# taz.de -- Der Deal mit Backwaren
       
       > Integration In der Kreuzberger Falckensteinstraße, ganz in der Nähe zum
       > Görlitzer Park, findet sich Berlins erste „Flüchtlingsbäckerei“. Dort
       > lernen Geflüchtete die Grundlagen der Gastronomie – das Hilfsprojekt hat
       > aber auch gegen allerlei Widerstände zu kämpfen
       
 (IMG) Bild: Anlaufstelle Bäckerei: Annika Varadenik mit Flüchtlingen vor ihrem Café in Kreuzberg
       
       von Andreas Wolf
       
       Ein schwarzer Mann radelt durch die Friedrichstraße. Polizisten stoppen
       ihn. Sie kontrollieren den Pass des 28-Jährigen aus Gambia, dann das
       Fahrrad des „Lampedusa-Flüchtlings“. Die Polizisten vermuten Drogen in der
       Box auf dem Gepäckträger und lassen sie öffnen: und finden Käsebrötchen,
       Kuchen und Kartoffelsalat. Der vermeintliche Drogendealer entpuppt sich als
       Essenlieferantaus dem Kreuzberger Wrangelkiez.
       
       Seit Juli 2015 arbeitet Kemo* für Berlins erste „Flüchtlingsbäckerei“. Mit
       drei weiteren „Lampedusa-Flüchtlingen“ lernt er dort die Grundlagen der
       Gastronomie: backen, kochen, kellnern – unter Aufsicht eines Kochs mit
       Ausbilderlizenz. Als Lernort dient die Küche des Café Varadinek in der
       Falckensteinstraße.
       
       Täglich um sieben Uhr beginnen Kemo, Mustafa, Lamin und Sanna* ihre Arbeit
       in der Küche. Sie schnibbeln, waschen, lachen. Feierabend ist meist
       nachmittags, wenn die Backwaren und Salate an Kunden des Cafés ausgeliefert
       sind. „Very stressy“ sei das manchmal, sagt „Küchenmeister“ Mustafa. Der
       40-Jährige ist der Teamälteste. Er wirkt schüchtern, hat seine Wollmütze
       ins Gesicht gezogen, spricht leise und knapp. „25. 7. 2011“, sagt er
       ungefragt – der Tag seiner Flucht aus Gambia.
       
       Über den Senegal, Mali und Tunesien floh Mustafa Arbeit suchend nach
       Libyen. Der Krieg trieb ihn weiter nach Italien. Dort saß er vier Monate im
       Knast. „Sie dachten, ich sei Schmuggler“, sagt er. Von Karlsruhe wurde
       Mustafa verlegt in ein Heim nach Halberstadt. „Dort saß ich nur rum, hörte
       aber, in Berlin gibt es Hilfe.“ Aber auch dort habe er zunächst „nur
       rumgesessen“, Angst vor der Polizei gehabt. Mustafa fragte andere
       Geflüchtete, wo der beste Ort für Hilfsbedürftige sei. Die Antworten:
       „Kreuzberg“, „Bantabaa“.
       
       ## Teffpunkt Küche
       
       „Bantabaa“ ist afrikanisch, heißt Treffpunkt. Genau das ist für viele
       Geflüchtete das Café Varadinek in Kreuzberg. Vor allem Afrikaner schlendern
       täglich die Falckensteinstraße entlang, treffen sich vor und im Café von
       Annika Varadinek – oder nebenan beim Deutschunterricht des
       Flüchtlingshilfsvereins „Bantabaa“.
       
       Ein Projekt des Vereins ist die „Flüchtlingsbäckerei“. Deren Ziele:
       Geflüchtete aus dem Görlitzer Park und von Drogen fernhalten; sie
       beschäftigen, ihnen Jobs vermitteln. „Die Jungs sollen lernen,
       selbstständig etwas auf die Beine zu stellen. Was sie hier lernen, können
       sie mitnehmen, egal wohin sie mal gehen“, erklärt Brigitta Varadinek,
       Vereinsgründerin und Schirmherrin der „Flüchtlingsbäckerei“. Tochter Annika
       Varadinek ergänzt: „Wir denken, das ist der beste Weg, um Flüchtlinge zu
       integrieren und die Konflikte im Kiez rund um den Görli zu lösen.“
       
       Alle „Flüchtlingsbäcker“ kommen aus dem nahe gelegenen Görlitzer Park. Dort
       reifte die Idee zum Projekt. Brigitta Varadinek erinnert sich: „Annika und
       ich sind durch den Park gelaufen und haben uns gefragt, warum dort so viele
       jungen Menschen stehen und nichts zu tun haben.“
       
       Die Frauen kamen mit Geflüchteten ins Gespräch. Einer war Lamin. Der
       Gambier floh über Senegal und Italien nach Deutschland, lebt seit Winter
       2014 in Berlin. Er gehörte zu jenen, die von der Polizei aus der
       Gerhart-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße „geräumt“ wurden.
       
       Lamin stand ohne Wohnung da, fand Zuflucht bei „Bantabaa“. Nun steht er in
       der Café-Küche. Auf dem Kopf eine neongrüne Wollmütze. Während Lamin Teller
       abtrocknet, spricht der 28-Jährige über seine Flucht. Er wirkt gelöst,
       seine helle Stimme überschlägt sich. „Lebst du in Italien im Camp, sagen
       alle, du musst nach Kreuzberg. Ich sagte, okay, dann gehe ich nach
       Kreuzberg.“
       
       Durch Lamin und Mundpropaganda im „Görli“ kamen weitere Afrikaner zur
       Bäckerei, etwa Sanna. „Das Leben im Park ist nicht das, was ich leben
       will“, sagt der 27-Jährige. Nach sieben Jahren Flucht – Senegal, Mali,
       Burkina Faso, Niger, Libyen, Italien, Schweiz, Freiburg, Stuttgart – hofft
       er, in Deutschland bleiben zu dürfen und einen Job zu finden. Der gelernte
       Elektroniker zeigt an die Deckenbeleuchtung des Cafés. „Das ist mein Ziel“,
       sagt er. Findet Sanna keinen Job als Elektriker, will er Tischler werden.
       
       „Viele Flüchtlinge gehen in den Görlitzer Park, weil sie denken, dort mit
       Drogen Geld zu verdienen – und rutschen in den Drogensumpf“, berichtet
       Brigitta Varadinek aus Gesprächen mit Betroffenen. Die Varadineks
       überlegten, wie „die Männer eine Chance haben, aus dem Sumpf rauszukommen“.
       Wegen der Küche und des Cafés ihrer Tochter habe sich eine Bäckerei
       angeboten, erklärt Brigitta Varadinek. „Die Flüchtlinge sollten Kuchen
       backen. Daher der Name Flüchtlingsbäckerei.“
       
       Alle „Flüchtlingsbäcker“ sagen, sie seien froh, arbeiten zu dürfen,
       beschäftigt zu sein. Auf den „Görli“ angesprochen, reagieren die Männer
       vorsichtig: „Hat das Interview rechtliche Folgen?“, will Mustafa wissen.
       „Ist die taz eine Regierungszeitung?“, fragt Sanna. Das Misstrauen
       gegenüber Fremden ist groß – durch Erfahrungen auf der Flucht und mit der
       Berliner Polizei. Die habe etwa mehrfach die italienischen Pässe der
       „Lampedusa-Flüchtlinge“ einkassiert und mitgeteilt, die Afrikaner sollen
       ihre Pässe bei der Behörde abholen.
       
       Die „Bantabaa“-Leute wollen den Geflüchteten helfen. „Sonst tut ja keiner
       was für die Jungs im Park. Sie werden von den Behörden vergessen und von
       vielen Berlinern als Drogendealer abgestempelt“, kritisiert Brigitta
       Varadinek. Mustafa ergänzt: „Die Jungs im Park würden mit ihrer Zeit gerne
       Sinnvolles tun. Sie suchen eine Perspektive, fühlen sich aber alleine
       gelassen.“ Die „Flüchtlingsbäcker“ möchten nicht als Dealer abgestempelt
       werden. „Sehen mich Leute im Park, denken sie, ich bin Dealer“, klagt etwa
       Sanna und beteuert: „Bin ich aber nicht. Ich habe aufgehört.“
       
       ## Suche nach Nachhaltigkeit
       
       Die Varadineks wollen die „Flüchtlingsbäckerei“ schrittweise professionell
       aufbauen und ausweiten. „Viele Hilfsprojekte scheitern, weil sie kurz
       laufen. Aber Jobs müssen langfristig sein“, sagt Brigitta Varadinek. Die
       Nachfrage an der Bäckerei sei groß gewesen. „Zehn Jungs hätten wir sofort
       nehmen können.“
       
       Doch Probleme erschweren die Hilfe. Zum Beispiel die „Null
       Toleranz“-Politik um den Görlitzer Park: Ein Anwalt und „Bantabaa“-Helfer
       berichtet, die Polizei sei angehalten, „knallhart durchzugreifen“ gegen
       Drogendealer im Görlitzer Park. Viele „Bantabaa“-Flüchtlinge haben dort
       Drogenerfahrungen gesammelt. Auch die „Flüchtlingsbäcker“ stünden deshalb
       unter Generalverdacht, beklagen die Varadineks. „Schwierig“ sei das
       Verhältnis zur Bereitschaftspolizei im Park: „Die wollen mit dem Café nicht
       zusammenarbeiten“, bedauert Brigitta Varadinek.
       
       Ein anderes Problem sind vor allem rechtliche Vorgaben: Arbeit setzt
       Deutschkenntnisse und eine Arbeitserlaubnis voraus. Die wenigsten
       „Bantabaa“-Gäste sind in Berlin gemeldet oder sprechen Deutsch. Nur ein
       „Flüchtlingsbäcker“, Sanna, besitzt eine Arbeitserlaubnis. Die anderen
       machen ein Bildungspraktikum, gekoppelt an einen Sprachkurs. „Wir mühen
       uns, vernünftige Beschäftigungen für die Jungs zu finden, soweit es ihr
       Aufenthaltsstatus zulässt“, sagt Brigitta Varadinek, die als Rechtsanwältin
       arbeitet. Doch ihre Anfragen nach Arbeitsgenehmigungen seien abgelehnt oder
       nicht beantwortet worden, ärgert sie sich.
       
       Weitere Probleme: Die Geflüchteten sind nicht krankenversichert. Und sie
       finden keine Wohnungen. „Auch Studenten, die sich gerne weltoffen geben,
       hatten kein Interesse“, berichtet Brigitta Varadinek. 30 Anfragen habe sie
       verschickt. Positive Antworten: null. Tochter Annika betont: „Die Jungs
       haben Existenznöte! Wohnen, arbeiten, essen.“ Auch in der Freizeit werden
       sie von Problemen eingeholt: Das Bezirksamt stellt eine Stunde pro Woche
       den Bolzplatz neben dem Café bereit. Doch viele Geflüchtete schaffen nicht,
       sich zu verabreden – keine Ortskenntnisse, keine BVG-Tickets, zu teuer.
       
       Die Möglichkeiten des Vereins und der Varadineks sind begrenzt. Es fehle
       Raum und Geld an mehreren Baustellen: etwa Material und Werkzeug für
       geplante Arbeitsprojekte, Lehrmaterial für die „Bantabaa“-Sprachschule.
       „Sprachunterricht ist teuer und mit der Bäckerei machen wir ein sattes
       Minus. Aber wir hoffen, es trägt sich irgendwann“, sagt Annika Varadinek.
       
       Ihre Mutter blickt verträumt durch das Küchenfenster und schwärmt: „Die
       Jungs sind schon ein gutes Team, aber teilweise überfordert, und sie müssen
       noch deutsche Herangehensweisen lernen.“ Etwa Disziplin bei der Arbeit. „Da
       landet mal eine Gurke im Ratatouille, oder nach dem Verladen fehlt ein
       Karton und die Jungs sagen: Ups, haben wir vergessen“, berichtet Brigitta
       Varadinek und schmunzelt.
       
       Laut Lamin klappt die Integration schon gut: „Vegan, vegetarisch, Fleisch –
       we eat alles“, sagt er und grinst. Auf Flyern am Café-Tresen steht
       „Refugees welcome“, an der Wand eine Glasvitrine mit selbst gebackenen
       Produkten der Afrikaner.
       
       Kemo zeigt auf die Vitrine. „Guck! Tramezzini“, sagt der studierte
       Techniker stolz und strahlt. 2012 floh er über den Senegal nach
       Baden-Württemberg, machte dort einen Sprachkurs. Seine Zukunft sieht der
       28-Jährige in Deutschland: „Hier ist viel möglich. Ich will die Chance
       nutzen, mich weiterbilden, einen technischen Beruf machen.“
       
       Bis dahin hofft er wie seine „Bantabaa“-Freunde auf Asyl – und radelt
       täglich über die Charlottenstraße zu den Kunden des Cafés. Der Gambier
       wollte den Kurierjob, um Menschen zu treffen, mit ihnen zu sprechen, sein
       Deutsch zu verbessern. „Das alles ist anstrengend“, sagt Kemo, während er
       Brötchen, Salate und Kuchen in die Fahrradbox hebt. „Aber die Arbeit ist
       eine gute Sache. Sie hält uns weg vom Park und illegalen Dingen.“
       
       *Die Geflüchteten fürchten Polizeikontrollen und abgeschoben zu werden. Sie
       wollen ihre vollständigen Namen daher nicht preisgeben.
       
       22 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Wolf
       
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