# taz.de -- „Auf Wiedersehen – das soll alles sein?“
       
       > Literatur Die Lesungen von Read!Berlin widmen sich lustvoll deutscher
       > Grammatik und den Mühen der Passbeschaffung
       
       Es ist dunkel im Berliner Galli Theater, ein Lichtspot setzt Musiker Demian
       Kappenstein an seinem präparierten Schlagzeug effektvoll in Szene. Wie in
       Trance jagt er verzerrte Frequenzen aus einem rosa Kinderradio durch den
       Sampler, dirigiert elektronische Geräte mit viel Gestus. Zum Abschluss legt
       er einen vibrierenden Gegenstand auf die Snaredrum – Applaus. „Ja,
       diejenigen in den ersten Reihen haben ganz richtig gesehen: Das waren
       gerade ‚Dildos on Drums‘“, eröffnen Jörg Braunsdorf und Christian Stahl von
       lit.mitte e. V. augenzwinkernd das Literaturfestivals Read!Berlin.
       
       Literatur in ihrer Vielschichtigkeit abzubilden, Begegnungsort zu werden
       und an Diskussionen zur Flüchtlingsdebatte, die bereits letztes Jahr Thema
       war, anzuknüpfen, das sind die Ziele der zweiten Festivaledition. Dass
       Humor dabei nie zu kurz kommen darf, zeigt bereits der musikalische
       Einstieg. „Flüchtlingsgespräche“ ist der Abend überschrieben, was an
       Bertolt Brechts gleichnamiges Werk von 1956 anknüpft und sich nicht direkt
       auf die Autoren Assaf Alassaf und Rasha Abbas bezieht, betont Moderator
       Thomas Böhm. Dennoch stehen die Erfahrungen, die die beiden Syrer besonders
       mit Deutschland als sehnsüchtig erwünschte Heimat gemacht haben, im Zentrum
       ihrer Erzählungen, die auf Arabisch und Deutsch vorgetragen werden.
       
       „Die effektivste Art, im Arabischen jemanden zu beschimpfen, ist, seine
       Schwester in Verbindung mit etwas Sexuellem zu nennen. Das gilt auch für
       abstrakte Gegenstände. Statt ‚Scheißgrammatik‘würde man also ‚die Möse der
       Schwester der Grammatik‘sagen“, übersetzt Sprecher Thomas Hübner die von
       Alassaf lebhaft vorgetragene Passage aus dessen Flüchtlingsgroteske „Abu
       Jürgen“. Gelächter von deutscher Seite, heute Abend wird im Wechsel mit der
       arabischsprachigen Publikumshälfte gelacht. Alassaf erzählt die Geschichte
       einer sonderbaren Zweckfreundschaft zwischen dem deutschen Botschafter „Abu
       Jürgen“ und dem Protagonisten, der sich nichts sehnlicher wünscht als das
       deutsche Visum.
       
       ## Fragen bohren
       
       Der Auszug aus dem Kurzgeschichtenband „Die Erfindung der deutschen
       Grammatik“ von Rasha Abbas erzählt scharfzüngig vom Martyrium der
       Protagonistin bei der Wohnungssuche in Berlin. Auch einige Vorschläge für
       die Verbesserung der Integrationskurse hat Abbas parat – etwa die
       Fragebildung anhand der bohrenden Fragen der Behörden zu üben oder eine
       Zusammenstellung deutscher Verabschiedungsformeln, die dem lang gezogenen
       Ritual in der arabischen Sprache gerecht werden. „Auf Wiedersehen – das
       soll alles sein?“, fragt sie in gespielter Verständnislosigkeit.
       
       Politisch geht es heute Abend mit einem geografischen Schwenk nach Ägypten
       weiter. Autorin Annika Reich („Die Nächte auf ihrer Seite“) begegnet ihrem
       ägyptischen Kollegen Ihab Kassem, der aus seinem Kurzgeschichtenband „Adel
       and Soad in the Garden“ liest. Anschließend diskutieren sie mit
       Politikwissenschaftlerin Dina El-Sharbnouby über das Land mit dem
       herausragenden kulturellen Erbe und den ungewissen Zukunftsperspektiven.
       
       „Der Pass“, schrieb Bertolt Brecht in seinen Flüchtlingsgesprächen einst,
       „ist der edelste Teil von einem Menschen.“ Beim literarischen Spaziergang
       begibt sich Schriftsteller Helmut Kuhn passend dazu am Donnerstag auf die
       Spuren des jüdischen Grafikers Samson „Cioma“ Schönhaus, der während des
       NS-Regimes Ausweispapiere fälschte und so Hunderten das Leben rettete. Kuhn
       zeigt Orte aus dem Erinnerungsband „Der Passfälscher“ und liest daraus vor.
       Laura Aha
       
       Read!Berlin, bis 29. April, Termine unter http://read.berlin/festival/
       
       27 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Laura Aha
       
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