# taz.de -- „Alle Reserven aufgebraucht“
       
       > Überlastung Auf den Krankenscheinen von Arbeitnehmern steht immer öfter
       > Burnout. Die Hamburger Behörde für Gesundheit hat für Betroffene nun eine
       > eigene Beratungsstelle geschaffen. Sich einzugestehen, dass man
       > überfordert ist, ist gerade für Chefs ein Problem
       
 (IMG) Bild: Kann zu Depressionen führen: zu viel Stress, Lärm und Enge am Arbeitsplatz. Hamburg hat deshalb eine neue Beratungsstelle für ArbeitnehmerInnen eingerichtet  
       
       von Nils Reucker
       
       Auf dem Weg zum Büro habe er sich gewünscht, dass ihm etwas zustößt. „Ein
       Verkehrsunfall vielleicht“, sagt Jürgen Bauer* – „irgendwas, damit ich
       nicht zur Arbeit musste.“ Der Diplom-Ingenieur wollte im Job perfekte
       Ergebnisse liefern, setzte sich immer mehr unter Druck. „Irgendwann konnte
       ich nicht mehr schlafen, nicht mehr aufstehen“, sagt er. „Ich hatte das
       Gefühl, dass das Haus über mir zusammenbricht.“
       
       Weil immer mehr Arbeitnehmer wie Bauer unter dem Burnout-Syndrom leiden,
       hat die Hamburger Gesundheitsbehörde nun zusammen mit der Sozialbehörde
       eine neue Beratungsstelle eingerichtet. Die „Perspektive Arbeit und
       Gesundheit“ (PAG) soll eine Anlaufstelle für Hilfesuchende sein und
       kostenlose Beratungen rund um die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz
       bieten.
       
       Dass eine solche Anlaufstelle längst überfällig war, belegen die Zahlen des
       Gesundheitsreports der Krankenkasse DAK: Demnach gehen in Deutschland etwa
       17 Prozent der Arbeitsunfähigkeitstage auf psychische Belastungen am
       Arbeitsplatz zurück. In Hamburg selbst sind es sogar 22 Prozent. Oft werden
       Betroffene auch in den vorzeitigen Ruhestand versetzt – die Quote der
       Rentenneuzugänge aufgrund psychischer Probleme beträgt 43 Prozent .
       
       Trotzdem werden die Symptome in der Öffentlichkeit oft nicht ernst genommen
       und auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat das Burnout-Syndrom
       bisher nicht in die Liste anerkannter Krankheiten aufgenommen. Was genau
       ist also dieses Syndrom, das immer häufiger der Grund für langfristige
       Krankschreibungen ist?
       
       „Burnout ist eine aktuell sehr weit verbreitete Diagnose, hinter der sich
       aber oft andere Krankheiten verbergen“, sagt der Mediziner Hans-Georg
       Bredow von der Gemeinschaftspraxis Neurologie Neuer Wall in Hamburg. „Ob
       soziale Probleme, Mobbing oder schlichte Überforderung – an erster Stelle
       ist immer an Depression zu denken“, sagt er. Burnout bedeute, dass „alle
       Reserven aufgebraucht“ seien und schon der Gedanke an Arbeit ein
       Überforderungsgefühl, Erschöpfung oder ein Vermeidungsverhalten auslöse.
       
       ## Alte Rollenbilder belasten Arbeitnehmer
       
       Betroffen sind sowohl Frauen als auch Männer. Zugrunde liegt immer das
       gleiche Schema: „Das Problem liegt am etablierten Rollenbild in unserer
       Gesellschaft“, sagt Michael Gümbel, Projektleiter der neugeschaffenen
       Anlaufstelle. „Wenn die Erwartungen eines engen konservativen
       Geschlechterrollenbildes nicht mit der Leistung übereinstimmen, entstehen
       Belastungen“, sagt er.
       
       So sei es für Manager belastend, wenn sie ihrer Rolle als starke
       Persönlichkeit nicht gerecht werden könnten. Ebenso ergehe es aber
       beispielsweise auch Frauen in Pflegeberufen, die in ihrem Job ständig
       verfügbar sein müssten und irgendwann des Zuhörens überdrüssig würden, sagt
       Gümbel. In vielen Fällen sei schlicht die Arbeitsverdichtung zu hoch.
       
       Die Schutzreaktionen der Betroffenen reichten von Verdrängung bis hin zur
       Medikamenteneinnahme, um Symptome, wie Schlaflosigkeit oder Panikattacken,
       zu unterdrücken. Am Ende stehe nicht selten der Suizid.
       
       „Krankwerden-dürfen und Scheitern-dürfen kann ein Vorteil sein“, sagt
       Gümbel. Führungskräfte dürften das aber oft nicht. Andererseits könnten
       geringer qualifizierte Beschäftigte nicht so leicht die Arbeitsstelle
       wechseln, um eine echte Entlastung zu erreichen.
       
       Für den rasanten Anstieg an Erkrankten in den letzten Jahren lassen sich
       mehrere Gründe finden: Zum einen wird durch den Mediendiskurs ein größeres
       Bewusstsein über die Erkrankung geschaffen. Das motiviert Betroffene, sich
       Hilfe zu holen. So werden Fälle registriert, die vor mehreren Jahren
       unbehandelt geblieben wären.
       
       Zum anderen kann durch den Anstieg der Arbeitsunfähigkeitstage von 120
       Prozent innerhalb von zehn Jahren von einer tatsächlichen Zunahme der
       Belastung am Arbeitsplatz ausgegangen werden – das zumindest besagt der
       Gesundheitsreport 2015 der Krankenkasse BKK.
       
       Der durch Arbeitsverdichtung ausgelöste Stress im Zusammenspiel mit zu
       flachen Hierarchieebenen führe leicht zu Orientierungslosigkeit, sagt
       Gümbel. Zudem gebe es in den meisten Betrieben keinen Ansprechpartner, an
       den sich Mitarbeiter wenden könnten, wenn sie sich überfordert fühlten.
       
       Bisher sei das Thema Burnout nicht enttabuisiert – daran habe auch die
       große öffentliche Aufmerksamkeit nichts geändert: „Der Schritt, sich selbst
       einzugestehen, dass es so nicht mehr weitergeht, ist immer noch ein sehr
       schwieriger“, sagt Gümbel. Vor allem in Führungspositionen käme das
       Eingeständnis einer zu hohen Belastung immer noch einem völligen Versagen
       gleich. Hier setzt die Beratungsstelle an: Sie möchte Betroffene in erster
       Linie ermutigen, ihre Scham zu überwinden.
       
       ## Burnout oft kleingeredet
       
       Aber auch mit einer Therapie sei der Weg bis zur Genesung langwierig und je
       nach Person und Bedürfnissen unterschiedlich. „Ein Patentrezept gibt es
       nicht“, sagt Neurologe Bredow. Es gebe jedoch Punkte, die zu einer
       nachhaltigen Besserung der Situation führten: Ganz wichtig sei es, den
       Optimismus nicht zu verlieren und sich in seiner Lage zu akzeptieren. Der
       ständige Drang nach Verbesserung führe nur zu mehr Stress. Zudem sollten
       Betroffene in ein verständnisvolles Umfeld aus Familie und Freunden
       eingebettet sein, sagt Bredow.
       
       Auch Bauer hat der Rückhalt seiner Familie dabei geholfen, gesund zu
       werden. Er machte eine Therapie und eine Kur. „Es war für alle eine
       Belastung, aber meine Erkrankung wurde nie in Frage gestellt“, sagt er. Von
       Bekannten aus den Therapiegesprächen weiß er, dass das auch anders laufen
       kann: „Oft wird mit Unverständnis reagiert“, sagt er. Meist hätten die
       Betroffenen nicht nur Probleme am Arbeitsplatz, sondern auch das Umfeld
       nehme die Überlastung nicht richtig ernst. „Das wird schnell kleingeredet“,
       sagt der Familienvater.
       
       Dabei sollte das Wohlergehen der Angestellten zumindest im Interesse eines
       jeden Arbeitgebers liegen. Die sogenannte Sorgfaltspflicht ist sogar im
       Bürgerlichen Gesetzbuch verankert. Gümbel fordert deshalb, dass Arbeitgeber
       etwas gegen akuten Personalmangel unternehmen, um die Mitarbeiter zu
       entlasten.
       
       Von Stressmanagement-Methoden hält der Leiter der Beratungsstelle nichts:
       „Stressmanagement beseitigt nicht die Ursachen und kann sogar zu mehr
       Stress führen“, sagt er. „Wenn man feststellt, dass es nicht funktioniert,
       werden von den Betroffenen schnell wieder Rückschlüsse auf die eigene
       Leistungsfähigkeit gezogen.“
       
       Ingenieur Bauer kann seit der Therapie seine körperlichen und seelischen
       Warnzeichen deuten: „Ich merke, wann es nicht mehr geht.“ Wenn er spüre,
       dass er überlastet sei, ziehe er sich aus der Arbeit heraus. „Das ist nicht
       leicht nach 20 Jahren im Beruf.“
       
       Der psychische Druck, der Bauer depressiv gemacht hat, kam nicht von seinen
       Chefs, sondern von ihm selbst. „Ich habe mir selbst zu hohe Ansprüche
       gestellt“, sagt er. „Die Kollegen hatten ja die gleichen Probleme, aber die
       konnten einfacher mal was beiseiteschieben.“ Auch jetzt noch falle es ihm
       schwer, auch einmal Nein zu sagen. „Daran muss ich auf jeden Fall
       arbeiten“, sagt er. „Aber zumindest habe ich akzeptiert, dass ich einfach
       nicht alles schaffen kann – und das ist auch in Ordnung so.“ 
       
       *Name geändert
       
       30 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nils Reucker
       
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