# taz.de -- Seid doch nicht so unentspannt
       
       > FEMINISMUS Reproduktions-arbeit machen immer noch die Frauen – aber
       > aufgeklärte Paare erklären das mit unterschiedlichen
       > „Sauberkeits-standards“ weg. Am Donnerstagabend wurde im vollen SO36 über
       > den Status quo der feministischen Bewegung diskutiert
       
 (IMG) Bild: Dabei, die Welt zu verändern: agitierende Frauen der zweiten Frauenbewegung in den siebziger Jahren
       
       von Laura Aha
       
       Dass sich Veranstaltungen mit feministischen Inhalten vor allem einmal im
       Jahr, nämlich um den Weltfrauentag am 8. März, zu häufen scheinen, sei
       zunächst als etwas beschämend bemerkt, eröffnet die Sprecherin des
       Top-B3rlin-Netzwerks am Donnerstagabend die Runde. Immer gebe es Themen,
       die wichtiger, aktueller, relevanter scheinen als der feministische
       Diskurs. Das bis zum letzten Bierbankplatz besetzte SO36 spricht aber eine
       andere Sprache. „Klasse Frau“ ist die Podiumsdiskussion mehrdeutig
       betitelt. Es geht um den Stand der feministischen Debatte, dem hier bei
       Wein und Parisienne nachgegangen werden soll. Drin Rauchen darf allerdings
       nur Referentin Sarah Speck, deren im vergangenen Jahr veröffentlichte
       Studie „Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist“ milieuspezifische
       Rollenkonstruktionen in heterosexuellen Partnerschaften untersucht.
       
       Anerkennung und Aufteilung von Haus- und Pflegearbeiten, sogenannte
       reproduktive Tätigkeiten, sind dabei das zentrale Thema. Ironischerweise
       machte „Madame Krankheit“ auch den OrganisatorInnen kurzfristig einen
       Strich durch die Rechnung. Die Journalistin Nina Scholz und Soziologin Ilse
       Lenz fielen aus. Spontaner Ersatz fand sich mit dem*der
       Politikwissenschaftler*in Detlef Georgio Schulze und einer Vertreterin des
       Netzwerks Care Revolution, die schlicht als Anja vorgestellt wird.
       
       „Wir stehen vierzig Jahre nach der zweiten Frauenbewegung vor einer
       vollkommen anderen gesellschaftlichen Situation“, leitet Sarah Speck ihre
       Bestandsaufnahme ein. Die Gleichstellung auf rechtlicher Ebene, Zugang zur
       Bildung, weniger finanzielle Abhängigkeit und eine gesamtgesellschaftlich
       Zustimmung zum Thema Gleichberechtigung erwähnt sie als Erfolge. Themen wie
       der Gender-Pay-Gap, ein männerdominierter Arbeitsmarkt und konservative
       Tendenzen zur Restaurierung traditioneller Rollenklischees bleiben dagegen
       laut Speck weiterzuverhandeln.
       
       Zudem mangele es an einer adäquaten gesellschaftlichen Wahrnehmung und
       Selbstreflexion. Außerhalb der „feministischen Blase“, einem Territorium,
       mit dem Speck, wie sie halb ernst, halb ironisch sagt, nur in
       Ausnahmefällen kommuniziere, werde das Problem negiert. In vermeintlich
       aufgeklärten Milieus, besonders in der gebildeten, urbanen Mittelschicht,
       fühle man sich dagegen gleichberechtigt. Wie aus Specks Studie hervorgeht,
       herrscht besonders bei Paaren dieser Gruppe weniger tatsächliche
       Gleichberechtigung im Bezug auf reproduktive Tätigkeiten, als von diesen
       selbst angenommen wird.
       
       Obwohl die Frau hier mehr Lohnarbeit verrichtet, stemmt sie oft zusätzlich
       „den Löwinnenanteil“ der Hausarbeit. „Das mach ich so nebenbei“, wird oft
       relativiert, „dafür ist er ein toller Gastgeber und kocht“, wird der Mangel
       an männlicher Reproduktionsarbeit kaschiert. Ein Klassiker, der vom
       mehrheitlich weiblichen Publikum mit viel Gelächter aufgenommen wird,
       laute: Es gebe halt unterschiedliche Sauberkeitsstandards, deshalb putze
       sie mehr als er. Dabei erscheine der männliche Partner oft als der Ruhige,
       Affektbeherrschte, sie dagegen als „eher so unentspannt“. Zum Ausgleich
       kann sie ja Yoga machen. Ein Problem sei, dass Frauen an diesen Strukturen
       aktiv mitwirken, weil sie ihr Selbstbild bestätigt sehen wollten.
       
       „Finanzielle Autonomie und berufliche Selbstverwirklichung sind die
       zentralen Säulen im Glaubensbekenntnis von sich als egalitär verstehenden
       Partnerschaften“, resümiert Speck. Sorgearbeit, die angeblich 50:50 unter
       den Partner aufgeteilt ist, wird rausgerechnet aus der partnerschaftlichen
       wie aus der realen kapitalistischen Ökonomie, wie später Anja erklären
       wird. Der Überschuss an ungleichgewichtig verteilter Arbeit wird mit
       persönlichen Neigungen wie „Putzfimmel“ erklärt. Wieder Lachen aus dem
       Publikum – fühlt sich der eine oder die andere ertappt?
       
       Tendenzen, in denen strukturelle Probleme ins Individuelle verlagert
       werden, sieht Detlef Georgia Schulze auch in der Queerszene. Viele Queers
       hätten vergessen, dass Geschlechterrollen gesellschaftlich hergestellt
       werden, und glaubten stattdessen, ihr Geschlecht individuell selbst
       definieren zu können. „Man kann sich aber nicht selbst aus dem Sumpf
       gesellschaftlicher Geschlechterkonstitutionen heraus ziehen“, verdeutlicht
       er*sie. Wenn man statt vom „Patriarchat“ heute von „Sexismus“ spreche,
       werde eine gesellschaftliche Machtstruktur zum Konflikt individueller
       Befindlichkeiten abgewertet. Dies stehe einem dekonstruktivistischen
       Feminismus, der die soziale Konstruiertheit von Geschlecht voraussetzt,
       entgegen und ließe aus eben diesem Grund auch wenig Spielraum für
       politischen Kampf. Stattdessen poche die Berliner Queerszene moralisierend
       darauf, dass die individuelle Geschlechterkonstruktion gesellschaftlich
       hingenommen werden müsse.
       
       Mehr politischen Kampf fordert auch Anja von Care Revolution für die
       ausgebeuteten migrantischen Frauen ein. Diese fallen in Folge des
       Outsourcings reproduktiver Tätigkeiten in westlichen Ländern oft der
       Maschinerie sogenannten Careketten zum Opfer. Polnisches Pflegepersonal
       betreut deutsche Senioren, ukrainische Frauen betreuen die Kinder der im
       Ausland arbeitenden Polinnen. Es fehlten Gewerkschaften und die Möglichkeit
       der Selbstorganisation. Arbeitszeitverkürzung und finanzielle Anerkennung
       blieben bloße Forderungen. Lösungsansätze könnten dezentral organisierte
       Communitys sein, in denen sich ein politischer Raum öffnen könne.
       
       „Wir wollten die Welt verändern, doch dann haben sie uns die Gleichstellung
       angeboten“, zitiert Speck die italienische Feministin Luisa Muraro
       zusammenfassend.
       
       Gleichberechtigung statt Revolution scheint das Zwischenergebnis zum Stand
       der feministischen Bewegung, die Speck mit der marxistisch geprägten
       Radikalfeministin Silvia Federici für „unvollendet“ erklärt.
       
       5 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Laura Aha
       
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