# taz.de -- Hausbesuch Sie sind jung, sie sind offen, sie sind neugierig auf das andere: Deshalb haben sich Elena Smith und Edris Taha-Joya in Tübingen gefunden. Heute lebt jeder mit der Sprache des anderen – und in ihr: Hilft Sprache nicht mehr, hilft nur Liebe
       
 (IMG) Bild: Elena Smith und Edris Taha Joya, ein junges Paar aus Tübingen, das Zugang zu vielen Kulturen hat
       
       von Mortaza Rahimi (Text) und Boris Schmalenberger (Fotos)
       
       Zu Besuch bei Elena Smith (20) und Edris Taha-Joya (22) in Tübingen. Das
       deutsch-afghanische Paar lebt in einer kommunikativen Zwischenwelt.
       
       Draußen: Ein Mehrfamilienhaus am Rand von Tübingen, weiße Wände, saubere
       Straßen, gerade Bäume. Nur die Haustüren sind bunt.
       
       Drinnen: Direkt gegenüber der Wohnungstür steht der Schreibtisch von Edris
       und Elena. Magazine und Briefe liegen darauf, auch eine Porzellanfigur von
       zwei Vögeln. An den Wänden kleben Bilder und Zeitungsartikel, die Wohnung
       wirkt wie ein Büro. Neben einer Tür hängen drei Zeichnungen von
       afghanischen Frauen in Tracht. Elena hat die Bilder gemalt.
       
       Wer ist wer? 
       
       Elena Smith sagt, sie sei halb Österreicherin, halb Engländerin, aber in
       Deutschland geboren und also qua Geburt mit mehreren Identitäten und zwei
       Sprachen vertraut. Als sie sich vor vier Jahren in Edris Joya verliebte,
       begann sie sofort, auch Dari zu lernen. Es ist Edris’ Muttersprache. „Man
       zendegi ra doost daram“ – ich liebe das Leben, sagt sie. Seit September
       2015 arbeitet sie beim Roten Kreuz als Flüchtlingshelferin. Ihr Studium der
       Politik und Orientwissenschaft hat sie dafür unterbrochen.
       
       Edris Taha-Joya ist Hazara – es ist eine unterdrückte Minderheit in
       Afghanistan. Er wurde in Kabul geboren. Dort arbeitete er als Journalist
       und geriet dabei ins Visier der Taliban. Er flüchtete und lebt seit sechs
       Jahren als Flüchtling in Deutschland. Seit September 2015 arbeitet auch er
       beim Roten Kreuz.
       
       Minderheit sein: Weil er zu einer Minderheit gehört, meint er, bringe er
       schon aus seiner Heimat Fragen nach der Identität mit: „Wer bin ich? Woher
       komme ich? Wo ist mein Platz in der Gesellschaft?“ Ständig habe er in
       Afghanistan beweisen müssen, dass seine Herkunft keine Schande ist. „Und in
       Deutschland ist das auch so.“
       
       Zusammenfinden: Vor fast vier Jahren lernten sich Elena und Edris in einer
       politischen Jugendgruppe kennen. „Wir wussten vom ersten Moment, dass wir
       zusammengehören“, sagt Elena. Edris nickt. Danach gingen sie ein paarmal
       aus, ins Theater, Kaffee trinken und so. „Manchmal wundern wir uns, wie wir
       trotz Tausender Kilometer, die einmal zwischen uns lagen, zusammengefunden
       haben“, sagt sie.
       
       Braucht Liebe eine Sprache? 
       
       Wenn man frisch verliebt ist und die Herzen sich intuitiv verstehen, meint
       Elena, braucht es nicht unbedingt Sprache dazu. „Doch je länger man
       zusammen ist, desto mehr Probleme und Konflikte entstehen im Alltag, die
       einer sprachlichen Klärung bedürfen.“ Und Edris sagt: „Hilft Sprache nicht
       mehr, hilft nur noch Liebe.“
       
       In fremden Sprachen leben: 
       
       Das sei schon Wahnsinn, wie sich durch eine neue Sprache das Denken und der
       Blick auf die Welt verändern. Rechte für Frauen zum Beispiel oder
       Gerechtigkeit, das seien in Kabul keine Themen gewesen, sagt Edris.
       „Manchmal verändert sich durch die neue Sprache und die andere Perspektive
       sogar der Charakter.“ Heute regt es ihn auf, wenn Leute Abfall einfach
       fallen lassen. „Ich fange an, deutsch zu werden.“ Und Elena meint, dass sie
       mittlerweile das Gefühl habe, Afghanistan allein durch die Sprache zu
       kennen, obwohl sie noch nie dort war. „Dari ist so voller Gefühl.“
       
       Missverständnisse: Ja, die gebe es. Die ziemlich komplizierte afghanische
       Höflichkeitsregel namens Tarof, die das Geben und Nehmen betrifft, habe
       etwa dazu geführt, dass Edris bei Elenas Eltern schon auch mal hungrig
       blieb. Denn aus Afghanistan kennt er das so: Wenn ein Gast eine zweite
       Portion angeboten bekommt, sagt er Nein, auch wenn er noch hungrig ist.
       Daraufhin füllt der Gastgeber – unter vehementen Einsprüchen des Gastes –
       dessen Teller trotzdem erneut. Bei Elenas Eltern, wurde das „Nein danke“
       plötzlich wörtlich genommen. Aber Edris lernte schnell: Nachschlag lehnt er
       seither nicht mehr ab. Umgekehrt bekam Elena wegen Tarof auch schon
       Bauchschmerzen, weil sie aus Höflichkeit nicht aufhörte zu essen.
       
       Was tut weh? Es gab Situationen, wo Elenas Bekannte sagten: „Der sieht gar
       nicht wie ein Afghane aus, der hat keinen Bart, keinen Turban!“ Positiver
       Rassismus sei das, „aber ich will nicht immer beweisen müssen, dass ich ein
       guter Mensch bin, trotz meiner Herkunft“, sagt Edris. Sein Land habe mehr
       zu bieten als Stereotype. Elena wiederum findet es gar nicht gut, wenn
       Afghanen zu ihr sagen, sie sei schon eine richtige Afghanin. „Natürlich ist
       das als Kompliment gemeint, auch weil ich die Sprache nun gut beherrsche.
       Aber manchmal hört es sich so an, als könne man als europäische Frau keine
       so guten Eigenschaften haben.“
       
       Als Flüchtling für Flüchtlinge: Edris Joya flüchtete vor sechs Jahren aus
       Afghanistan. Damals brauchte er Unterstützung, um in Deutschland Fuß fassen
       zu können. Jetzt hilft er Flüchtlingen. „Ich kann ihnen das Gefühl geben,
       willkommen zu sein. Mir hat das damals gefehlt.“
       
       Als Europäerin für Flüchtlinge: Mut schlage Verzweiflung, Freundschaft
       schlage Ungewissheit und Stärke schlage Schmerz. Soll heißen: Wenn sich die
       Flüchtlinge angenommen fühlen, kann das Schlimme, das sie erlebten,
       schwächer werden, obwohl es präsent ist. „Fast alle sind psychisch extrem
       belastet: Angst vor Abschiebung, der Verlust der Heimat und des alten
       Lebens, oft auch der Tod geliebter Menschen.“ Immer wieder wollen die
       Menschen ihre Geschichte erzählen. „Und wenn ich höre, wie Leute sich zu
       Fuß über Berge schleppen und in winzigen Gummibooten über das Meer
       flüchten, werde ich manchmal wütend, dass ihnen der Weg so schwer gemacht
       wird.“
       
       Traurige Geschichten: Am Anfang nahm es Elena mit, die schlimmen
       Geschichten der Flüchtlinge zu hören: Der Mann, der bei der Registrierung
       erzählt, dass seine Frau in Syrien starb. „Ich wusste nicht, was sagen.“
       Oder die fünf alleinstehenden Kinder, die plötzlich da saßen. Auf der
       Flucht hatten sie ihre Eltern verloren. Oder die Geschichte der jungen
       Frau, die wirr redete und kaum ansprechbar war. In Afghanistan waren
       IS-Kämpfer in ihr Haus eingedrungen und nahmen den Vater mit. Als dieser
       sich befreien konnte, flüchtete die Familie. „Mittlerweile schaffe ich es,
       nicht alles so nah an mich ran zu lassen.“ Edris meint, dass man nicht aus
       den Augen verlieren dürfe, dass sich in diesem Alltag Politik spiegelt.
       
       Und wie finden sie Merkel? 
       
       „Wir schaffen es“, sagen sie.
       
       Mortaza Rahimi,25, war Journalist in Afghanistan. Nach Todesdrohungen der
       Taliban flüchtete er 2011 nach Deutschland. Mehr über ihn auf:
       http://journalistsinexile.com/author/mortaza
       
       6 Feb 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mortaza Rahimi
       
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