# taz.de -- Brandstiftung Im Schnitt klärt die Polizei jeden zweiten Fall auf. Außer es brennt bei Flüchtlingen: Viele Unbekannte
       
       von Giacomo Maihofer
       
       Escheburg, ruhige Verkehrsstraßen, viel Grün. 3.300 Menschen wohnen hier,
       nur eine halbe Autostunde von Hamburg entfernt. Am 9. Februar 2015 brennt
       in der beschaulichen Schlafstadt eine der ersten Flüchtlingsunterkünfte in
       diesem Jahr in Deutschland. Ein Doppelhaus, noch unbewohnt. In der nächsten
       Woche sollten sechs junge Flüchtlinge aus dem Irak einziehen.
       
       Kim-Alexander M. wohnt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern im
       Nachbarhaus. Er ist Finanzbeamter, 39 Jahre alt. Gemeinsam mit einigen
       Anwohnern ist er Stunden zuvor zum Amt Hohe Elbgeest gefahren, das für die
       Verteilung der Flüchtlinge in der Region zuständig ist. Sie stürmen das
       Büro der Amtsleiterin, protestieren gegen die Unterbringung der sechs
       Männer. Vergebens.
       
       Am Abend geht M. mit einem Kanister mit Pinselreiniger zum Haus und setzt
       es in Brand. Er wird schnell gefasst, DNA-Spuren überführen ihn. Vor dem
       Landgericht Lübeck beteuert er: Er sei in Angst und Sorge um Frau und
       Kinder gewesen. Die Richter verurteilen ihn zu zwei Jahren Haft auf
       Bewährung.
       
       Vier Tage später. Mehrere Personen treten nachts die Tür zu einer
       Flüchtlingsunterkunft in Freiberg, Sachsen, ein. Sie werfen einen selbst
       gebastelten Sprengsatz in das Haus, sieben Bewohner werden verletzt. Die
       Polizei meldet: Täter unbekannt. Eine Meldung, die in den folgenden Monaten
       immer öfter zu hören sein wird.
       
       Unbekannte legen Feuer an einem Versorgungszelt in Coesfeld,
       Nordrhein-Westfalen, Unbekannte werfen einen Brandsatz gegen die Fassade
       einer Unterkunft in Lilienthal, über den Zaun einer Unterkunft in
       Berlin-Kreuzberg. Unbekannte sind es auch in Weissach im Tal, in
       Baden-Württemberg. Die geplante Flüchtlingsunterkunft wird durch das Feuer
       komplett zerstört.
       
       Das Bundeskriminalamt zählt 46 Fälle von Brandstiftung an
       Flüchtlingsunterkünften allein für 2015. Andere Erhebungen kommen noch auf
       deutlich mehr: Eine von der Linkspartei in Auftrag gegebene Analyse des
       Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums Berlin (apabiz) führt
       bis September 63 Fälle auf. Pro Asyl und die Amadeu Antonio Stiftung zählen
       in der „Chronik flüchtlingsfeindlicher Übergriffe“ 85 Brandanschläge.
       Eigene Recherchen der taz ergaben eine Zahl von 78 Brandanschlägen zum
       Stichtag 29. Oktober.
       
       Direkt vergleichen kann man die Fälle, die sich hinter den Zahlen
       verbergen, bisher nicht, weil keine aktuelle Statistik des BKA vorliegt. Es
       gibt eine Auflistung der Einzelfälle nur auf Anfrage von Politikern heraus.
       Die Listen decken bisher nur die erste Jahreshälfte ab. Zwei Drittel der
       Anschläge fanden in den letzten drei Monaten statt. Mehr als 50 zählen die
       taz-Recherche und die Amadeu Antonio Stiftung.
       
       Erst in zehn Fällen gibt es Verdächtige. Die Aufklärungsquote liegt damit
       unter 20 Prozent. Zum Vergleich: Die Aufklärungsquote in Bezug auf
       Brandstiftung im Allgemeinen lag in den Jahren 2000 bis 2014 zwischen 48
       und 50 Prozent. Bis Redaktionsschluss konnte das BKA diese Differenz nicht
       erklären.
       
       „Entweder ist es fehlender politischer Wille oder ein Versagen der
       Polizei“, kritisiert Timo Reinfrank, der Geschäftsführer der Amadeu Antonio
       Stiftung. Die Behörden bräuchten mehr Ressourcen, müssten schnellstmöglich
       Täter finden. Auch um Nachahmer abzuschrecken.
       
       Viele Polizeibehörden arbeiten nach eigener Aussage bereits unter
       Hochdruck. Bayern hat eigene Ermittlungskommissionen mit der Aufklärung der
       Brandanschläge beauftragt. In Sachsen ermittelt das Operative Abwehrzentrum
       in Leipzig, das eigens für die Ermittlung politischer Straftaten gegründet
       wurde. Der Leiter der Behörde, Bernd Merbitz, sprach im September von
       schwierigen Ermittlungen. Der Kreis der Verdächtigen sei extrem groß. Man
       habe es „mit der ganzen Breite der Bevölkerung zu tun“. Ähnliches hört man
       auch vom LKA in Bayern und vom Verfassungsschutz in Niedersachsen. In
       vielen Fällen kämen radikalisierte Einzeltäter aus der Nachbarschaft in
       Frage.
       
       Timo Reinfrank bestätigt, die Täter Marke wütender Anwohner seien seit dem
       Sommer stärker zu beobachten. Die Mehrheit stellten sie aber nicht. „Die
       rechtsextreme Szene wird von der Polizei massiv unterschätzt.“ Sie hetze
       auf Demonstrationen und in sozialen Netzwerken. Am auffälligsten sei, dass
       Brandanschläge sich dort häuften, wo die rechtsextreme Szene ihre
       Hochburgen habe. „Man schaut nicht hin“, sagt Reinfrank. Bisher konnte nur
       bei vier Verdächtigen eine Verbindung zum Rechtsextremismus nahegelegt
       werden. Der Brandstifter Kim-Alexander M. bleibt bisher der Einzige, dessen
       Fall in diesem Jahr abgeschlossen und der vor Gericht verurteilt wurde.
       
       Er sagte damals vor Gericht, er dachte, er tue etwas Gutes.
       
       31 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Giacomo Maihofer
       
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