# taz.de -- Begegnungen I Die Bühne für Menschenrechte ist mit den „Asyl-Dialogen“ sehr erfolgreich. Ihr Ziel: das Publikum politisieren: „Wir sehen unsere Arbeit als Hommage“
       
 (IMG) Bild: Geschichten der Begegnung, die zum Nachmachen inspirieren sollen: Die Asyl-Dialoge gibt es auch auf dem taz.lab zu sehen
       
       Interview Mareike Barmeyer, Luis Willis und Sophie Fedrau
       
       taz: Herr Ruf, es gibt unglaublich viele Formate zur Auseinandersetzung mit
       dem Flüchtlingsthema. Was kann Ihr Theater, was andere nicht können? 
       
       Michael Ruf: Wir versuchen dem Thema menschliche Gesichter zu geben. Schon
       seit 2011 verbreiten wir geradlinig die Erzählung von Geflüchteten; alles
       ganz puristisch. Wir erzählen diese Geschichten so, wie sie wirklich
       passiert sind. Ohne etwas dazuzudichten oder sprachliche Veränderungen
       vorzunehmen. Wir erzählen die Biografien von Geflüchteten. Erst mit den
       Asyl-Monologen, jetzt eben mit den Begegnungsgeschichten zwischen Menschen
       mit und ohne Fluchterfahrung, in den Asyl-Dialogen.
       
       Woher haben Sie die Geschichten? 
       
       Michael Ruf: Für die Asyl-Dialoge haben wir rund dreißig Vorinterviews
       geführt, uns für drei Geschichten entschieden. Der Kontakt mit den
       Geflüchteten kam meist über NGOs zustande. Es war natürlich hilfreich, dass
       man uns durch die Asyl-Monologe schon kannte. So konnten wir mit Menschen
       reden, an die wir sonst nicht einfach so herankommen würden.
       
       Und wer erzählt die Geschichten? Die Flüchtlinge selber? 
       
       Michael Ruf: Unsere „realen Protagonisten“ haben ein Leben, das es zu
       bewältigen gilt: sie haben Kinder, um die sie sich kümmern. Sie haben ein
       Studium, das es zu meistern gilt. Oder sie kämpfen um einen sicheren
       Aufenthalt. Wir arbeiten mit professionellen SchauspielerInnen. Natürlich
       achten wir auch auf diversity im Ensemble, aber es sind jetzt nicht per se
       Menschen mit eigener Fluchterfahrung. Stellvertreter erzählen die
       Geschichten, die uns in den Interviews anvertraut worden sind. Wir nennen
       das wortgetreues oder wortwörtliches Theater. Alles was die Schauspieler
       auf der Bühne sagen, wurde uns auch genau so in den Interviews erzählt.
       
       Das hat offenbar einen enormen Echtheitsanspruch. Aber die Geschichten von
       Schauspielern erzählen zu lassen – ist auch irgendwie ein Bruch? 
       
       Michael Ruf: Natürlich. Es ist ein Stellvertreterprinzip. Es wäre etwas
       anderes, wenn Geflüchtete ihre Geschichte selbst erzählen würden. Das ist
       klar. Ein entscheidender Vorteil des Stellvertreterprinzips ist aber, dass
       das Publikum dadurch eine gewisse Distanz wahren kann. Wenn die
       Geflüchteten selbst sprechen, begibt man sich als Zuhörer schnell in eine
       Mitleidsposition.
       
       Schaffen Sie es trotzdem, das Publikum zu erreichen? 
       
       Michael Ruf: Wir glauben an die Stärke einer Inszenierung, an die
       Fähigkeiten von Schauspielern, uns zu berühren. Wir glauben, dass wir
       Menschen erreichen können, wenn wir über die Realität sprechen und uns
       dabei bestimmter Ausdrucksformen bedienen: dem bewussten Einsatz der
       menschlichen Stimme oder der Formung des Texts anhand dramaturgischer
       Prinzipien. Wir sehen unsere Arbeit als Hommage – und unsere Protagonisten
       reagieren mit Stolz.
       
       Ihre Bühne für Menschenrechte ist ja deutschlandweit engagiert. 
       
       Michael Ruf: Wir haben ein Netzwerk aus SchauspielerInnen in ganz
       Deutschland. Regionale KünstlerInnen bringen das Stück in der jeweiligen
       Stadt auf die Bühne. Das ist ein ständig wechselndes Ensemble. In England
       habe ich die „actors for human rights“ kennen gelernt, die machen eine sehr
       ähnliche Arbeit. Dort ist ein Netzwerk von mittlerweile 700 Schauspielern
       und Musikern entstanden, und auch dort wird mit wortgetreuem Theater
       gearbeitet. Für mich war das die Motivation zu sagen: Wieso sollte so ein
       Projekt nicht auch hierzulande funktionieren?
       
       Haben Sie gute Resonanzen – was sagt Ihr Publikum? 
       
       Michael Ruf: Zuschauer berichten häufig von ihren Aha-Erlebnissen. Auch
       Leute, die sich schon ein Stück weit mit dem Thema beschäftigt haben,
       sagen, sie hätten nicht gedacht, dass so die Situation von Asylsuchenden in
       Deutschland aussieht. Viele fragen: Ist das wirklich so, und wenn ja, wie
       kann das sein, dass ich so eine Schilderung bisher wirklich noch nie gehört
       habe?
       
       Sarah Dziedzic: Oft sagen uns Leute nach unseren Aufführungen: „Wow, ich
       musste mich immer wieder selbst daran erinnern, dass es echte Geschichten
       sind. Es war mir überhaupt nicht bewusst, dass so etwas wirklich passiert.“
       
       Michael Ruf: Oder dass so etwas in Deutschland stattfindet. Wir legen aber
       auch Wert darauf, dass die Geschichten, die wir erzählen, menschlichen
       Charakter besitzen. Die geflüchteten Menschen erzählen, wie sie aufwachsen,
       wie sie sich verliebt haben, wie sie geheiratet und Kinder bekommen haben.
       Alles, was mit Flucht und Asyl nichts zu tun hat. Wenn andere zum Thema
       arbeiten, bleibt oft auf der Strecke, dass Flüchtlinge normale Menschen
       sind, die irgendwann zu Geflüchteten werden. Die Leute in all ihrer
       Normalität kennen zu lernen ermöglicht dem Publikum, sich mit den
       Heldengeschichten, die wir erzählen, zu identifizieren.
       
       Und der Kontakt zum Publikum? 
       
       Michael Ruf: Es ist ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit, dass es fast
       immer ein Publikumsgespräch nach den Auftritten gibt.
       
       Sarah Dziedzic: Meist sind zwei AktivistInnen oder ExpertInnen anwesend,
       die Fragen des Publikums beantworten. Mit den lokalen AktivistInnen können
       wir dann auch nochmal die Brücke schlagen zu den Ereignissen und
       Diskussionen in der jeweiligen Stadt.
       
       Ist das Stück also auch ein Appell an die Zuschauer, sich aktiver zu
       beteiligen? 
       
       Michael Ruf: Das ist genau unser Ziel. Dass es zu einer Aktivierung des
       Publikums kommt, dass die Leute sofort niederschwellige
       Einstiegsmöglichkeiten geschildert bekommen. Die Geschichten sollen
       durchaus inspirieren zum politischen Nachmachen. Es sind auch keine groß
       theoretischen Diskussionen, die nach dem Stück geführt werden. Es geht ganz
       konkret darum: Welche Gruppen gibt es? Was machen die? Wann und wo treffen
       die sich? Was kann man da machen? Diese Geschichten nur zu erzählen wäre
       ein Luxus. Es geht aber eben darum, dass die Leute aktiv werden.
       
       Wollen Sie die Asly-Dialoge sehen und hören? Kommen Sie am 2. April zum
       taz.lab nach Berlin.
       
       30 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mareike Barmeyer
 (DIR) Luis Willis
 (DIR) Sophie Fedrau
       
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