# taz.de -- Lieber Klamauk als Pseudotiefe
       
       > Startschuss Das Maxim Gorki beginnt das neue Jahr mit dem experimentellen
       > Format „Theater ist endlich ist Theater“
       
       Neujahr ist ein guter Tag, um Neues zu wagen, müssen sich Autorinnen,
       Regisseure und Schauspieler des Maxim Gorki Theaters gedacht haben. So
       verabredeten sie sich am 1. Januar mit dem Publikum an der Bar, um
       nachzudenken: Was wollen wir 2016 auf der Bühne sehen? Aus diesem kreativen
       Stelldichein resultierte ein Set aus Sätzen und Skizzen, die über Nacht in
       sieben Miniaturen festgehalten und in weniger als 24 Stunden inszeniert und
       geprobt, am Samstagabend auf der Studio-Bühne des Gorki zu sehen waren.
       
       ## Unter Freunden
       
       Im überfüllten Raum des Studios trafen das Ensemble des Gorkis und seine
       Anhänger aufeinander. Der gemeinsame Umtrunk ist dabei ebenso zentral wie
       der Spaß an der Sache „Theater“. Schließlich gibt es diesbezüglich einiges
       zu feiern: das Experimentelle, das Spontane und Unmittelbare der Bühne, das
       sich nicht zuletzt aus einer konstanten Unabgeschlossenheit speist.
       „Theater ist Endlich ist Theater“ heißt dementsprechend das Format unter
       der Leitung von Necati Öziri. Das ist je nach Betonung eine Ansage an die
       Begrenztheit der Möglichkeiten auf der Bühne oder aber eine Hommage an die
       Spannung, mit der vor und auf der Bühne der Moment erwartet wird, in dem
       diese Grenzen vergessen gehen.
       
       Aber wer sich auf die Fahnen schreibt, die Relevanz des Theaters zu
       diskutieren, von dem wird auch erwartet, dass er darüber hinausgehende
       Fragen umkreist: Was geht uns, das Publikum, das Geschehen auf der Bühne
       an? Wie sollen sie, die Theaterschaffenden, uns erreichen? Und wie
       positionieren sie sich dazu? Dementsprechend zieht das Selbstreflexive sich
       als roter Faden durch alle sieben Stücke des Abends.
       
       Besonders virtuos wird das aufgezeigt in Olivia Wenzels Kurzstück „2170_
       MAY & FITZ“, von Sahba Sahebi in Szene gesetzt. Wir hören Falilou Seck und
       sehen Fatma Soaud beim Träumen zu. Die Konstellation zwischen den beiden
       bleibt so flüchtig wie die surrealen Bilder, die sie abrufen: Erhalten wir
       Einblick in die vertraute Fremdheit eines gealterten Liebespaars – oder
       bloß in gegenseitige Regieanweisungen? Das Spiel mit den Elementen des
       Theaters wird dabei auch mit einfachen Bühnentricks untermalt: etwa einem
       Blatt Papier vor dem Gesicht und der Frage „Kannst du mich sehen?“. Ähnlich
       markiert später in „What a Start“ von Barbara K. Anderlič (Regie: Miriam
       Horwitz) ein Stück Klebeband auf dem Bühnenboden die gefühlte Distanz eines
       Paares.
       
       Um das Demaskieren von Illusionen und alltäglichen Inszenierungen geht es
       auch in „This is not happening“ (Marijana Verhoef/ Serkan Öz). Wie Mateja
       Meded als „Maike from The Netherlands“ auf verzweifelter Suche nach einer
       Bleibe in Berlin mit vollem Körpereinsatz über die Bühne hampelt, sorgt für
       viel Gelächter.
       
       ## „Lieber laut als Inhalt“
       
       Ebenso mitreißend: „Germania 6“ von Ludwig Haugk, angekündigt als Probe zu
       einem verschollenen Text von Heiner Müller, ist eine satirische Abrechnung
       mit Pathos und Klischees auf der Bühne. Der Regisseur Christian Weise hat
       sich dabei im Kitsch bequem eingenistet und dirigiert mit heiligem Ernst
       seine bewegten Karikaturen: Lea Draeger als hysterische Madonna, Aleksandar
       Radenković als verkopfter Dichter und Paul Wollin als muskelspielender
       Arbeiter. Dessen eingeschobene Eisbären-Pantomime, gefolgt von langwierigen
       Betrachtungen über den Monolog vor dem eigentlichen Monolog, gehört zu den
       stärksten Momenten des Abends: Selbstreflexion des Theaters, so weit ins
       absurde Abseits getrieben, dass dem Zuschauer nur noch das Lachen bleibt.
       
       Karikatur und eine gehörige Portion Klamauk, davon leben zwei weitere
       Stücke, Olga Grjasnowas Terrorcamp-Persiflage „Die Hamas“ und „Happiness is
       a skill“ von Justine del Corte. Hier wird das Sammelsurium an
       Zuschauerstimmen noch einmal geballt zu einem ins Leere laufenden Dialog,
       den ein Paar beim Liebesspiel herausstöhnt. Er sagt etwa: „Am besten, man
       macht was ohne Inhalt, dann hat man zumindest nicht diese Pseudotiefe“.
       Sie: „Lieber laut als Inhalt!“ Diese Sätze lassen sich programmatisch auf
       den Abend ummünzen: Die entstandenen Stücke sind lebendig, energievoll und
       vor allem urkomisch.
       
       Auffallend ist allerdings, dass alle Stücke viel eher das thematisieren,
       was Theater nicht sein soll, als das, was es sein könnte. Wenn sich die
       Theatermacherinnen über ein buntes Bündel gängiger Bühnenklischees
       schlussendlich über das eigene Bemühen, einen sinnstiftenden Beitrag zu
       leisten, lustig machen, bewahrt es sie vor Heimpublikum auch vorauseilend
       vor dem Scheitern. Dabei wäre Neujahr doch ein guter Tag, um Neues zu
       wagen.
       
       Mirja Gabathuler
       
       4 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mirja Gabathuler
       
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