# taz.de -- Willkommen zum Knochenbrecherkarneval
       
       > Streif-Licht Das Hahnenkammrennen, Mekka der Alpin-Hasardeure, scheint
       > durch eine Ausreizung der Möglichkeiten selbst die besten Rennfahrer zu
       > überfordern: Zwei Österreicher stürzen schwer. Auch für den Norweger
       > Aksel Lund Svindal ist die Saison vorbei
       
 (IMG) Bild: Knie kaputt: Hannes Reichelt, ein Opfer der Streif, wird mit einem Hubschrauber abtransportiert
       
       von Johann Skocek
       
       Aksel Lund Svindal war noch nicht auf der pickelharten Rennpiste von
       Kitzbühel aufgeschlagen, da schlug das heroische Jubelgekreische der
       TV-Kommentatoren in Betroffenheitsgekeuche um. Im Zielraum wandte sich der
       Präsident des Österreichischen Skiverbandes, Peter Schröcksnadel, ab, er
       konnte nicht mehr zusehen. Auf der Abfahrt von der Kitzbüheler Streif, dem
       „gefährlichsten Skirennen der Welt“ und wie die Selbstlobeshymen alle
       heißen, hatte es an derselben Stelle den dritten Eliterennfahrer
       zusammengedrückt, ausgehoben, auf die Piste gedroschen und in den Zaun
       gewichst. Georg Streitberger (Riss vorderes Kreuzband, äußerer Meniskus)
       und Aksel Lund Svindal (vorderes Kreuzband, äußeres, inneres Seitenband,
       Meniskus gerissen) müssen die Saison vorzeitig beenden, Hannes Reichelt
       (Knochenprellung im Knie) wahrscheinlich ebenfalls.
       
       Der Skirennsport frisst seine Kinder – besonders in den „Speed-Disziplinen“
       Abfahrt und Super G. Die Saison hatte noch nicht begonnen, da zerfetzte
       sich die beste Rennläuferin der Welt, Anna Fenninger, alle Bänder in einem
       Knie und die Patellasehne. Mikaela Shiffrin (USA, Seitenbandriss,
       Knochenprellung), Kombinations-Olympiasieger Sandro Viletta (Schweiz) und
       Abfahrtsweltmeister Patrick Küng (Schweiz, Schmerzen in der Patellasehne)
       beendeten wie Olympiasieger Matthias Mayer (Österreich, Wirbelbruch) die
       Saison. Der in Kitz gestürzte Georg Streitberger leidet an einem
       Bandscheibenvorfall, sein Kollege Patrick Schweiger an zwei, sie werden mit
       Infiltrationen fit gehalten.
       
       Weitere österreichische Opfer des heurigen Winters: Joachim Puchner
       (Patellasehne), Kerstin Nicolussi (Kreuzbandriss), Elisabeth Kappaurer
       (Knorpelverletzung), Thomas Mayrpeter (Kreuzbandriss), Markus Dürager
       (Schien-, Wadenbeinbruch). ÖSV-Star Marlies Schild trat im Sommer ab, sie
       musste zehn Operationen und einen Trümmerbruch von Schien- und Wadenbein
       über sich ergehen lassen, ihre Wirbelsäule ist destabilisiert.
       
       Der wie stets oberflächliche Hinweis des Promi-Zaungasts und
       Formel-1-Weltmeisters Niki Lauda, „die Burschen wissen, worauf sie sich
       einlassen“, führt auf zynische Art in die Irre. „Die Burschen“ müssen
       nämlich darauf vertrauen können, dass sie nicht auf Strecken gelassen
       werden, auf denen wie in Kitzbühel tückische Fallen lauern.
       
       All das erinnert an das Schweige- und Verharmlosungskartell der National
       Football League in den USA. Die NFL leugnete viele Jahre lang, die im Spiel
       erlittenen Stöße gegen Körper (Wirbelsäule!) und Kopf würden krank machen.
       Mittlerweile wurde die chronische traumatische Enzephalopathie als Todes-
       und Demenzursache definiert. Diese krankhafte Veränderung des Gehirns wird
       durch wiederholte Erschütterungen hervorgerufen und gleicht dem Trauma der
       Boxer, Dementia Pugilistica, oder faustkämpferischem Parkinson, an dem
       Muhammad Ali leidet.
       
       Die Lebenserwartung der Ex-Football-Profis liegt unter 59 Jahren. Hunderte
       Exprofis haben gegen die NFL geklagt. Die Football-Industrie kämpft mit
       Schwund von Beliebtheit und Nachwuchs. Brutalität fasziniert freilich, wie
       im Skirennsport, das Publikum. Wieder und wieder senden TV-Sender die
       Bilder der grauslichsten Stürze. Aggressive Skier, Geschwindigkeitswahn auf
       eisigen Pistenautobahnen und Sensationslust ließen den romantisch
       verklärten Sport von Anton Sailer und Franz Klammer zum
       Knochenbrecherkarneval verkommen.
       
       Erhöhen Helme, Airbags, Plastikpanzer, Zäune und Sturzräume die Sicherheit
       oder dienen sie als Vorwand für noch „spektakulärere“ Fahrten? Ende
       Dezember rasten sie in Santa Caterina mit bis zu 150 km/h durch den Nebel.
       Nehmen die auch Todesopfer in Kauf?
       
       Verklärt werden die Zustände durch Machwerke wie den Film „Streif – One
       Hell of a Ride“. Das Marketingvehikel von Red Bull diente im ORF zur
       Einstimmung auf das Ski-Helden-Wochenende, sämtliche Klischees von
       „Survival of the Fittest“ bis zum „Sieg des Menschen über die Natur“
       inklusive. Das Rennen in Kitzbühel wurde abgebrochen, als ausreichend
       Rennläufer im Ziel waren, um es für den Weltcup werten zu können.
       
       ÖSV-Präsident Schröcksnadel sagte nachher, er habe zu einem früheren
       Zeitpunkt ein Ende verlangt. Eine typische Schröcksnadel-Finte. Es steht
       ihm nämlich nicht zu, vom Zielraum den Rennverlauf zu beeinflussen. Aber er
       sollte gefälligst in der FIS, dem Ski-Weltverband, dafür sorgen, dass die
       Gesundheit der ihm Anvertrauten nicht durch skandalöse Pisten gefährdet
       wird. Doch weniger gefährliche Spektakel würden möglicherweise den Profit
       von Veranstaltern wie in Kitzbühel schmälern.
       
       25 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Johann Skojek
       
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