# taz.de -- Worauf konzentriert sich ein Maler, der am Ende seines Lebens steht?: Das Metropolitan im Whitney Museum
       
       BRIDGE & TUNNEL 
       
       von Ophelia Abeler
       
       Was ist los in New York im Frühling? David Bowie ist immer noch tot. Die
       Welt ist seit dem 10. Januar wohl eher kein besserer Ort geworden. Immerhin
       ist seit einem Monat niemand mehr in den USA Amok gelaufen. Marco Rubio
       versucht nicht mehr, Präsident zu werden, aber er ist noch jung und kann es
       wieder probieren. Seine Kampagne hat fast 93 Millionen Dollar verschlungen,
       das entspricht in etwa dem hart erarbeiteten Vermögen, das David Bowie
       seiner Familie hinterlassen haben soll.
       
       Was hätte man mit 93 Millionen Dollar alles anstellen können, das kein
       gescheiterter Versuch gewesen wäre, sondern etwas Richtiges. Und ich
       spreche noch nicht einmal von für die Ewigkeit bestimmter Musik, sondern
       eher so von „den Hungrigen etwas zu essen geben“, und damit meine ich
       nicht, ohne Insulinspritze danach unverdauliche Weißbrotsandwiches mit
       Mayonnaise und Truthahnschinken in irgendwelche Rednecks hineinzustopfen,
       damit sie einem dafür ihre künstlich tiefergestellte Stimme geben.
       
       Natürlich läuft jetzt in allen New Yorker Cafés, Bars und Restaurants David
       Bowie rauf und runter, er unterbricht plötzlich die ansonsten permanent
       laufende Schleife aus The Cure, The Smiths und manchmal auch Morrissey, mit
       der New York offensichtlich versucht, sich für immer im England der 80er
       Jahre zu halten. Die Bowie-Stücke, die das Personal so in den verschiedenen
       Playlists hat, schicken einen meistens noch einmal ein Jahrzehnt weiter zu
       Ziggy Stardust zurück, aber sobald „Black Star“ läuft, katapultiert es
       einen jäh ins Jetzt. „On the day of execution, on the day of execution /
       Only women kneel and smile, ah-ah, ah-ah …“ Ins Jetzt, wo Belgien um seine
       Toten trauert, wo auf die Verhaftung eines Terroristen sofort das nächste
       Attentat folgt, wo es kaum noch eine Pause zum Atmen zwischen den
       Katastrophen zu geben scheint.
       
       Und gerade deshalb möchte ich zum Durchatmen an einem Ort verweilen, in
       einem Museum, das zunächst auf überfordernde Weise brandneu für seine Zeit
       war und dann so zeitlos wurde, dass man heute in die ehemalige Hochburg der
       Moderne, die das 1966 von Marcel Breuer erbaute Whitney Museum nämlich
       einmal war, nun problemlos alte Schinken aus dem Metropolitan Museum hängen
       kann, welches das Breuer-Gebäude inzwischen für acht Jahre gepachtet hat.
       
       ## Kurzform Modernist
       
       1966, da wurde aus David Robert Jones übrigens gerade David Bowie und er
       war noch ein sauberer Mod, Kurzform für Modernist. Das MetBreuer hat
       letztes Wochenende mit zwei Ausstellungen eröffnet, von denen mich ehrlich
       gesagt gerade nur eine interessiert, und von der auch nur die erste Hälfte:
       die ältere. Was die internationale Artcrowd zum angeblich nicht ausreichend
       stattfindendem Aufkommen zeitgenössischer Kunst an diesem Ort schon wieder
       zu meckern hat: go fuck yourself.
       
       „Unfinished: Thoughts Left Visible“ lautet der Titel der Ausstellung, die
       unvollendete Bilder aus 500 Jahren zeigt. Im Titel scheint mir die
       Unterstellung mitzuschwingen, dass praktisch mit dem Vollenden eines Bildes
       die zugrundeliegenden Gedanken nicht mehr sichtbar wären. Aber was soll das
       heißen? Vielleicht, dass also nur das Skizzierte der Abbildung eines
       Gedankens entspricht, im richtigen Bild hingegen die Gedanken „übermalt“
       sind? Werden die Gedanken dann Gefühle, wenn das Bild seinen Auftrag
       erfüllt? Also: Gefühle in mir, dem Betrachter?
       
       Viele Bilder in der Ausstellung haben, gerade weil sie Fragmente sind, eine
       starke Wirkung. Das fein herausgearbeitete Jesuskind von Perino del Vaga
       (1528–30) auf dem Arm seiner nur schemenhaft angelegten Mutter sieht
       verwaist aus, es zeigt (auch wenn ausgerechnet auf Jesus nicht zutreffend)
       unser übliches Schicksal an, das Verblassen und Sterben unserer Eltern.
       
       Perino del Vagas Gemälde gehört zu den wirklich unvollendeten, die hier zu
       sehen sind. William Turners Spätwerk dagegen erweckt einen anderen
       Eindruck. Turner wusste, dass sein Leben weicht. Er schickte als letztes
       Bild „Der Besuch am Grabe“ an die Royal Academy. Aber in seinem Atelier
       fanden sich zig Leinwände, an denen er noch gearbeitet hat. Worauf
       konzentriert sich ein Maler, der am Ende seines Lebens steht? Einer, der
       schon nahezu alles gemalt hat, was er malen wollte? Turner ließ alles weg,
       Boote, Masten, Menschen. Was bleibt? Das Licht.
       
       Ophelia Abeler ist Kulturkorrespondentin der taz in New York
       
       24 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ophelia Abeler
       
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