# taz.de -- Das Ego wortreich ins komatöse Vergessen streicheln
       
       > klagegesang Alle entschuldigen sich ständig und tun nichts: Johanna
       > Wehner bringt am Schauspiel Frankfurt Felicia Zellers „Zweite Allgemeine
       > Verunsicherung“ zur Uraufführung
       
       Ein Kronleuchter hängt bis auf den Boden, zwischen hübsch angerosteten
       Metallrohren, Reste eines Lebens liegen umher: ein Wasserkocher, eine
       Nähmaschine, Eimer, Dosen. Gelbliches Licht fällt herein, manchmal flackert
       eine Neonröhre, Nebel wabert sanft aus dem Boden. Welch traumschöne Bühne,
       die Volker Hintermeier da für Felicia Zellers neues Stück in Frankfurt
       gebaut hat, ein pittoreskes Niemandsland für das Jammertal dieses Stückes.
       
       Denn „Zweite Allgemeine Verunsicherung“ zelebriert den Klagegesang: Eine
       unbenannte Anzahl Personen läuft sich bei einer Filmpreisverleihung, den
       fiktiven 22. Bottropper Powertagen, über den Weg, beklagt die Nichtigkeit
       des eigenen Lebens, wird von einer Katastrophe heimgesucht und macht weiter
       wie bisher.
       
       Bei der Uraufführung in den Kammerspielen des Frankfurter Schauspiels hat
       die Regisseurin Johanna Wehner Zellers Text auf fünf Schauspieler verteilt:
       Constanze Becker als Meerjungfrau mit meterlanger Schleppe, Verena Bukal
       als brillentragende Wiedergängerin der Autorin mit weißem Gretchenzopf,
       Vincent Glander als androgyner Dandy im Pelzmantel, Martin Rentzsch als
       gestaltgewordene Verlegenheitslösung im silbernen Smoking und Till
       Weinheimer mit melancholisch geschürzten Lippen. Alle entschuldigen sich
       ständig für die eigene Unzulänglichkeit, und alle sind sie formschön
       herabgewirtschaftet in ihrem Luxuskummer.
       
       Als Inspiration diente der Autorin Tschechows „Iwanow“, ein bisschen
       flüstern da, in Zellers verbenverschluckende, schleifenreiche Sprache mit
       ihrer grandiosen Verzweiflungskomik, aber auch Woody Allens
       zaudernd-verlorene Neurotiker hinein. Die fünf Schauspieler bilden einen
       Chor, eine heterogene, furchtsame Gemeinschaft, die über den unsicheren
       Grund der schiefen Bühne wankt, und aus der gelegentlich Solisten
       heraustreten: Vincent Glander attestiert larmoyant seine eigene
       Fühllosigkeit und verkrallt sich entzückt in seinen falschen Pelz. Verena
       Bukals alternde Autorin notiert ihr hängendes Fleisch und schämt sich ihrer
       Durchschnittlichkeit. Constanze Beckers Diva probt in ihrem Hotelzimmer
       ihre Eröffnungsrede und ergeht sich dabei in Fantasien, dem sanftmütig
       lächelnden Pagen Gewalt anzutun. Zwischendurch flackert das Neonlicht,
       Störgeräusche ertönen und alle zucken zusammen.
       
       Das steht nicht bei Zeller, kündet aber schon mal vom bevorstehenden
       Weltuntergang. Denn im ausgesprochen-unausgesprochenen Hintergrund des
       Stückes geht es darum, dass die Welt untergehen wird, und wir nichts getan
       haben werden, um es zu verhindern – und dass wir uns in der Zwischenzeit
       eloquent selbst anklagen, dass wir nichts getan haben werden. Man müsste
       Verantwortung übernehmen und schreckt reflexhaft plappernd davor zurück.
       Gehandelt wird hier nur symbolisch: Am Rednerpult der Preisverleihung winkt
       man jenen Unterprivilegierten zu, die einen gerade nicht sehen können, oder
       sammelt künstliche Lächeln für diejenigen, denen nicht zum Lachen zumute
       ist.
       
       Johanna Wehner verstärkt das retardierende Moment des Textes, indem sie
       seine Dramaturgie ändert und die Hölle, in der sich die Figuren am Ende
       wähnen, an den Anfang ihres Abends stellt: „Ich lebe in der Hölle. Die
       Hölle ist eine Wiederholung …“. Die Neurose, hat Bataille einmal gesagt,
       sei das „bange Gewahrwerden des Unmöglichen in allem“. „Zweite Allgemeine
       Verunsicherung“ macht aus diesem bangen Gewahrwerden die Tugend, das eigene
       Ego wortreich in komatöses Vergessen zu streicheln: Das ist alles nur
       geträumt.
       
       Und so arbeitet sich das Ensemble virtuos durch die Wortkaskaden, wiegt
       sich selbstvergessen im Walzertakt. Nein, Zellers Diagnose ist nicht neu,
       weil sich die Dinge nicht so schnell ändern, wie wir es uns auf der Jagd
       nach dem ewig Neuen so gern weismachen. Ihre Diagnose ist nervtötend und
       schmerzlich. Einmal mehr spürt die Autorin im redseligen Alltagsgeplapper
       die Wunden der Gegenwart auf. Darum brauchen wir sie. Und darum brauchen
       wir Wehners glamouröse Jammergestalten, mit denen man sich so wenig
       identifizieren mag und in denen man sich doch, gewissermaßen mit einem
       lachenden Schauder, wiedererkennt. Esther Boldt
       
       23 Feb 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Boldt
       
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