# taz.de -- Rapperin Haiyti, Lars Eidingers Konfetti-Kanone, Smalltalk-Minimum, Karneval der Kulturen und „King Kong“ nach dem Komasaufen: Die Macht der Imagination
       
       Ausgehen und Rumstehen 
       
       von Sascha Ehlert
       
       Ausgehen, rumstehen und Verleger sein – manchmal verträgt sich das nicht:
       Arbeit hat sich aufgehäuft, man hat sich gedrückt und Termine verschoben,
       zu viel Wodka getrunken, und dann das: Der Turm ist da und muss jetzt
       sofort weg. Deadline, Drucktermin, kein Weg führt daran vorbei. Will
       heißen: Den Großteil des vergangenen Wochenendes verbrachte ich in meinen
       vier Wänden. Wahlweise mit dem Schreibgerät am Esstisch sitzend, mit einem
       Fliederstrauß vom Bethaniendamm vor der Nase oder im Bett liegend, die was
       weiß ich wievielte Tasse Espresso dampfend neben mir abgelegt auf einem
       Stapel Bücher, damit der kostbare Lidl-Kaffee mir mein weißes Laken nicht
       versaut.
       
       Während ich da so liege oder sitze, mache ich eins von zwei Dingen:
       Entweder ich setze mir meine schwarzen Urban-Ears-Kopfhörer mit magenta
       Ohrmuscheln auf den Kopf und lausche Antonia Baum, wie sie zart hauchend
       von der Zeit erzählt, als sie noch gerne im schicken Businesskostüm durch
       die Arbeitswelt gewandelt wäre – oder ich mache mir darüber Gedanken, wie
       ich am besten in Worte fasse, warum mir die Worte abhanden kommen, wenn ich
       versuche zu erklären, warum ich die Rapperin Haiyti für das Beste halte,
       was mir und dem Rest der Welt passieren konnte. Wenn ich damit fertig bin,
       die nächste Ausgabe von „Das Wetter“ also endlich beinahe druckfertig ist,
       ist es immer noch nicht vorbeimit der Grübelei: Ist das nun furchtbar
       langweilig oder klingt so ein Leben eigentlich ganz spannend? Soll ich
       lieber erzählen, was passiert wäre, wenn ich nicht zu Hause geblieben
       wäre?
       
       Ich wäre dann am Samstag nicht um Mitternacht erschöpft ins Bett gefallen,
       sondern hätte statt dessen Lars Eidinger dabei zugesehen, wie er sich eine
       Konfetti-Kanone zwischen seine Beine steckt und Feuer drückt, sich also ein
       bunter Blättchenregen über den Köpfen der Zuschauer ergießt. Mit Konfetti
       im Haar hätte ich mich an der Bar herumgetrieben, das Smalltalk-Maß so
       gering gehalten wie möglich, mich insgeheim ein wenig über die
       aufgeblasenen Mittdreißiger und Mittvierziger aus dem Kulturbetrieb
       aufgeregt, die sich so gerieren, als gehöre ihnen die Welt, und außerdem
       mir den Weg in Richtung nicht mehr prekärer Einkommensverhältnisse
       versperren.
       
       Spaß hätte ich trotzdem gehabt: Irgendjemanden hätte ich schon unverhofft
       getroffen, wir hätten uns gemeinsam (selbst-)herrlich gefühlt, weil wir den
       ganzen Popanz auf so Film- und Theaterpartys natürlich voll durchschauen.
       Ja, lustig wäre das schon gewesen. Im besten Fall wären wir irgendwann
       abgezogen und weiter in irgendeine Kneipe oder irgendeine Küche, wo wir bis
       zum Sonnenaufgang gesessen und geredet hätten. Vielleicht hätten wir die
       Sonnenstrahlen gar auf dem Dach des Hauses, in dem ich wohne, erlebt.
       
       Drei, vier Stunden Schlaf später hätte mich das Tageslicht sanft erneut
       wach werden lassen, immerhin fehlen meiner Wohnung die Gardinen. Dann einen
       doppelten Espresso, eine Ibuprofen 400 und eine Banane gegen den Kater.
       Dann rausgehen mit dem Hund, einmal ums Bethanien.
       
       Dann Verabredungen treffen, kurz hinlegen, wieder aufstehen, losgehen und
       ab zum Karneval der Kulturen. Dort dasselbe wie jedes Jahr: Ab 14 Uhr sind
       alle angetrunken, die üblichen Verdächtigen haben kleine Pillen dabei, sind
       also wahnsinnig gut drauf, man trifft noch mehr Leute an der Tanke,
       ignoriert, dass die Menschenmassen einem eigentlich ein beklemmendes Gefühl
       verpassen, guckt sich die vorbeiziehenden Wagen an, flieht vor dem
       Frühlingsgewitter in irgendeinen Hausflur, trinkt weiter, ist dann wieder
       betrunken, aber auch müde, beschließt irgendwann zu gehen, bleibt dann doch
       länger und pennt irgendwann zwischen 11 und 12 ein, während man irgendeinen
       Blockbuster schaut, „King Kong“ oder so was.
       
       Zurück am Schreibtisch: Die Erinnerung an das Wochenende, das ich gar nicht
       hatte, lässt mich lächeln – weil ich es nun Gott sei Dank geschafft habe,
       diese Kolumne mit Inhalt zu füllen. Obwohl ich doch gar nichts erlebt habe.
       Gelobt sei die Macht der Imagination.
       
       17 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sascha Ehlert
       
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