürlich, das Mietenthema. Das beschäftigt ja alle in der Stadt. Die, die
       daran verdienen, dass in Berlin seit 2008 die Angebotsmieten um
       durchschnittlich 60 Prozent gestiegen sind. Und die, die um ihre Wohnungen
       bangen, keine Wohnung finden, in zu kleinen Wohnungen hausen, aus den
       Innenstadtbezirken verdrängt werden. Kein Problem der
       Arbeitslosengeld-II-Empfänger also, aber bei ihnen geht die Entwicklung
       ins Existenzielle. Über 500.000 Menschen leben in Berlin von
       Arbeitslosengeld II – in 300.000 sogenannten Bedarfsgemeinschaften. Bei
       rund 40 Prozent von ihnen ist laut aktueller Studie die Miete höher, als
       das Amt erlaubt.
       
       Die Höhe der Mieten, die die Jobcenter übernehmen, orientieren sich am
       Mietspiegel. Der wiederum ergibt sich aus den bereits vermieteten Wohnungen
       und enthält damit auch die noch moderaten Mieten jener Glückseligen, die
       schon länger in ihren Buden leben. Auf die Armseligen aber, die neu
       anmieten müssen, warten horrende Aufschläge. Dazu noch Vermieter, die sich
       ihre Mieter nicht selten aus einer Hundertschaft Bewerber aussuchen können.
       Nicht zu vergessen sind die Luxussanierungen und – ökologisch und
       wirtschaftlich absolut sinnvollen – energetischen Sanierungen, die eben
       noch bezahlbare Mieten in die Höhe treiben. So zahlen Leistungsempfänger
       schon jetzt durchschnittlich 2 Euro pro Quadratmeter mehr Miete, als die
       gerade mal ein Jahr alte Regelung zu den Wohnkosten vorsieht.
       
       Sparen am Essen 
       
       Steigt die Miete über das, was das Jobcenter als „angemessen“ betrachtet,
       dann haben Arbeitslosengeld-II-Empfänger zwei Möglichkeiten. Die erste:
       umziehen in eine günstigere Wohnung. „Fast keine Chance“, sagen die Berater
       vom BALZ unisono.
       
       Rund 12.000 Haushalten werden pro Jahr aufgefordert, ihre Wohnkosten zu
       senken. 2015 konnten gerade mal 450 in eine billigere Wohnung ziehen. Die
       Alternative: die Differenz von dem Geld bezahlen, das vom Jobcenter
       eigentlich für die Lebenserhaltung vorgesehen ist. Das machen rund 40.000
       Haushalte. „Die Leute sparen sich das dann vom Essen oder von der
       Körperpflege ab“, erzählt einer der Berater. Erst 10 Euro im Monat, das
       geht gerade noch so. Im nächsten Jahr sind es vielleicht schon 40. „Und
       dann kommt die Betriebskostennachzahlung und damit die Schuldenfalle“, so
       der Berater. Denn bei allen, die in zu teuren Wohnungen leben, übernimmt
       das Jobcenter die Betriebskostennachzahlungen nicht.
       
       Wie schnell man in solch eine Situation gerät, zeigt der Fall von Renate
       Ludwig (Name geändert). Gerade eben habe sie den Brief vom neuen Vermieter
       bekommen, erzählt sie am Beratungsbus. Seit 1982 wohnt die studierte
       Betriebswirtin in Lichterfelde-West, inzwischen einer der teuersten
       Stadtteile Berlins. Frau Ludwig lebt aber seit zehn Jahren nicht mehr vom
       guten Gehalt einer großen Bank, sondern von Hartz IV. „Mit 50 plus habe ich
       niemals mehr als einen befristeten Job bekommen“, sagt sie. Der Eigentümer
       ihrer 50er-Jahre-Wohnung hat gewechselt und will nun 458 Euro warm, 18 Euro
       über der Grenze.
       
       Frau Ludwig, die sich bisher so durchkämpft, macht sich Sorgen. Doch hier
       kann Frank Steger vom BALZ helfen. „Sie sind ja schon über 60“, sagt er. Da
       gelte ein Zuschlag von 10 Prozent, auch die erhöhte Miete muss vom
       Jobcenter übernommen werden. „Häufig weisen aber die Berater im Jobcenter
       nicht auf solche Sonderregelungen hin“, berichtet Steger.
       
       Zumindest Frau Ludwig ist nun gewappnet, dieser Fall geht vorerst gut aus.
       Die Berater kennen auch andere. Wie den der Flüchtlingsfamilie, die seit
       Monaten zu siebt in einer 2,5-Zimmer-Wohnung haust, weil sie keine größere
       findet, die das Jobcenter bezahlt. Keine Seltenheit, die vor allem die
       Jüngsten trifft: Insgesamt leben rund 30.000 Berliner Kinder in
       überbelegten Wohnungen.
       
       ## Asbestverseuchtes Zuhause
       
       Oder der Fall von dem Ehepaar aus Kreuzberg. Das jüngste Kind geht hier zur
       Schule, die pflegebedürftige Mutter lebt ein paar Straßen weiter. Seit die
       zwei großen Kinder ausgezogen sind, gilt die Wohnung beim Jobcenter als
       „unangemessen“. Wegen Asbestverseuchung müsste die Familie eigentlich
       ohnehin ausziehen.
       
       Doch eine neue Wohnung dürfte 570 Euro kalt kosten. Wenn das bald
       erwachsene Kind ausgezogen ist, nur noch 480 Euro. Da ist der inzwischen
       geltende Aufschlag von 10 Prozent für Neuanmietung schon mit drin, den der
       Senat nach viel Kritik in die neuen Regelungen gepackt hat. „Aber der ist
       viel zu niedrig, passt überhaupt nicht zum Wohnungsmarkt“, kritisiert
       Steger.
       
       Tatsächlich ist für 480 Euro Kaltmiete keine einzige Kreuzberger Wohnung im
       Angebot des größten deutschen Immobilienportals. In ganz Berlin werden rund
       70 2-Zimmer-Wohnungen zu dem Preis offeriert. Die Familie mit der
       asbestverseuchten Wohnung bleibt also. Und zahlt drauf.
       
       Schon einmal hat das Bundessozialgericht die Regelungen des Landes Berlin
       zu den Wohnkosten als zu wirklichkeitsfremd gekippt. Das drohe auch der
       seit einem Jahr geltenden Neuregelung, so die Mieten-Expertin Katrin
       Schmidberger (Grüne). „Bis dahin kann ich nur jedem Betroffenen raten zu
       klagen.“
       
       3 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manuela Heim
       
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