# taz.de -- Lieber "Breaking Bad" als Diabetes: Die Killer der Indianer
Bridge & Tunnel
von Ophelia Abeler
Ich habe den Tod gesehen. Den Tod in einer Flasche, sie wurde vor mein Kind
gestellt, mit einem Strohhalm und einen freundlichen Lächeln. „Chocolate
milk“ steht auf der Flasche, ich schraube sie auf – Kunststoff, der Deckel
knackt beim Öffnen, weil er sich von einem Ring trennen muss, darunter
kommt eine Aluminiumschicht zum Vorschein, die man auch noch abziehen muss.
Dabei lese ich die kleingedruckten Nährwertangaben, während ein Geruch in
meine Nase steigt, den ich nur mit Plastikaas beschreiben kann, falls es so
etwas gibt. 40 Gramm Zucker.
40 Gramm Zucker, das sind 13 Stück Würfelzucker, mehr als in einer Dose
Cola. Ich bereue es fürchterlich, mich auf den Vorschlag der Kellnerin
eingelassen zu haben, mein Kind mit Kakao aufzuheitern; das hier ist kein
Kakao, es ist das reinste Gift. Milch und Kakao sind am wenigsten in dieser
Chemiebrühe enthalten, dafür knapp dreißig andere Zutaten, von denen keine
nach einer in der Natur frei vorkommenden Substanz klingt. Normalerweise
würde es so eine „Chocolate milk“ bei mir nicht geben, aber ich bin auf
Reisen – und mein Kind mag seit Tagen das Essen nicht. Wir fahren durch
Arizona, Utah und New Mexico, durch das Reservat des größten amerikanischen
Ureinwohnerstammes, der Navajo. Ich werde sie und die anderen hier lebenden
Tribes, die Hopi, die Ute und die Pima im Folgenden Indianer nennen, denn
so nennen sie sich selbst, und es verhält sich damit anders als mit den
Schwarzen, die sich selber manchmal Nigger nennen.
Die Indianer sind mächtig angestunken davon, vom weißen Mann sogenannte
politisch korrekte Namen verliehen zu bekommen, die nur für Konversationen
über Indianer unter Weißen und definitiv in Abwesenheit von Indianern
erfunden worden sind. Und, falls das noch nicht reicht, ich habe indigenes
Blut, zwar nur wenige Moleküle, aber die kommen hier richtig zum Kochen.
Am liebsten stellen Indianer sich mit ihrer genauen Herkunft vor, und zwar
der von vier Seiten: Mutter, Eltern der Mutter, Vater, Eltern des Vaters.
Das klingt auf schmerzhafte Weise poetisch, denn dann werden wirklich diese
ganzen klaren Bäche, Adlerschwingen und Spurenleser aufgezählt, und es
lässt einen in Demut das Haupt senken vor dieser eigentlich komplett nicht
auszuhaltenden Geschichte.
Wenn das mit dem Essen nicht besser wird, sind da aber irgendwann keine
Indianer mehr, die sich jemandem vorstellen könnten. Es gibt hier nämlich
nur Müll zu essen, Chemiemüll; es ist absolut ungeheuerlich, was hier auf
die Teller kommt, oft aus Styropor, die könnte man da genauso gut mitessen,
dann gäbe es zumindest weniger Abfall zu entsorgen.
Von Alkohol und anderen Drogen will ich hier gar nicht groß anfangen, nur
kurz: Überall hängen Schilder an den Straßen, die vor Alkohol am Steuer
warnen – Indianer sterben dreimal so häufig bei Verkehrsunfällen wie Weiße,
bevor sie das 44. Lebensjahr erreichen. Und „Breaking Bad“ wurde auch nicht
ganz grundlos in der Gegend um Albuquerque gedreht, wobei die Indianer sich
unheimlich freuen, in dieser hervorragenden Serie als Bewohner der Gegend
schlicht zum Inventar zu gehören und Meth zu dealen oder zu konsumieren und
zu töten und getötet zu werden wie jeder andere auch, ohne dass dabei
thematisiert wird, die da, das sind übrigens, räusper, also hier Dingens,
„Native Americans“.
Aber die wahren Killer, das sind der Zucker und das Fett. Die Hälfte der
Pima leidet an Diabetes Typ 2, ein Drittel der Navajo ebenfalls. Es geht
schon bei den Vierjährigen los. Die Indianer hier haben Blutgruppe 0, sie
waren Jäger und Sammler und ihr Stoffwechsel sieht nicht vor, Chips, Beef
Jerky und Limonaden an der Tanke zu kaufen.
Schon mit der Kultivierung von Mais vor vielen Jahrhunderten begannen
Erkrankungen des Knochen- und Gelenkapparats, wie archäologische Funde
zeigen, aber aus den heutigen Lebensumständen in den entlegenen Reservaten
resultiert eine große Abhängigkeit von staatlicher Versorgung. Und der
Staat füttert Junk und die Indianer damit zu Tode. Nach Diabetes kommen
Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs.
Unsere Kellnerin ist Navajo, jung und zum Glück noch schlank. Sie hat es
nur gut gemeint mit dem vermeintlichen Kakao, um Bildung ist es auch nicht
besonders bestellt hier, die Zahl der School Drop-outs ist enorm. Und
selbst wenn sie es besser wüsste: Es gibt sowieso weit und breit keine
Biomilch zu kaufen in dieser Gegend, in der die Menschen einmal so gesund
und naturverbunden gelebt haben wie kaum irgendwo sonst.
Scheinbar unberührt von all dem liegen die atemberaubenden Tafelberge und
Canyons vor uns. Was für ein Schlachtfeld, bis heute.
Ophelia Abeler ist Kulturkorrespondentin der taz in New York
28 Apr 2016
## AUTOREN
(DIR) Ophelia Abeler
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