# taz.de -- Skeleton-Schlittenfahrerin Tina Hermann: Nase vorn
       
       > Tina Hermann ist bei der WM in Innsbruck-Igls die große Favoritin.
       > Allerdings könnte die Olympiabahn für sie nicht anspruchsvoll genug sein.
       
 (IMG) Bild: Den WM-Titel im Visier: Tina Hermann auf ihrem Schlitten.
       
       Ein wenig Understatement tut ganz gut, denkt sich Tina Hermann. „Mein Ziel
       ist es, um eine vordere Platzierung mitzufahren“, sagt die Skeleton-Pilotin
       vor den vier Läufen bei den Weltmeisterschaften in Innsbruck-Igls. Erst auf
       heftiges Nachfragen gibt sie zu, dass sie durchaus auch an eine Medaille
       denkt.
       
       Alles andere würde man der 23-Jährigen auch nicht abnehmen. Denn die
       Pilotin, die in Bischofswiesen wohnt, ist in ihrer zweiten Saison im
       Weltcup so richtig durchgestartet. Vier Weltcuprennen hat sie gewonnen, vor
       dem Finale führt sie die Gesamtwertung mit 172 Punkten Vorsprung vor
       Teamkollegin Jacqueline Lölling an.
       
       Zudem wurde sie am vergangenen Sonntag Weltmeisterin. Im Teamwettbewerb
       gemeinsam mit den Bobfahrern. Der Titel, auch wenn es schon der zweite war,
       genießt bei den Sportlern zwar nicht die ganz große Bedeutung, aber Hermann
       beendete ihre Fahrt mit einem Erfolgserlebnis. „Der Titelgewinn mit dem
       Bahnrekord gibt einem doch noch einmal positives Feedback“, gibt Hermann
       zu.
       
       Dabei ist die Olympiabahn am Patscherkofel für Hermann nicht unbedingt
       ideal. Weil sie eine geringe Neigung hat, kommt es mehr als anderswo auf
       einen sehr guten Start an. Und die 1,69 Meter große Athletin gilt, obwohl
       sie sich stark verbessert hat, nicht als die schnellste Sprinterin.
       
       ## Anspruchsvolle Strecken bevorzugt
       
       Zudem ist der Eiskanal sehr kurz und einfach zu fahren. „Ich mag mehr die
       technisch anspruchsvolleren Strecken“, sagt Hermann, „weil ich dann mehr
       Zeit habe mir einen Vorsprung herauszufahren.“ Die Zeiten beim
       Abschlusstraining belegen dies eindrücklich. Mit lediglich der 21. besten
       Startzeit landete Hermann im Ziel auf Platz vier.
       
       Ein erstes Mal hat Tina Hermann vor einem Jahr aufhorchen lassen. Bei der
       WM in Winterberg belegte sie Platz fünf. Allerdings war dies im allgemeinen
       Jubel über Silber von Jacqueline Lölling ein wenig untergegangen.
       
       Obwohl Leistungssportler ständig neue Erfahrungen sammeln, kann Winterberg
       als Ende von Hermanns Lernphase eins bezeichnet werden, weil es der
       Abschluss ihrer Premierensaison im Weltcup war. „Man muss sich an so viele
       neue Dinge gewöhnen“, erzählt die Skeletoni, „die längeren Reisen, die
       neuen Bahnen, die ersten Interviews.“ Das ist mittlerweile alles Routine.
       
       Mit ihren 23 Jahren kann Tina Hermann schon auf ein bewegtes Leben
       zurückblicken. Aufgewachsen ist sie in Hirzenhain. Der kleine Ort mit 2.000
       Einwohnern liegt in der Wetterau in Hessen. Mutter Elisabeth und Vater
       Hermann, Vorsitzender des örtlichen Skivereins, haben ihre Tochter schon in
       jungen Jahren auf Ski gestellt.
       
       ## „Das taugt mir“
       
       Da zeigte sie schnell ihr Talent im Umgang mit Geschwindigkeit. Also
       wechselte Tina mit zwölf Jahren aufs Skigymnasium nach Berchtesgaden. Doch
       dann stockte die sportliche Entwicklung. Der Vater einer Mitschülerin
       empfahl ihr deshalb den Wechsel in den Eiskanal.
       
       „Mit dem Rodeln konnte ich mich nie identifizieren“, erzählt Hermann über
       ihre damalige Entscheidung, „aber dass man beim Skeleton mit dem Kopf
       voraus so knapp über dem Eis dahin rast, das taugt mir.“ Auch der Start,
       bei dem man mit einer Hand am Schlitten lossprintet, gefalle ihr. Also war
       die Entscheidung für einen Wechsel zu den „Bauchrutschern“ schnell gefällt.
       
       „Es wäre sehr schade gewesen, wenn Tina für den Leistungssport verloren
       gegangen wäre“, sagt Bundestrainer Jens Müller. In Sachen Ehrgeiz und
       Trainingsfleiß ist die blonde Sportlerin schon lange ein Vorbild. Trotzdem
       war diese Leistungssteigerung nicht unbedingt zu erwarten.
       
       Eine gewisse Schnellkraft hatte sie immer schon, aber dass sie sich am
       Start so gewaltig verbessert hat, ist ihr nur durch hartes und beharrliches
       Training gelungen. Häufig macht sie mehr, als in dem ihr vorgegebenen Plan
       steht. In der kleinen Trainingsgruppe mit Anna Fernstädt, Kilian von
       Schleinitz, Martin Rosenberger und Dominic Rady wird jedoch darauf
       geachtet, dass dies nicht permanent vorkommt. Im Zweifelsfall wacht Trainer
       Dirk Matschenz darüber.
       
       ## „Schönwetterfahrerin“
       
       Zum Skifahren geht Tina Hermann immer noch gern. Allerdings nicht mehr so
       häufig. Während der Saison darf sie nicht, aber im März. „Ich bin eine
       Schönwetterfahrerin geworden“, sagt sie. Wenn morgens die Sonne scheint,
       geht‘s schnell nach Flachau, Saalbach-Hinterglemm oder Richtung Obertauern.
       
       Ansonsten schaut sie sich die Berge gern von unten an. Fürs Berggehen, das
       bei vielen Wintersportlern sehr beliebt ist, kann sich die Hessin aber
       nicht begeistern. „Ich halte mich mehr im Tal auf“, sagt sie. Und schiebt
       als Begründung hinterher: „Das Berggehen ist für uns Schnellkraftsportler
       nicht so ideal.“
       
       Generell kann es Tina Hermann, obwohl sie sehr ruhig und bedacht erscheint,
       nicht schnell genug gehen. Weder im Eiskanal noch anderswo. „Ich liebe das
       Risiko“, sagt die Bundespolizistin. Ob es am Samstag mit Edelmetall belohnt
       wird? Bereits am Freitag startet der Wettbewerb mit den ersten beiden
       Läufen um 9.45 Uhr, am Samstag folgt dann die Entscheidung.
       
       19 Feb 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus-Eckhard Jost
       
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