# taz.de -- "Programmieren ist genauso eine Kulturtechnik"
       
       > Versäumnis Die Bildungsministerien haben noch nicht erkannt, dass
       > digitale Kompetenzen so wichtig sind wie Lesen oder Schreiben, sagt
       > Internetbotschafterin Gesche Joost
       
       Interview Timo Nicolas
       
       taz: Frau Joost, Sie fordern, dass Kinder schon in der Grundschule mit
       Informatik in Berührung kommen sollen. Ist in dem Alter nicht Lesen und
       Schreiben wichtiger? 
       
       Gesche Joost: Natürlich sind diese Kulturtechniken immer noch wichtig. Aber
       wenn man es überspitzt formulieren wollte: Programmieren ist genauso eine
       Kulturtechnik, digitale Kompetenzen sind inzwischen genauso wichtig. Wir
       merken ja, wie ausgeschlossen man heutzutage ist, wenn man die Grundlagen
       der Digitalisierung nicht verstanden hat.
       
       Das heißt also: Informatikunterricht ab der Grundschule? 
       
       Nein, man sollte das in den einzelnen Fächern durchdeklinieren. Im
       Deutschunterricht zum Beispiel lernen, was eine verlässliche Quelle im Netz
       ist. In Erdkunde, welche interaktive Grafiken man wie nutzen und selber
       gestalten kann. Was passiert beispielsweise, wenn ich den Maßstab einer
       Karte so verändere, dass ich plötzlich die Armuts- und Reichtumsverteilung
       sehe? Ich glaube, das wäre für die Schüler total spannend.
       
       Das klingt nach hohen Investitionskosten für die Schulen in eine Vielzahl
       neuer Geräte. 
       
       Natürlich kann eine Schule nicht jedem Kind ein Tablet kaufen, das dann
       nach drei Jahren wieder veraltet ist. Man müsste da eigene Lösungen finden.
       Eine wäre, es wie Lettland zu machen. Dort gilt das Prinzip: „Bring Your
       Own Device“, dass die Schüler also ihre eigenen Geräte mitbringen. Die
       Verbreitung von Smartphones, Tablets und Laptops bei Kindern ist ja schon
       extrem hoch.
       
       Besteht da nicht die Gefahr, dass Kinder aus ärmeren Familien abfallen? 
       
       Da muss man natürlich eine kluge Lösung hinbekommen, eine Mischung aus
       „Bring Your Own Device“ und einer Grundausstattung, die die Schule
       bereitstellt. Man müsste das sowieso zunächst an Pilotschulen testen. Das
       findet in kleiner Zahl auch schon statt, meistens auf Initiative einzelner
       Lehrer oder Eltern.
       
       Fehlen aber nicht vor allem fachkundige Lehrer? Die meisten
       Lehramtsstudenten meiden das Fach Informatik. 
       
       Wir müssen anfangen, die Studieninhalte für Lehrerinnen und Lehrer zu
       erneuern, damit Digitalisierung in allen Bereichen ein Thema wird. Dazu
       bräuchten wir eine gemeinsame Länderinitiative. Aber selbst wenn wir jetzt
       damit anfangen, würde es zehn Jahre dauern, bis die neuen Lehrer an der
       Schule sind.
       
       Was muss getan werden, bis dieser Tag irgendwann eintritt? 
       
       Das geht nur mit zivilgesellschaftlichem Engagement. Über Initiativen und
       Workshops, die an Schulen stattfinden, über IT-Trainer, die ehrenamtlich in
       Schulen unterrichten. Das können jedoch nur Zwischenlösungen sein. Es
       braucht sie aber eher heute als morgen, denn für die große Lösung sind wir
       jetzt schon zu spät dran.
       
       Haben Sie das Gefühl, dass die Politik digitale Bildung ernst nimmt? 
       
       Ich sehe leider wenig Initiative von politischer Seite. Viel zuoft höre ich
       Fragen wie: Bringt das denn irgendetwas? Gibt es Studien, die beweisen,
       dassdigitale Bildung einen Mehrwert hat? Auf diesem Niveaubewegen wir uns
       dort immer noch.
       
       Sie klingen, als hätte Deutschland den Anschluss im IT-Bereich bereits
       verpasst. 
       
       Manchmal denke ich das. Wir laufen in ein Desaster hinein, wenn wir
       einerseits wissen, dass ein Fachkräftemangel schon jetzt besteht, die
       Digitalisierung in vielen Branchen immer weiter zunehmen wird, wir die
       Kinder in den Schulen aber darauf nicht vorbereiten. Damit rauben wir den
       Schülern ihre Zukunftschance.
       
       14 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Timo Nicolas
       
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