# taz.de -- Abi-Randale in Köln: Ganz normale Abiturienten
       
       > Seit ein paar Jahren artet die Kölner Mottowoche regelmäßig aus. Ein
       > Schüler hat bei einer Straßenschlacht beinahe ein Auge verloren.
       
 (IMG) Bild: Nicht der schwarze Block oder der IS, sondern Gymnasiasten des Kölner Humboldt-Gymnasiums
       
       Köln taz | David R. kann noch immer nicht glauben, wie aus pubertärem Spaß
       blutiger Ernst wurde. In einer Schulfehde hat der schlaksige Abiturient
       vergangene Woche beinahe sein rechtes Auge verloren. Womöglich traf ihn
       oberhalb des Jochbeins ein Stein, mit einer Schleuder abgefeuert. Auch
       einer seiner Mitschüler wurde schwer verletzt, erlitt einen Schädelbruch
       und innere Blutungen.
       
       David war mittendrin, als sich etwa 50 Gymnasiasten mit 150 Abiturienten
       anderer Schulen vor dem Humboldt-Gymnasium in der Kölner Südstadt eine
       erbitterte Straßenschlacht lieferten. Die Lage eskalierte, statt der
       üblichen Wasserbomben flogen plötzlich Feuerwehrkörper, Flaschen, Steine
       und sogar Speere. Polizeimannschaften erteilten über Lautsprecheransagen
       Platzverweise – griffen aber erst eine gute Stunde später ein.
       
       „Ich hatte Todesangst”, erinnert sich David. Mehrere Schüler beklagen, dass
       sie die Polizisten vergeblich um Hilfe anflehten. Die Beamten hätten ihn
       gesagt: „Das habt ihr euch selber eingebrockt.“ Ein Sprecher der Polizei
       weist die Vorwürfe zurück. Die Stimmung sei hochaggressiv gewesen, man habe
       vor allem versucht, die rivalisierenden Gruppen zu trennen. Es sei
       schwierig, bei Tumultdelikten die Situation zu überblicken.
       
       Noch sind die Umstände der Silvesternacht nicht aufgeklärt, da gerät die
       Kölner Polizei erneut in die Kritik. Eine eigene Ermittlungsgruppe zu den
       Abi-Krawallen wurde eingerichtet, es geht um Verstöße gegen das
       Waffengesetz, Körperverletzung und Landfriedensbruch. Und es geht auch um
       die Frage, ob sich Hooligans unter die Schüler mischen. Die Einsicht der
       Polizei kommt spät. Schließlich hat sie lange tatenlos zugesehen, wie die
       Kölner Abiturienten Jahr für Jahr aufs Neue aufeinander losgingen.
       
       Seit sechs Jahren kommt es in der letzten Schulwoche zwischen Kölner
       Abiturienten zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Während im Rest der
       Republik harmlose Abi-Streiche gespielt werden, verabreden sich Kölner
       Jugendliche in den sozialen Netzwerken zu nächtlichen Revierkämpfen vor
       ihren Schulen.
       
       Sie nennen sich „Kölsche Kraat Kommando” oder „Kölsche Gören und Buben”.
       Mit Sturmhauben, Kapuzenpullis, Fahnen und Fackeln posieren sie in
       aufwendig gedrehten Videos, auf martialische Weise schaukeln sie sich in
       sozialen Netzwerken gegenseitig hoch. Längst geht es nicht nur um ein
       schneidiges Auftreten, sondern auch um eine gehörige Portion Nervenkitzel.
       
       ## „Ein cooles Gemeinschaftsgefühl“
       
       „Die Schule zusammen zu verteidigen, das ist ein cooles
       Gemeinschaftsgefühl“, sagt David R. Dass sich das Risiko nicht kalkulieren
       lässt, hat der Abiturient am eigenen Leibe erfahren. Und dass er naiv
       darauf vertraute, die Beamten würden rechtzeitig eingreifen, sobald die
       ersten Feuerwerkskörper gezündet würden. So hatten es ihm frühere
       Abiturienten erzählt.
       
       So hatten es ihm auch noch am Abend vor der „Schulschlacht“ einige Beamte
       versichert, die vor der Schule Wache schoben. Schon in den Tagen zuvor gab
       es in Köln mehr als ein Dutzend Einsätze wegen Schulkrawallen, bei denen
       die Polizei tatkräftig dazwischengegangen war. Ein Polizist wurde bei einem
       dieser Einsätze verletzt.
       
       Mit Wasserschlachten hat die sogenannte Kölner Mottowoche nichts mehr zu
       tun: Es kommt zu Sachbeschädigungen, Brandanschlägen, Einbrüchen – in
       manchen Schulen wurden Buttersäure und Fäkalien hinterlassen. Schon vor
       drei Jahren, als der erste Doppel-Abiturjahrgang in Köln seinen Abschluss
       antrat, gab es eine traurige Bilanz: 17 Anzeigen, Sachschäden in Höhe von
       50.000 Euro, drei verletzte Polizisten.
       
       ## Kölner OB Reker: „Wohlstandsverwahrlosung“
       
       In anderen Städten in Nordrhein-Westfalen verlaufen die letzten Tage vor
       den Abiturprüfungen weitgehend ruhig – von einzelnen missglückten Streichen
       abgesehen. Nur in Köln eskaliert die Lage immer an den gleichen Gymnasien.
       Die Schulen liegen in gutbürgerlichen Vierteln – nicht in Problembezirken.
       Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker sprach wohl deshalb
       moralinsauer von „Wohlstandsverwahrlosung“.
       
       Die hohe Dichte der Schulen und fehlende Rückzugsräume könnten eine Rolle
       spielen. „Es gibt zu wenig Jugendtreffs in der Stadt“, vermutet Reinhold
       Goss, der Vorsitzende der Stadtschulpflegschaft – so heißt die oberste
       Elternvertretung in Köln. Goss schlägt Gespräche zwischen den
       rivalisierenden Schulen vor. Nur eine schulübergreifende Konferenz, auf der
       Schüler, Eltern und Schulleiter gemeinsam über die Randale debattierten,
       könnte helfen, „aus der Gewaltspirale rauszukommen“.
       
       Die Direktoren der Kölner Gymnasien erwägen nun ein Verbot der Mottowoche.
       Ob es die Gewalt verhindern würde, bleibt fraglich. Das Verbot würde nur
       auf dem Schulgelände gelten. Deshalb hält Noah Gottschalk, Schülervertreter
       am Humboldt-Gymnasium, nicht viel davon: „Die Schüler müssen das selbst
       friedlich hinkriegen.“ Die Krawalle finden ja meist vor den Schultoren, auf
       offener Straße, statt.
       
       Sein Mitschüler David R. hat jetzt ganz andere Sorgen. Eine weitere
       Augenoperation steht ihm bevor. Noch weiß er nicht, wann er die
       Abi-Klausuren nachholen kann. Was für ihn noch schlimmer ist: Seine
       Zukunftspläne sind dahin. Er wollte Pilot werden, doch den dafür
       notwendigen Sehtest wird er nicht mehr bestehen.
       
       Von Einsicht oder Reue ist bei David jedoch wenig zu spüren. Der 18-Jährige
       hat Strafanzeige gegen die Kölner Polizei gestellt – wegen unterlassener
       Hilfeleistung.
       
       26 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudia Hennen
       
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       Konstantin Gülden findet pauken langweilig und echtes Engagement toll.
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