# taz.de -- Zeichnen der Zukunft
       
       > DIGITALISIERUNG Normalerweise stellt das Oldenburger Horst Janssen Museum
       > analoge Zeichnungen und Druckgrafiken in seinen kuratorischen Fokus. Mit
       > der Gruppenausstellung „Move the Line“ transferiert es seine Kompetenzen
       > ins Zeitalter der Medienkunst
       
 (IMG) Bild: Skizzierte Digitalisierung: Mit seinem Film „Labyrinth Runner“ zieht Robbie Cornelissen den Zuschauer in den gezeichneten Raum
       
       von Manuela Sies
       
       Das Licht ist schummrig. Der Reigen aus klassischen, gerahmten Werken an
       der Wand, mal auch Skulpturen, entfällt. Die sonst üblichen Wandtexte mit
       Informationen sind reduziert. Dafür steht schon im Eingang des Oldenburger
       Horst Janssen Museums der erste Computer, an dem man Fakten über die
       Künstler nachlesen kann, natürlich aus dem Internet. Ein Stück weiter der
       nächste PC, schon an der Kasse gab es ein Tablet in die Hand. Mit „Move the
       Line“ geht das Museum zum ersten Mal über die analoge Zeichnung hinaus und
       wagt den Schritt in die Medienkunst. In unterschiedlicher Weise erweitern
       fünf Künstler die klassische Handzeichnung digital in den Raum.
       
       Carolin Jörg und Michael Fragstein etwa lassen das auf den zweiten Blick
       und unter Zutun des Betrachters geschehen. Zunächst sind da nur Jörgs
       Tuschezeichnungen, ein Spiel mit Flüssigkeit und freier Form. Bis man das
       Tablet vor die Zeichnung hält. Eine zweite, digitale Bildebene öffnet sich,
       lässt neue Formen keimen. Linien wachsen in die Formen und wehen wie Fäden.
       Tintenflecken gießen sich aus, um sich wie Rußpartikel wieder zu
       verflüchtigen. Zuerst ist da noch ein Fremdeln mit dem Werk. Man hantiert
       mit dem Tablet, weiß nicht, wohin mit den angedockten Kopfhörern, das Kabel
       nervt. Dann bockt auch noch die App, die Basis für die Animationen und
       eigens von Fragstein programmiert. Aber nach dem ersten Sortieren hat das
       Ganze etwas von einer Reise in ein Fantasieland, einem Einsinken in einen
       wabernden Formenkanon. Mit der dritten Ebene verändert sich die Wahrnehmung
       weiter.
       
       Über die Kopfhörer spricht Carolin Jörg selbst getextete Assoziationen. Die
       Textfetzen irritieren, stellen sich gegen die persönlichen Assoziationen.
       Automatisch setzt man die eigene Wahrnehmung in Beziehung zur Künstlerin.
       Warum sieht sie Autos und ich Ameisen? Was denkt sie sich, was denke ich?
       Es wird deutlich, wie persönliche Erinnerungen, Erfahrungen und Lebensalter
       Assoziationen prägen.
       
       Ähnliches läuft ab, wenn man sich mit Matthias Reinholds „Ikonolog“
       beschäftigt, einer Art digitalem Kosmos aus Zeichnungen und Assoziationen.
       Auf der Suche nach einer visuellen Sprache füttert Reinhold ihn seit 2007
       mit immer neuen Bildern. Er scannt seine Zeichnungen, speist sie ein und
       verknüpft sie assoziativ miteinander. Eine digitale Mindmap, die noch im
       Werden ist. Am PC-Bildschirm kann sich der Betrachter hindurch klicken. So
       gelangt man von der Zeichnung einer Tafel Schokolade über die einer
       Steinmauer hin zu technischen Konstruktionsplänen. Es ist ein Hineingleiten
       in Reinholds Gedankenwelt und ein Abgleich mit der eigenen. Mal
       überraschend, mal lustig, mal irritierend. Und mal frustrierend, wenn man
       in einer Bildschleife hängt, die keinen Sinn ergibt.
       
       Einen Schritt weiter geht Bettina Munk in ihrer Installation aus
       Aquarellporträts und Computeranimation, in der sie mit dem Zufall spielt.
       Dementsprechend unsicher fällt dann auch der erste Kontakt mit dem Werk
       aus, es braucht Zeit, sich hineinzufinden. Den Anfang machen die
       Zeichenserien, die Munk durch Auswürfeln komponiert hat. Daneben schweben
       sie, jetzt computeranimiert und gesteuert durch Zufallsmodule, über eine
       dunkle Wand. Die Kombinationen sind nur einmal zu sehen. Flüchtig erscheint
       das – ohne Kontext. Den verspricht der Klangteppich aus den Kopfhörern zu
       liefern, ein Mix aus schlagendem Herz und sphärischen Tönen. Aber dieser
       Rahmen fühlt sich konstruiert an. Und letztlich bleibt die Frage, was den
       Augenblick zusammenhält, wie sich Realität zusammensetzt.
       
       Im Film „Labyrinth Runner“ zieht Robbie Cornelissen den Zuschauer
       schließlich in den gezeichneten Raum. Ein gefilmter Jogger wird so lange
       herangezoomt, bis seine Gesichtszüge vor dem Auge verschwinden, zu hören
       sind nur die Atemgeräusche und seine rhythmischen Schritte. Die Sequenz
       geht über in durchlaufende, gezeichnete Zahlenreihen. Skizzierte
       Digitalisierung als Übergang in den Zeichenkosmos. Schließlich landet der
       Zuschauer in einem gezeichneten Raum, den Cornelissen mittels 3D-Programm
       animiert hat. In der Ego-Perspektive fährt und läuft er durch Räume, die
       mal an einen Flughafen, mal an eine Bibliothek erinnern. Sie reihen sich
       surreal aneinander, das Tempo variiert. Puls und Magen machen mit,
       stellenweise möchte man stoppen, bleibt aber immer Passagier. Man wird
       hineingesogen in diese virtuelle Welt. Nur der offensichtlich handgemachte,
       gezeichnete Charakter, den Cornelissen bewusst belässt, sorgt noch für eine
       Verankerung in der eigentlichen Realität.
       
       Die Werke zeigen, wie die Digitalisierung Einfluss auf das Medium Zeichnung
       nimmt und beschreiben den Austausch, der dabei entsteht. Ein Blick, der
       nicht neu ist für die Kunstwelt, für das Horst Janssen Museum aber schon.
       Es sieht sich in der Tradition des Oldenburger Zeichners, Illustrators und
       Autors Horst Janssen, will Raum für die Begegnung mit seinen Werken sein
       und gleichzeitig Gegenwartskunst zeigen. Bislang hielt Museumsleiterin
       Jutta Moster-Hoos sich dabei ans Analoge. Der Ausflug in die Medienkunst
       soll nun die jüngste zeichnerische Entwicklung, ihre Möglichkeiten und
       unterschiedlichen Herangehensweisen abbilden. Nur waren diese Gefilde
       bislang dem Edith Ruß Haus für Medienkunst vorbehalten. Sollte diese
       Ausstellung nicht dort stattfinden, nur ein paar Gehminuten entfernt?
       Treten die Häuser nun in Konkurrenz miteinander? „Nein“, heißt es dazu
       einstimmig. In einem Haus für Zeichnung und Grafik sei es unverzichtbar,
       nach der „Zeichnung heute“ zu fragen. Sie sei nicht mehr nur analog zu
       sehen. „Move the Line“ zeige zwar Medienkunst, aber abgestimmt auf die
       Ausrichtung des Hauses. „Die Zeichnung ist nach wie vor das Exponat und
       eigenständige künstlerische Arbeit, nicht nur Ausgangsmaterial im Sinne von
       Skizze oder Entwurf“, sagt Moster-Hoos.
       
       Mit diesem Ansatz weitet das Horst Janssen Museum seinen Blick. „Move the
       Line“ ist eine interaktive, intuitiv erfahrbare und manchmal irritierende
       Ausstellung. Sie verschiebt Realitäten und stellt die eigene Wahrnehmung
       auf die Probe. Auch wenn der Zugang zum Teil schwerfällt, weil auf den
       ersten Blick der Kontext fehlt, ist der Vorstoß in digitale Gefilde
       insgesamt gelungen.
       
       „Move the Line“: bis 22. Mai, Horst Janssen Museum Oldenburg
       
       29 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manuela Sies
       
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