# taz.de -- Weltrekord im Dauerkicken: 74 Fußballspiele hintereinander
       
       > Der FC Hamburger Berg hat die längste Fußballpartie der Geschichte
       > gespielt. 111 Stunden spielte die Mannschaft im Hamburger
       > Schanzenviertel.
       
 (IMG) Bild: Anpfiff für den Weltrekord: Carsten Barz vom VfL Walhalben (l.) und Marcel Hellmond vom FC Hamburg Berg.
       
       HAMBURG taz | Am Donnerstagabend steht das 111-stündige Fußballspiel auf
       dem Sportplatz im Hamburger Schanzenviertel auf der Kippe. Es regnet schon
       seit einer Stunde. Als der Donner näherrückt, wird das Spiel unterbrochen
       und der Abbruch droht. Aber die Teams haben Glück. Nach 30 Minuten ist das
       Gewitter vorbeigezogen und sie können weiterspielen. Weiterspielen bedeutet
       in diesem Moment: 50 weitere Stunden Fußball.
       
       Die beiden Mannschaften, die gerade dabei sind, einen Weltrekord
       aufzustellen, sind der FC Hamburger Berg und der VfL Wallhaben aus der
       Pfalz. Sie kicken seit Dienstagabend gegeneinander. Ihr Kader für das Match
       besteht lediglich aus je 18 Spielern. Die Regeln besagen, dass mindestens
       sieben Kicker pro Team auf dem Platz stehen müssen – zu jeder Zeit.
       
       Im Moment des Unwetters haben die Spieler allerdings andere Sorgen. „Der
       viele Regen hat die Zelte geflutet“, sagt Michel Metzner, der die Kameras
       trocken zu halten versucht, mit denen das Spiel zum Beweis aufgezeichnet
       wird. Die 36 Zelte am Spielfeldrand sind der einzige Rückzugsort zum
       Schlafen und Ausruhen für die Kicker. Das Sportgelände darf währenddessen
       niemand verlassen.
       
       Warum tut man sich so etwas freiwillig an? „Neben dem Ruhm für einen
       Weltrekord“, sagt Ralph Hoffmann, wollen die Hamburger mit dem
       111-stündigen Spiel „Geld aus dem Essens- und Getränkeverkauf für die
       Flüchtlingsarbeit sammeln“. Hoffmanns Club, der FC Hamburger Berg, ist
       gerade einmal zwei Jahre alt. Die Gründungsmitglieder arbeiten auf dem
       Hamburger Berg, einer Seitenstraße der Reeperbahn. Manche von ihnen sind
       Türsteher. „Die halbe Mannschaft besteht aber aus Flüchtlingen“, sagt
       Hoffmann. Deshalb setzt sich der Verein für Geflüchtete ein.
       
       Außergewöhnliche Veranstaltungen, wie der Versuch um den Eintrag in das
       Guinness-Buch der Rekorde, sind für die Hamburger lebensnotwendig, um den
       Spielbetrieb zu gewährleisten. „Es fehlt an den einfachsten Dingen: Schuhe,
       Schienbeinschoner, Bälle“, sagt Hoffmann. Die Flüchtlinge, die für den Klub
       spielen, zahlen keine Mitgliedsbeiträge. Metzner, der für den Beweisvideo
       zuständig ist, sammelt auf Auswärtsfahrten des FC St. Pauli Geld für den
       Amateurklub. „Letzte Woche haben wir noch schnell ein Benefizkonzert
       organisiert, um die Ausgaben für Essen und Getränke vorzufinanzieren“, sagt
       Metzner.
       
       Am Dienstagabend, als die Partie erst ein paar Minuten alt ist, machen die
       Mannschaften noch Späße miteinander und tunneln den Gegner lieber, als
       einen guten Angriff zu starten. Fouls sind selten, Abseitsstellungen werden
       nicht diskutiert. „Die spielen doch auf Zeit“, ruft ein Zuschauer.
       Tatsächlich versuchen beide Teams, das Tempo nicht allzu hoch zu halten.
       Für den Schiedsrichter ist das Spiel eine dankbare Aufgabe. Zunächst sind
       aber die Hamburger deutlich motivierter. Moaaz Alhalaky, der aus Syrien
       kommt, schießt das erste Tor der Partie. Schon nach 25 Minuten führt das
       Heimteam mit 4:1.
       
       Im letzten Jahr hatten es der „Berg“ schon einmal mit dem Weltrekord
       versucht, waren aber gescheitert. Daraus haben sie gelernt. „Das
       Rotationsprinzip hat diesmal auch besser geklappt“, wird Hoffmann nach der
       Partie sagen.
       
       Am Mittwochnachmittag ist die erste große Erschöpfungsphase ist
       eingetreten. Die Sonne scheint seit Stunden. Mehr als Standfußball bieten
       die 14 Kicker auf dem Feld den zwei Dutzend Zuschauern nicht. Wer Lust hat,
       schießt ein Tor. Den Gegner am Torschuss zu hindern, ist zu anstrengend. Es
       steht 154:148.
       
       „Wir schaffen das“, sagt Hoffmann, der sich im Schatten ausruht und ein Eis
       isst. Dabei sprechen schon jetzt die Umstände nicht für einen erfolgreichen
       Rekordversuch. In den Zelten herrschen durch das gute Wetter hohe
       Temperaturen. Die angrenzende Schröderstiftstraße sorgt für wenig Ruhe.
       Zwei Spieler mussten bereits aufgrund von Verletzungen aufgeben.
       
       Nach dem Unwetter vom Donnerstagabend kicken die Teams ohne Zwischenfälle
       bis Sonntagmittag durch. Kurz vor Abpfiff sind die Mannschaften wieder
       vollzählig. Es soll Elf gegen Elf zu Ende gehen. Auch fußballerisch ist das
       Niveau wieder deutlich gestiegen. Für Wisam Almarashli ist die letzte
       Stunde der Partie die schönste. “Wir sind nämlich immer noch fit“, sagt der
       Syrer. Vor zehn Monaten ist er aus Damaskus geflohen. “Ich bin froh, hier
       zu sein“, sagt Almarashli. Denn der Verein hilft seinen Mitgliedern auch
       außerhalb des Platzes, beispielsweise bei Behördengängen. “Nach den
       schrecklichen Erlebnissen, die viele Jungs hinter sich haben, ist doch
       klar, dass wir helfen“, sagt Metzner.
       
       Als um 13:04 Uhr der Schiedsrichter die Partie zwischen den Hamburgern und
       den Pfälzern abpfeift, bezeichnet Hoffmann die vergangenen 111 Stunden als
       „extremes Fußballabenteuer“. Die Spieler beider Mannschaften fallen sich in
       die Arme. Die Kraft dazu haben sie in diesem Moment verwunderlicherweise
       noch. „Es sind ja vor allem die Blasen an den Füßen, die weh tun“, sagt
       VfL-Coach Dirk Stiwitz.
       
       Dass die Hamburger die Partie letztlich mit 722:558 Toren gewannen,
       interessiert nach der Partie niemanden. “Das ist uns egal“, sagt Hoffmann.
       Das Rekordspiel hätte schließlich ohne den Gegner nicht stattgefunden:
       “Deshalb sind wir alle Sieger“.
       
       5 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) André Zuschlag
       
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